Als "Klassikquartett" wird das Hamburger Ensemble "Salut Salon", das am Samstag, 21. Dezember, um 19.30 Uhr den Kissinger Winterzauber 2019/20 eröffnet, gerne bezeichnet. Das stimmt nicht ganz. Denn Angelika Bachmann und Iris Siegfried (Violine), Olga Shkrygunova (Klavier) und Anna-Lena Perenthaler (Violoncello) verzichten in der Besetzung auf eine Viola.
Vor allem aber ist ihre Musik anders. Die Klassik ist zwar ihr Stichwortgeber. Aber was immer sich mit der von ihnen so geliebten klassischen Musik verbinden lässt, sie verbinden es: Tango, Chansons, Folk- und Filmmusik - solistisch virtuos, Show mit artistischen Einlagen, souverän und selbstironisch. "Liebe" heißt das Programm. Und das bedeutet: Es darf geweint und geseufzt, aber auch laut gelacht werden. Wie es dazu kam, darüber gab Angelika Bachmann, eine der beiden Gründerinnen des Quartetts, Auskunft.
Frau Bachmann, Sie haben alle vier eine klassische Ausbildung. Wieso sind Sie ins Entertainment gegangen?
Angelika Bachmann: Das habe ich mir vorher so nicht überlegt, ich wollte einfach Musik machen, die mir selber Freude macht. Ich komponiere, arrangiere und texte gerne. Und ich wollte schon ganz früh ein Ensemble gründen mit meiner Freundin Iris, mit der ich jetzt seit 36 Jahren gemeinsam Musik mache - wir sind beide 47. Als wir 11 waren, haben wir schon im Schulorchester zusammen gespielt. Wir haben von Anfang an klassische Stücke so bearbeitet, wie wir das schön fanden. Für mich hätte sich deshalb nie die Frage gestellt, in ein Orchester zu gehen. Mir macht es mehr Spaß, das aus der Musik herauszuholen, was ich selber fühle.
Woher kommt denn in der Gruppe die Neigung zur Komik, zum Chaotischen?
Was empfinden Sie denn als chaotisch bei uns?
Ich habe mir gerade eben noch einmal die Nummer "Wettstreit zu viert" angeschaut. Das ist ja nun nicht den konzertanten gesellschaftlichen Regeln entsprechend. Da kommen sehr viele Emotionen hoch, wird die Auseinandersetzung durchaus auch handgreiflich.
Uns macht es einen Riesenspaß, alles aus unseren Instrumenten herauszuholen. Und beim "Wettstreit" ging es auch darum, was passiert, wenn wir uns in wechselnden Kombinationen gegeneinander verbünden ...
Also Sie lassen auch gerne mal die Sau raus, wenn ich Sie recht verstehe.
Ja, das Leben ist zu kurz, um immer nur brav zu sein. Das scheint aber anderen auch zu gefallen, denn allein bei diesem Video haben wir auf Youtube, glaube ich, so 26 Millionen Klicks.
Wissen Sie eigentlich, wenn Sie in ein Konzert hineingehen, schon, was am Ende herauskommt? Also nicht nur, welche Stücke Sie spielen, sondern auch, wie sich das Ganze entwickelt? Denn Ihre Auftritte wirken sehr spontan, auch wenn sie geplant und choreographiert sind.
Das ist ja die hohe Kunst, und das macht uns sehr viel Spaß, eine Bühnenshow so zu entwickeln, dass sie wiederholbar wird und gleichzeitig genug Raum bietet für spontane Einfälle, auf die man dann reagieren muss.
Ich habe im Zusammenhang mit Ihnen den Namen des Regisseurs Franz Wittenbrink gelesen. Arbeiten Sie mit dem regelmäßig zusammen?
Ja, Franz Wittenbrink entwickelt mit uns schon seit gut zehn Jahren die Dramaturgie unserer Shows und arrangiert einige Stücke. Darüber hinaus ist er ein enger Freund.
Was Sie auf der Bühne machen, ist ja nicht banal. Wie intelligent muss Ihr Publikum sein?
