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Bad Kissingen
Konzert der Bamberger Symphoniker mit musikalischer Lesung
Am finalen Wochenende des Kissinger Sommers luden die Bamberger Symphoniker zu einem zweiten Konzert ein. Dieses Mal jedoch mit anschließender musikalischer Late-Night-Lesung.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 10.08.2024 02:39 Uhr

Am vorletzten Abend also noch mal die Bamberger. Und dieses Mal mit dem polnischen Dirigenten Krzysztof Urbański, der sich immer mehr zu einer Antwort der Männerwelt auf Joana Mallwitz zu entwickeln scheint. Denn auch er tanzt beim Dirigieren. Aber im direkten Vergleich ist bei ihm schon noch Luft nach oben. Denn etwa die Kniebeuge, gehalten über zehn Takte, fehlt noch in seiner Choreografie. Aber auch sein Dirigierstil zeigt, dass der Tanz ein ausgezeichnetes Mittel ist, die Musik zum Fließen zu bringen und im Fluss zu halten. Zudem ist auch er im Zweifelsfall ein Freund der flotteren Tempi.

Beginn mit der Zauberflöte

Wie gleich bei dem Werk, das das Konzert eröffnete: Wolfgang Amadeus Mozarts Ouvertüre zu seiner Oper „Die Zauberflöte“. Zu Beginn die drei messerscharf schneidenden Akkorde, mit der zur Mozart-Zeit die Sitzungen der Freimaurer eröffnet wurden. Und dann sofort der Umschlag in eine leise, ein bisschen nebulöse Atmosphäre, aus der die Musik immer klarer hervortrat und dabei nicht nur an Konturen, sondern auch an Vortrieb gewann. Und natürlich an Tempo, das man bei dieser Ouvertüre eigentlich nicht gewöhnt ist, das aber nichts verschleierte. So war etwa die Fuge, die das Erscheinen des Menschen in diesem kleinen Schnelldurchlauf der Naturgeschichte signalisiert, eine kleine Verbeugung vor Bach, sehr gut erkennbar – ein Konzertauftakt, der wirklich gute Laune machte.

Cellist in guter Zusammenarbeit mit dem Orchester

Solist des Cellokonzerts a-Moll op. 129 von Robert Schumann war Kian Soltani. Er war – manche Kissinger-Sommer-Besucher werden sich daran erinnern – vor vielen Jahren über die Verbindungen zur Liechtensteiner Akademie bei einem der damals veranstalteten Nachwuchskonzerte zu Gast, also ganz am Beginn seiner Karriere. Er wusste damals selbst noch nicht so genau, ob es wirklich eine werden würde. Heute ist er international unterwegs. Er hat sich zu einem Cellisten entwickelt, der nicht nur technisch wirklich souverän ist, sondern der sehr individuelle Lösungen sucht, der mit einer enormen Klangfarbenpalette spielt und der auch hässliche Töne kreativ zu nutzen weiß. Darüber hinaus findet er nicht nur schnell Kontakt zu seinem Publikum, sondern vor allem zum Orchester, mit dem er trotz aller Individualisierung und Abgrenzung intensiv zusammenarbeitet.

Das muss man natürlich auch bei dem dreisätzigen, aber durchgehenden  Schumann-Konzert tun. Denn das ist – mit Ausnahme des ersten Satzes – keine Musik der langen Melodien, in denen man immer irgendwann zusammenfindet, sondern ein recht zerklüftetes, kleinteiliges Werk, in dem sich kurze sangliche Partien ebenso finden wie rezitativische Abschnitte oder virtuose Passagen. Der Solist genießt zu Lasten des Orchesters ziemlich viele Freiheiten, die Kian Soltani auch reichlich nutzte, aber immer in engem Kontakt mit Krzysztof Urbański und dem sehr spontan reagierenden Orchester. So konnten sich alle entfalten: Kian Soltani als selbstbewusster Gestalter, der genau weiß, wo er hinwill. Und das Orchester als Schumanns „Sachwalter“, das die drei Sätze ohne Pause miteinander verknüpfte.

Diese Bezüge waren sehr gut herausmusiziert wie etwa in dem kurzen Mittelsatz, in dem die Bläser wie aus weiter Ferne das Hauptthema des Eingangssatzes spielten und das Solocello sich in dieses Thema hineinschlich. Eine außerordentlich spannende Interpretation. Als Zugabe spielte Kian Soltani eine Eigenkomposition: den „Persischen Feuertanz“. Da konnte er mit Volldampf hinlangen und nicht nur starke Klänge, sondern auch mitreißende Rhythmen aus den Saiten zaubern.

