Die kleine Konzertreihe (meist zwei Veranstaltungen) der „Matinee classique“ im Kissinger Winterzauber ist eine höchst zwiespältige Sache. Einerseits hasst man sie, weil man durch sie an einem Sonn- oder Feiertag zu nachtschlafender Zeit im Winter, wenn es noch fast dunkel ist – das bringt der Winter-Zauber halt so mit sich – gezwungen wird, sich aus dem warmen Bett zu quälen. Weil man dann mühsam die Frage verdrängt, ob das wirklich sein muss, und man viel Energie braucht, um das Nein abzuwehren. Zumal die Tage und vor allem Abende und kurzen Nächte davor viel gefeiert und gegessen und getrunken wurde und man sich eingestandenermaßen nicht wirklich wohlfühlt.
Andererseits liebt man sie. Denn wenn man dann im noch nachtkühlen Rossini-Saal einläuft, freut man sich nicht nur, dass auch viele andere Menschen ihren inneren Schweinehund überwunden haben und gekommen sind, sondern vor allem über das, was von der Bühne geboten wird.
Kontakte zu Musikhochschulen
Denn Thomas Friedrich , unter anderem Chef der Perkussionsabteilung an der Städtischen Musikschule Bad Kissingen , der die Konzertreihe gestaltet, hat durch seine guten Kontakte zu Musikschulen und Musikhochschulen im weiten Umkreis immer wieder junge Leute aus allen instrumentalen Richtungen eingeladen, die den Einstieg zu einer Karriere nicht nur mit den Schuhspitzen berühren, sondern mit dem Ansteigen begonnen haben. Und das bringt immer wieder überraschende und musikalisch höchst befriedigende Begegnungen.
Beide erst 17 Jahre alt
So wie jetzt mit dem Duo Olivia Bergmann (Klavier) und Benjamin Lukas Bächler ( Altsaxophon ), die zu einem Programm unter dem Titel „Von Schwermut, Leichtmut und Übermut“ geladen hatten – wobei „Schwermut“ erfreulich wenig bedient wurde. Das sind zwei ganz erstaunlich begabte Leute, beide erst 17 Jahre alt, die schon mit sechs beziehungsweise fünf Jahren genau wussten, dass sie eines Tages Musik machen wollen, und auch schon, womit.
Olivia Bergmann erhielt ihren ersten Klavierunterricht an der Städtischen Musikschule ihres Geburtsortes Aschaffenburg und nahm ab 2019 Privatunterricht bei Florian Glemser in Würzburg. Zurzeit besucht sie die Oberstufe des musischen Dalberg-Gymnasiums Aschaffenburg.
Bei "Jugend musiziert"
Benjamin Lukas Bächler, in Frankfurt geboren, kam 2010 ebenfalls an die Aschaffenburger Musikschule , wo er mit Flöte begann und zwei Jahre später zum Saxophon wechselte – und zu Klarinette und Klavier. Seit 2018 ist er Pre-Collegiat für Saxophon bei Lutz Koppetsch an der Musikhochschule Würzburg und Schüler des Exzellenz-Zweiges des Grünewald-Gymnasiums Würzburg. Kein Wunder, dass ihrer beider Namen schon mehrmals an prominentester Stelle bei „Jugend musiziert“ auftauchten.
An der Musikschule Aschaffenburg
Man überliest den Satz gerne: „Das Duo (…) fand 2015 durch die Initiative ihrer Lehrer an der Musikschule Aschaffenburg zusammen, um an „Jugend musiziert“ teilzunehmen…“ Da waren sie gerade mal neun und zehn Jahre alt; und seitdem musizieren sie gemeinsam als Duo. Das erklärt natürlich, warum sie in ihrem Zusammenspiel derart perfekt sind, warum sie sich blind aufeinander verlassen können und wirklich mit gemeinsamem Atem musizieren – auch wenn es atemberaubend wird.
Dazu kommt, dass beide offenbar Lehrer haben, die die beiden wirklich fördern und mit ihnen Werke erarbeiten, mit denen sie ihre Souveränität zur Geltung bringen können, ohne auf technische Vorbehalte Rücksicht nehmen zu müssen. Denn beide sind verblüffend souveräne und technisch absolut sichere Virtuosen, die sich auch volles Risiko erlauben können.
Originalkompositionen
So konnte das Programm auch Namen und Originalkompositionen präsentieren, die hierzulande kaum jemand kennt wie den des Japaners Takashi Yoshimatsu, der 1991 eine „Fuzzy Bird Sonata“ schrieb. Man konnte sich schon denken, wie der erste Satz, „Run, bird“ klingen würde. Und so klang er auch: geradezu abstruse Tempi mit Volten und Haken – und absolut souverän runtergerissen.
Von der Stimmung her ein absoluter Kontrast waren die fünf „Tableaux de Provence“ für Saxophon und Klavier (im Original Orchester) der Pariserin Paule Charlotte Maurice (1916 – 1967), ihr bekanntestes Werk. Das sind Stimmungsbilder, in denen die beiden Instrumente mit vielen Kontrasten die erzählerischen Möglichkeiten der Musik und der Klanggestaltung ausreizen konnten.
Da ein Bläser auch mal durchatmen muss, spielte Olivia Bergmann drei kurze Solosätze: Claude Debussys „La Soirée dans Grenade“ aus dem „Estampes“ und die „Deux poèmes“ op. 32 von Alexander Skrjabin, die alle 1903 entstanden sind. Sie passten dank mancher Ähnlichkeit sehr gut zusammen, aber Olivia Bergmann verdeutlichte auch die Unterschiede, auch die der beiden Skrjabin-Sätze.
Postromantischer Tiefsinn
Jukes Demerssemans „Fantaisie sur un thème original“ war kompositorisch nicht wirklich mitreißend, aber halt verdammt gut von den Beiden gespielt. Mit der Sonate op. 26 des Berliners Erwin Dressel kam die postromantische, gründliche, auf Tiefsinn, nicht auf Humor zielende deutsche Nachdenklichkeit ins Spiel; sie wirkte beinahe wie Unterforderung.
Frage der Lebenserfahrung und des Alters
Und zum Schluss natürlich Darius Milhauds „Scaramouche“. Man dachte an die Interpretation von Sabine Meyer und Fazıl Say vor ein paar Jahren. Der Vergleich ist durchaus gestattet. Natürlich waren Meyer/Say vor allem in den Ecksätzen wesentlich federnder, ohne Gedanken an die virtuose Akkuratesse zu verschwenden. Das ist ganz einfach eine Frage des Alters und der Lebens- und Musiziererfahrung. Aber Bächlers Saxophon mit seiner Nähe zur menschlichen Stimme klang wesentlich elastischer als Meyers Klarinette.
Die Frage, was besser war, ist müßig: In nicht allzu ferner Zeit werden die beiden jungen Leute die zwei Aspekte miteinander verbinden. Als Zugabe spielten sie noch die „Pequeña Czarda“ des 2020 gestorbenen baskischen Saxophonisten und Komponisten Pedro Iturralde Ochoa.
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