Eher stellt sich, wie ich finde, die Frage der Erfahrung. Also, die einen waren noch nie in einem klassischen Konzert und sagen hinterher vielleicht "Toll, und es hat gar nicht wehgetan". Und andere erkennen jedes Musikzitat und freuen sich darüber, was wir daraus gemacht haben. Jeder nimmt aus den Konzerten das mit, was zu seinem Leben passt.
Es ist ja auch ein schönes Angebot, dass man in einem Konzert lachen darf.
Wir lachen ja selbst auf der Bühne auch oft genug; manchmal ist es sogar schwer, wieder ernst zu werden... Ich muss in einem Neue-Musik-Konzert manchmal auch lachen. Je ernster die Leute schauen, desto schwieriger ist es eben, selber ernst zu bleiben. Aber das heißt ja nicht, dass das Konzert schlecht war. Oft kommt die Grundernsthaftigkeit, an die der Komponist gar nicht gedacht hat, ja auch vom Publikum.
Spielen Sie manchmal auch originales klassisches Programm auf der Bühne oder heimlich oder sind es ausschließlich Ihre Arrangements oder Eigenkompositionen?
Wir spielen ganz viele klassische Stücke von Vivaldi und Bach über Liszt bis in die Moderne ...
Entlang der Originalpartitur?
Ich schreibe dann eine eigene Partitur. Wir arrangieren die Musik so, dass sie für uns passend und schön ist. Und ich komponiere ja zum Beispiel auch ganz ernsthafte Stücke.
Aber dass Sie die Originaltexte spielen, das passiert eher nicht?
Eher selten. Es gibt im aktuellen Programm ein Stück von Beethoven, das wir original spielen. Aus seinen Variationen "Bei Männern, welche Liebe fühlen" über ein Thema von Mozart.
Wie suchen Sie sich Ihre Programme zusammen? Wer macht das?
Wir bringen alle vier Ideen ein, die dann zusammen ausprobiert werden. Das ist ein langer Prozess. Vieles wird auch verworfen. Die Stücke, für die wir uns entscheiden, arrangieren wir dann ganz neu. Ich schreibe aber auch viele Stücke direkt für unsere Besetzung. Viele Ideen entstehen auch in den Proben. Und dann überlegen wir nach jedem Konzert, ob wir noch etwas ändern wollen.
In Ihren Konzerten singen Sie auch alle. Gesangsausbildung kommt in Ihren Biografien aber nicht vor. Wieso können Sie so gut singen?
Weil wir tatsächlich ganz viel Gesangsausbildung gemacht und viele Workshops besucht haben. Ich habe zum Beispiel an der Hochschule auch Gesangsexamen gemacht.
Was erwartet die Besucher im Regentenbau, wenn Sie zum Eröffnungskonzert des Winterzaubers kommen?
Wir spielen unsere aktuelle Bühnenshow "Liebe", die mit dem "Libertango" von Astor Piazzolla beginnt, für uns das Sinnbild für Freiheit in der Liebe. Piazzolla ist einer unserer absoluten Lieblingskomponisten, den wir immer spielen. Sein "Tango Nuevo" kommt in jeder Show vor. Darüber hinaus sind Teile aus "Romeo und Julia" von Prokofiew zu hören, die wir ganz neu bearbeitet haben, und auch ein Arrangement von Prokofiews "Streit" aus der "Cinderella-Suite". Da hört man so richtig, wie die Argumente zwischen den Instrumenten hin- und hersausen - das ist lustig und tragisch zugleich. Dann spielen wir Variationen über das bekannte "Follia"-Thema über den Wahnsinn der Liebe, von Bach über Rachmaninow bis zu eigenen Variationen, die wir komponiert haben. Wir spielen ein Liebesduett auf zwei singenden Sägen, singen eigene Chansons über die Liebe und darüber, dass es in der Liebe oft mehr Fragen als Antworten gibt, aber auch berühmte Liebeslieder der Popgeschichte von Marilyn Monroe bis Herbert Grönemeyer .
Und wer ist Oskar?
Oskar ist unsere Handpuppe. Diesmal verführt er unsere Cellistin mit Mozarts "Reich mir die Hand, mein Leben".