Euphorische Stimmung bei der "Italienischen"

Und schließlich noch eine Gute-Laune-Musik: die Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90, die „Italienische“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy . Die begann mit einer derart schwungvollen, geradezu euphorische Aufbruchstimmung, dass man meinte sich in die 3. Sinfonie , die „Schottische“, oder die „Hebriden-Ouvertüre“ verirrt zu haben.  Und diesen Vortrieb hielt Krzysztof Urbański im Prinzip durch alle vier Sätze aufrecht. Die Sinfonie ist keine Programmmusik, sondern Mendelssohn nannte sie „Szenen aus Italien“, und so bildkräftig waren sie musiziert: nicht nur der „Aufbruch ins Licht“ des ersten Satzes, sondern auch der fabelhaft musizierte Saltarello des Finales, der enorm viel Orchestervirtuosität abverlangt – vor allem, wenn man von Krzysztof Urbański befeuert wird.

Und dazwischen das Andante con moto, das geheimnisvoll von den Fagotten und Kontrabässen eingeleitet wird und sich mit eher gedecktem Ton immer weiter entfaltet. Und das Con moto moderato, das Scherzo , dessen Trio die beiden Hörner mit ihren weichen Rufen einleiteten, eine Situation, die eher an Tannen als an Pinien denken lässt. Da merkte man, dass Mendelssohn seine Sinfonie nicht nur in Italien geschrieben hat.

Am Ende war man sozusagen  wieder am Anfang: Die Bamberger spielten als Zugabe die Ouvertüre zu Mozarts „Don Giovanni“ – auch sie ein letztes Zeugnis für Krzysztof Urbańskis Freude am Tempo. Auf das arme Fagott konnte er da keine Rücksicht nehmen. Musste er allerdings auch nicht.

Lesung über Bismarck mit musikalischen Akzenten

An das Konzert schloss sich eine „Musikalische Lesung“  an. Der Schauspieler Thomas Thieme , einer der Granden des Berliner Theaters, und die Pianistin und Klavier-Olympionikin Mirabelle Kajenjeri hatten zu einem Besuch bei Bismarck eigeladen. Thomas Thieme las aus Biografien und aus dem Schriftwechsel des „Eisernen Kanzlers“. Dabei lernte man erstaunliche Facetten eines Mannes kennen, die so gar nicht den Vorstellungen und dem Bild entsprechen, das die Nachwelt von dem Reichskanzler gezeichnet hat.

Thieme hatte Texte aus den Jugendjahren ebenso ausgewählt wie aus der Zeit seines Rücktritts. Und so konnte man beispielsweise aus einem Brief an die Schwester von 1841 – da war er 16 – erfahren, dass Bismarck in seiner Jugend eigentlich gar nicht eine Verwaltungslaufbahn anstrebte, sondern lieber handwerklich oder landwirtschaftlich arbeiten würde. Da schickte er ein paar Jahre später einer Nachbarin, die ihm jegliche poetische Ader abgesprochen hatte,  ein langes eigenes Gedicht als Gegenbeweis.

Von Attentat auf Bismarck gelesen

Natürlich hatte Thomas Thieme in der Heimat-Zeitung eine Nachricht gefunden, dass Bismarck Ziel eines Attentats war. Und die Zeitung berichtete von der Freude und dem Jubel, dass der Eiserne Kanzler errettet worden war. Bismarck stand natürlich, schon wegen seines Amtes, mit den Größen der Politik in brieflichem Kontakt. Mit Kaiser Wilhelm I. tauschte er sich über Träume und Alpträume aus. An Wilhelm II. schrieb er nach seinem Rücktritt 1890, dass er eigentlich schon viel früher sein Amt aufgeben wollte. Aber er habe geglaubt, dass „Majestät“ seine Erfahrung brauchen könnte. Theodor Fontane bezeichnete den Kanzler als einen „intellektuell und physisch glänzenden Mann“. Allerdings schrieb derselbe Fontane nach dem Rücktritt auch: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind.“

Von den Kissinger Kuren, so nützlich sie ihm gewesen sein mögen, war er gar nicht so begeistert. An den preußischen Finanzminister Otto Camphausen schrieb er am 4. Juni 1874: „Geistiges Stumpfwerden ist ein Teil des Kurssystems. Die Verdummung gehört zum Programm.“ Und das erfahren wir erst jetzt.

Mirabelle Kajenjeri setzte die musikalischen Akzente. Mit zwei „Liedern ohne Worte von Felix Mendelssohn-Bartholdy , einem „Feuillet d’album von Marie Jaëll Trautmann, der Etüde op. 8/8 von Wiktor Kosenko und Fritz Kreislers berühmten „Liebesleid“ in der Bearbeitung von Sergej Rachmaninow  lieferte sie sehr schöne Stimmungsbilder, die gut zu den Stimmungen des doch nicht ganz so eisernen Kanzlers passten.

Kissinger Sommer: Thomas Thieme und Mirabelle Kajenjeri       -  Thomas Thieme und Mirabelle Kajenjeri begeisterten mit einer musikalischen Lesung.
Foto: Gerhild Ahnert | Thomas Thieme und Mirabelle Kajenjeri begeisterten mit einer musikalischen Lesung.

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