Man merkte es in den vergangenen viereinhalb Wochen an der Stimmung in der Stadt immer deutlicher, dass der Kissinger Sommer in seiner Bedeutung als internationales Festival immer mehr wahrgenommen wird. Aber jetzt, nachdem der letzte Ton verklungen ist, bestätigen konkrete, nüchterne Zahlen dieses Gefühl. Mehr als 22.000 Karten wurden für die 57 Veranstaltungen an 31 Tagen verkauft. Das bedeutet eine Platzauslastung von 83 Prozent - deutlich mehr als das Rekordergebnis von 2023.
Allein 700 Hobbymusiker beim „Symphonic Mob“
Dazu kamen die Besucher der kostenlosen zehn Prélude-Konzerte, die von Mitgliedern der gastierenden Symphonieorchester und lokalen Kissinger Ensembles auf öffentlichen Plätzen gestaltet wurden. Und natürlich der 3. Kissinger „Symphonic Mob“, das große Mitmachorchester, bei dem mehr als 700 Hobbymusikerinnen und -musiker und Mitglieder des BBC Symphony Orchestra gemeinsam Open Air im Kurgarten musizierten.
Mit dem angeschnittenen Zitat: „Ich hab noch einen Koffer in…“, das der Hörer oder Leser geradezu reflexhaft mit „…in Berlin“ ergänzt, hatte Intendant Alexander Steinbeis offenbar einen neugierigen Nerv des Publikums getroffen und sich eine weite Türe der Ausgestaltung geöffnet. Wobei ihm seine 13 Jahre als Geschäftsführer des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und die damit verbundenen Kontakte enorm nutzten.
Facettenreiches Panorama der Musikstadt Berlin
Und so konnte er ein facettenreiches Panorama der Musikstadt Berlin präsentieren, das die geistreiche Unterhaltungskultur ebenso umspannte wie die ganz große Kunst. Das ließ sich gut und abwechslungsreich verbinden mit Gastspielen von Orchestern, die den Kissinger Sommer schon seit vielen Jahren, manche von Beginn an, ansteuern wie das BBC Symphony Orchestra , die Bamberger Symphoniker , das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die Münchner Philharmoniker , das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin , das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin , das Konzerthausorchester Berlin , das Orchester der Komischen Oper Berlin oder die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen .
Damit ließ sich der traditionelle Markenkern des Festivals ebenso gut bedienen wie mit Dirigenten und Solistinnen von Weltrang, mit Klavierrezitalen, Kammerkonzerten vom Duo bis zum größeren Ensemble, mit der Kissinger LiederWerkstatt oder Chorkonzerten . Aber es kam eben auch eine Berliner Note dazu wie eine Operettenaufführung, eine Revue, eine Tanzmatinee sowie jazzige Open-Air-Formate, unter anderem mit der Bigband der Deutschen Oper Berlin .
Neue Zielgruppen für Kissinger Sommer erschlossen
Die Absicht von Steinbeis, neue Zielgruppen für den Kissinger Sommer zu erschließen, war auch in diesem Jahr erfolgreich. Für einigermaßen Furore sorgte der erste Techno-Rave des Kissinger Sommers mit angesagten Berliner DJs im Kurtheater – eine lange Nacht mit harten Beats für tanzwütige Festivalfans.
Mit seinen offenen, kostenfreien und niedrigschwelligen Angeboten ist das Festival fest in der Stadt verankert und holt Kissinger wie Gäste gleichermaßen im Alltag musikalisch ab: Neben zahlreichen Radioübertragungen in den Programmen vom BR Klassik und Deutschlandfunk waren vier Konzerte des Festivals auch als Video-Livestream im Internet zu erleben, für Menschen, die selbst nicht mehr ins Konzert kommen können (zudem auf der Seite www.gesund-mit-musik.de für drei bis sechs Monate als Video-on-demand zum Abruf).
Weißer Saal fast gesprengt
Die Konzepte zur Erweiterung der Hörerkreise scheinen aufzugehen – nicht nur deshalb, weil in mehreren Veranstaltungen zusätzliche Stühle gestellt oder der Grüne Saal geöffnet werden musste. Auch bei den kleinen Schmankerlveranstaltungen wie „Auf einen Kaffee mit …“ war der Weiße Saal bei Desiree Nick voll; bei Joana Mallwitz wäre er fast gesprengt worden.
Alexander Steinbeis: „Das hat sich sehr gut etabliert.“ Er hat überhaupt den Eindruck, dass das Publikum mutiger geworden ist: „Da hat sich ein gewisses Vertrauen gebildet. Die Menschen lassen sich auf Begegnungen ein, ohne zu wissen, was sie erwartet.“ Und Erna Buscham ist aufgefallen, dass immer mehr wirklich junge Leute im Publikum sitzen: „Die ermäßigten Eintrittskarten gehen gut weg. Dieses Mal war sogar eine Schule aus Fulda dreimal da.“
Steinbeis: Defizitlimit von 750.000 Euro fast unterbieten
Der Intendant geht davon aus, dass das Defizitlimit, das der Stadtrat bei 750.000 Euro festgesetzt hat, eingehalten werden kann: „Von meinem Gefühl her könnten wir sogar ein bisschen darunter liegen.“
Ansonsten ist er rundum zufrieden mit dem 38. und seinem dritten Kissinger Sommer – mit einer Ausnahme: „An der Tonverstärkung im Max-Littmann-Saal müssen wir noch arbeiten. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“
Glänzender Ruf bei Künstlern von Weltrang
Aber sonst: „Besonders glücklich bin ich darüber, dass sich das Festival als hochkarätiger Kulturstandort zunehmend weiterentwickelt, der nicht nur bei den Konzertgästen, sondern auch bei zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern von Weltrang einen glänzenden Ruf genießt. Sie alle kommen immer wieder gerne zurück. Das ist der schönste Ansporn für die nächsten Jahre und die Weiterentwicklung unseres internationalen Musikfestivals .“ Das nächste dauert vom 20. Juni bis 20 Juli 2025.
Der Luitpoldpreis 2024 des Fördervereins Kissinger Sommer ging in diesem Jahr an Timothy Ridout. Der englische Bratschist erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Preis in Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen beim Kissinger Sommer . Konkret gesagt: bei seinem Konzert mit dem italienischen Pianisten Federico Colli am 22. Juni.
Luitpoldpreis erstmals für einen Bratschisten
Ridout ist damit der erste Bratschist, der den Preis bekommt. Überreichen konnte Schatzmeisterin Martha die Urkunde beim traditionellen Mitgliederempfang zum Kissinger Sommer im Kurgartencafé allerdings nicht. Der wollte eigentlich kommen, aber dann kam ihm eine wichtige Konzertverpflichtung dazwischen. So wird die Übergabe nachgeholt.
Auch ein anderer hatte Grund zur Freude: Oberbürgermeister Dirk Vogel bekam von stellvertretendem Vorsitzenden Hans Ulrich Finger den Spendenscheck des Fördervereins, ausgeschrieben auf 70.000 Euro, mit denen vier Konzerte gezielt gefördert werden. Damit hat der Verein seit seiner Gründung 2,5 Millionen Euro für das Festival, den Luitpoldpreis und den Kissinger KlavierOlymp gespendet.