Also ich finde es ja schon einigermaßen beruhigend, dass vier Frauen, wenn sie von Liebe singen, auch einen Mann brauchen, auch wenn er von ihnen gesteuert wird. Ganz ohne Männer geht die Chose nicht.
Nein, definitiv nicht. Aber Oskar ist der einzige Mann, der es geschafft hat, in all den Jahren beständig an unserer Seite zu bleiben.
Warum sollen die Leute in Ihr Konzert kommen?
Also ich hoffe, weil sie selber Lust haben zu kommen. Ich glaube, dass es ein sehr leidenschaftlicher Abend voller Freude wird, der aber auch sehr ernste Momente hat. Die Liebe wird von ganz verschiedenen Seiten beleuchtet. Und in der Liebe sind wir alle Experten, weil wir sie hoffentlich alle in unserem Leben erlebt haben. Und sie ist ja auch der Antrieb für die schönsten und verrücktesten Dinge, die man so tut im Leben. Auf die Frage: Was soll die Liebe sein? geben wir am Ende allerdings keine Antwort.
Sie engagieren sich viel in sozialen Projekten. Was sind denn gerade die aktuellen Initiativen?
Wir unterstützen weltweit verschiedene soziale Projekte. In der kenianischen Hauptstadt Nairobi beispielsweise das Musik-Projekt "Ghetto Classics" im Slum Korogocho, wo die Kinder direkt an einer riesigen Müllkippe leben. Für die Streicher dort haben wir wöchentlichen Unterricht via Skype eingerichtet. 2015 hatten wir im Rahmen einer Tournee mit den Kindern dort gearbeitet und wollten nicht einfach wieder wegfahren und sie mit ihren gefühlt tausend Fragen allein lassen. Dank des Skype-Unterrichts sind aus der kleinen Gruppe von Streichern mittlerweile über 60 geigende Kinder und Jugendliche geworden. Einige sind gerade dabei, sich bei der Said-Barenboim-Stiftung zu bewerben. Das ist schon eine tolle Entwicklung. Mangel herrscht vor Ort vor allem auch am Material. Glücklicherweise konnten wir nach einem Benefizkonzert im vergangenen Jahr 50 Geigen für die Kinder spenden. Aktuell sammeln wir Geld für Celli. Es gibt in Korogocho nur vier Instrumente für 14 Kinder, die sich beim Üben abwechseln müssen. Für uns ist wichtig, dass die "Ghetto Classics" neben dem Musikunterricht auch Schulgeld bezahlt bekommen und Unterstützung beim Lebensunterhalt, denn es mangelt ihnen wirklich an allem.
In Südamerika sind Sie auch präsent?
In Chile arbeiten wir seit 16 Jahren mit der Kinder-Nothilfe zusammen, in einem Slum in der Nähe von Viña del Mar. Die Escuela Popular de Artes ist eine Musikschule und ein Leuchtturmprojekt in dem Armenviertel . Da machen 300 Kinder jeden Tag Musik. Ich habe aber auch beispielsweise in Palästina und in Nordkorea mit Kindern musikalisch gearbeitet. Mit "Salut Salon" waren wir auch in Kinderprojekten in Brasilien - wir versuchen einfach überall dort, wo es sinnvoll ist, mit Kindern Musik zu machen.
Die Arbeit vor Ort ist vermutlich spendenfinanziert.
Unsere eigene Reise ist natürlich immer Teil des Tour-Budgets. Die Kinderprojekte vor Ort finanzieren wir über unsere Stiftung "Chancen für Kinder". Spenden sammeln wir dafür unter anderem nach jedem unserer Konzerte. In Hamburg haben wir außerdem mit der otto-group für unsere Musik-Initiative "Young ClassX" einen regelmäßigen Unterstützer gefunden. Hier werden Kinder und Jugendliche auf neue und spielerische Weise an die Musik herangeführt. In den zehn Jahren ihres Bestehens hat die Initiative allein in Hamburg bereits 11 000 junge Leute erreicht, die sonst keine Musik machen würden. Die otto-group hat, was uns sehr freut, dafür vor ein paar Tagen erst den Deutschen Kulturförderpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im BDI bekommen.
Das Gespräch führte Thomas Ahnert.