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Bad Kissingen
Kissinger Sommer: Von wegen Ensemble Mini!
"Ensemble Mini" ist ein Zusammenschluss von jungen Leuten aus mehreren deutschen Orchestern, die Projektarbeit machen wollen und die streichen und tuten und trommeln wie der Teufel.
Das  'Ensemble Mini'  im Kurtheater von Bad Kissingen.       -  Das  'Ensemble Mini'  im Kurtheater von Bad Kissingen.
Foto: Gerhild Ahnert | Das "Ensemble Mini" im Kurtheater von Bad Kissingen.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 16.08.2022 14:55 Uhr

Was irritierte, war der Name: Für das zweite Wandelkonzert am Mittwochabend im Kurtheater war das "Ensemble Mini" angekündigt. Was sollte man sich darunter vorstellen? Mini heißt nun mal klein, und was bedeutet das im Bereich der Musik?

Vom Programm her musste es sich um ein Kammerorchester handeln, und die sind nicht so groß wie ihre vollsinfonischen Kollegen. Aber Mini? Spielen da vielleicht Kinder mit? Flötengruppen sogar? Schwamm drüber. Man ging halt hin, weil man neugierig ist und weil das Programm Spannung versprach: " Bartók Beyond Borders" oder " Bartók grenzenlos". Da durfte man sich einiges erwarten.

Und in der Tat: Der Name "Ensemble Mini" erwies ich als der falscheste oder unpassendste, der zu finden war. "Ensemble Maxi" wäre wesentlich passender gewesen. Denn das ist ein Zusammenschluss von jungen Leuten aus mehreren deutschen Orchestern , die Projektarbeit machen wollen und die streichen und tuten und trommeln wie der Teufel. Die eine enorme Orchestervirtuosität entwickelt haben und auch vor den kompliziertesten Rhythmen nicht zurückschrecken. Die einfach eine mitreißende Musik machen.

Da kam das Projekt " Bartók Beyond Borders" gerade recht. Oder anders gesagt: Béla Bartók hätte kein besseres Orchester für seine Musik finden können. Die jungen Leute spielten aus einem Guss, mit einem Atem, mit totaler Spannung und Konzentration. Selbst Joolz Gale, der Leiter und Dirigent des Ensembles, dirigierte mitunter sogar die schnellen Achtel - nicht, weil das nötig gewesen wäre, sondern weil seine Spannung ein Ventil brauchte.

Ziel des Projekts ist es, Zusammenhänge und Einflüsse der Musik im türkisch-arabischen Raum und in der K.-und-K.-Monarchie aufzuzeigen. Und da bietet sich Bartók ganz einfach an, weil er die Musik, wenn auch westlich gegründet, immer als interkulturelle Angelegenheit verstanden hat. Bei der Konzertsuite "Der wunderbare Mandarin", deren Uraufführung als Ballett 1919 noch einen kapitalen Skandal ausgelöst hat, sind die Einflüsse noch nicht so deutlich. Aber es ist eine fabelhafte Musik mit einem knallharten Realismus aus der Welt der Prostitution und der rabiaten Zuhälter, bruitistische Großstadtmusik voller Aggressionen, aus der nur gelegentlich die Harmonie suchende Klarinette herauszuhören ist, die die tanzende Dirne begleitet. Das war mit einem umwerfenden Zugriff musiziert, und man wusste schnell, dass der Abend spannend würde.

Dass die Grenze zwischen dem Osmanenreich und Österreich-Ungarn lang und zumindest musikalisch durchlässig war, zeigte sich bei den Rumänischen Volkstänzen für Klavier, die der Darbukaspieler Rony Barrak aus dem Libanon für das Ensemble und sich selbst als Solisten bearbeitet hatte. Allein schon, dass er mitspielte, als sei das von Bartók so vorgesehen gewesen, zeigte, wie kompatibel die beiden Musiken sind.

Aber noch deutlicher wurde das in den Vorspielen für Darbuka solo. Die Darbuka ist ja, simpel ausgedrückt, ein abgesägtes Metallrohr größeren Durchmessers, das an einem ende mit einem Trommelfell bespannt ist. Für diese Intros hatte er rhythmische Zitate mit türkischen Standards kombiniert, die eine wunderbare Stimmung verbreiteten.

Und da zauberte er mit seiner Spieltechnik: Atemberaubend schnell, als hätte er 20 und nicht zehn Finger, klanglich so differenziert, dass er auch Melodien spielen könnte und rhythmisch mit höchster Raffinesse. Dazu gesellten sich - zu ihm oder zu dem Ensemble - als Begleitung ein Qanun oder Kanun. Das ist eine orientalische griffbrettlose Kastenzither, die nicht auf einen Tisch mit rotweiß karierter Tischdecke gelegt wird, sondern die auf den Knien gespielt wird - trotz ihrer Größe. Im Schneidersitz der früheren Jahre war das natürlich einfacher. Und dazu gesellten sich Blockflöten und ein Oud, eine arabische Kurzhalslaute. Für das Orchester war das eine wunderbare Herausforderung.

Den Abschluss bildete Béla Bartók Tanzsuite SZ 77 in der Bearbeitung von Jooz Gale, die mit einem köstlichen Dialog zwischen Fagott und Trommel begann. Hier war es jetzt wieder an dem Orchester, zu zaubern, mit schwankenden Tempi auf einem pulsierenden Untergrund die Atmosphäre eines Tanzbodens zu schaffen. Und nicht nur die Tanzmusik an sich lebendig werden zu lassen, sondern auch die Tanzenden.

Ständig gab es Neues, Überraschendes zu entdecken, kamen neue Klangfarben, neue Rhythmen, abrupte dynamische Wechsel. Wobei das Molto tranquillo schon deshalb überraschte, weil es plötzlich leise und delikat musiziert wurde. Das wirkte wie ein Atemschöpfen vor neuen Kraftakten. Und am Ende verzog sich die immer leiser werdende Musik. Man brauchte noch eine Weile, bis man den staunenden Mund wieder zuklappen konnte. Von wegen Ensemble Mini!

 
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