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Bad Kissingen
Sir Simon Rattle dirigiert beeindruckendes Konzert
Beim Kissinger Sommer stand Sir Simon Rattle mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf der Bühne des Max-Littmann-Saals. Wie der Dirigent die Hörer in seinen Bann zog.
Kissinger Sommer: Michael Volle, Simon Rattle und Anja Kampe       -  Michael Volle, Simon Rattle und Anja Kampe mit Symphonieorchester im Max-Littmann-Saal.
Foto: Julia Milberger | Michael Volle, Simon Rattle und Anja Kampe mit Symphonieorchester im Max-Littmann-Saal.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 30.07.2024 02:53 Uhr

Das war ein ganz erstaunliches sinfonisches Wochenende und ein durchaus luxuriöses Angebot: am Samstag Joana Mallwitz mit ihrem Berliner Konzerthausorchester und den Jussen-Brüdern – und mit Mendelssohn und Beethoven . Und am Sonntag Sir Simon Rattle mit seinem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Anja Kampe und Michael Volle – und mit einem konzertanten Stück Wagner-Oper und Brahms . Glücklich, wer für beide der Konzerte eine Karte ergattern konnte. Das hätten zwei Schlusskonzerte sein können. Aber es kommt ja noch eine Woche.

Imposanter Einstieg mit dem Walkürenritt

Die Eröffnung des Sonntagskonzerts war schon ein ziemlicher Paukenschlag: Richard Wagners „Walkürenritt“ aus seiner Oper „Die Walküre“, der zweiten Oper aus der Tetralogie „ Der Ring des Nibelungen “. Walküren waren in der nordischen Mythologie ja die Geisterwesen oder Odins Töchter, die besonders heldenhafte Helden nach ihrem Tod auf dem Schlachtfeld auswählten und sie nach Walhall an die Tafel Odins geleiten. Denn auch wenn sie tot sind, haben sie ja doch etwas zu feiern. Und wenn sich die Walküren treffen, um loszureiten zu ihren Helden, dann geht das nur mit ihren – heute allerdings belächelten – Hojotoho- und Heijaha-Rufen. Die blieben dem Publikum im Max-Littmann-Saal erspart, denn man hatte sich, nicht zuletzt aus organisatorischen und Kostengründen, für die Orchesterbearbeitung entschieden. Denn man hätte sonst sieben veritable Wagner-Sängerinnen. Die Kosten für ein paar Rufe ohne Inhalte hätten sich wirklich nicht rentiert. Die Münchner waren ohnehin schon mit dem vollen Besteck angereist. Allein schon vier Harfen standen im ersten Teil des Konzerts auf der Bühne.

Musiziert war der „Walkürenritt“ außerordentlich kraftvoll und plastisch mit einem ständig vorwärtsdrängenden Pulsieren, mit schneidendem Fortissimo, mit dem vor allem die Blechbläser Angst und Schrecken verbreiten konnten. Aber die Musik war nicht nur laut. Simon Rattle verstärkte den Eindruck der Gefährlichkeit durch wiederkehrende Rücknahmen der Lautstärke, um die Musik dann umso wirkungsvoller wieder heranrollen zu lassen. Das war absolut spannend und packend. Aber auch beklemmend, wenn man daran dachte, welche Rolle der „Walkürenritt“ als Beeindruckungsmusik in der Propagandamaschinerie des Dritten Reiches gespielt hat.

Brünhildes Strafe

Der anschließende Opernausschnitt aus der „Walküre“, die 3. Szene aus dem 3. Akt und damit das Finale, beendet zwar die Oper, ist aber einer der zentralen Punkte in der Tetralogie, denn sie setzt eine Entwicklung in Gang, die schließlich in die Katastrophe führt: Wotan trifft auf seine Tochter Brünhilde – auch sie ist eine Walküre – um sie zu bestrafen. Denn sie hat einen Befehl von ihm nicht umgesetzt. Wotan hatte gewollt, dass Hunding den Ehebrecher Siegmund im Kampf tötet, Aber aus Mitleid hatte Brünhilde Siegmund gewarnt. Das hatte letztlich nichts genützt, aber die Ungehorsamkeit war nicht mehr rückgängig zu machen. Strafe musste sein, obwohl Wotan lieber darauf verzichtet hätte. Und so versenkte Wotan Brünhilde auf einem Felsen in einen tiefen Schlaf und legte darum einen dichten Feuerkranz. Falls ihn jemand durchbrechen sollte, kann er Brünhilde heiraten (Natürlich kann einer: Sieglindes Sohn Siegfried).

Gefühlvolle Darbietungen

Die Begegnung von Vater und Tochter ist eine der emotionalsten Szenen, wie man sie bei Wagner nur selten findet. Und so war es gut, sie einmal nicht im Bayreuther Festspielhaus mit seinem Schalldeckel über dem Graben zu hören, sondern im unmittelbaren Kontakt zwischen Stimmen und Orchester. Und man konnte sich wirklich darauf konzentrieren, weil man weder von einer mehr oder weniger originellen Regie noch von einem mehr oder weniger fantasievollen Bühnenbild abgelenkt war. Und niemand fällt vor dem Anderen auf die Knie.

Sänger zeigten ihr Können

Anja Klampe und Michael Volle sind erfahrene „Wagner-Singende“, und das zeigten sie auch. Sie sangen mit allergrößter Sorgfalt, Stimmkraft und Emotionalität, was sie schon deshalb konnten, weil der Kontakt zu Dirigent und Orchester ein unmittelbarer war. Und Simon Rattle konnte, weil er sie unter direkter Kontrolle hatte, die eine oder andere gestalterische Freiheit lassen und unmittelbar reagieren. Natürlich begegnete er den Stimmen mit orchestralem Druck, aber nicht so stark, dass Kampe und Volle ständig forcieren oder gar brüllen mussten. Die Lautstärke war der emotionalen Intensität angemessen und nicht akustischen Notwendigkeiten. Andererseits hatte Rattle dank der Souveränität seiner Solisten auch Freiräume, die er für die Plastizität nutzte, insbesondere für Wagners Spiel mit den Leitmotiven. Schließlich tauchen in der Szene 17 verschiedene auf: mit zwölfmal am häufigsten das Waberlohe-Motiv (Waberlohe kommt vom altnordischen „vafrlogi“ und bedeutet „undurchdringlicher, ringförmig geschlossener Feuerwall“), gefolgt vom Unmuth-Motiv und Wälsungenliebe-Motiv (je 5-mal). Dass Wotans Scheidegruß-Motiv viermal auftaucht, zeigt, wie schwer er sich mit dem Abschied von seiner Tochter tat. Die Oper hätte gerne weitergehen können.

Ein Stück mit Humor und Leichtigkeit

Dafür kam Johannes Brahms  mit seiner 2. Sinfonie . Und Simon Rattle zeigte mit seinem Orchester genau das, was die Wiener bei der Uraufführung so begeistert und die Leipziger bei der zweiten Aufführung so verstört hatte: die Leichtigkeit des musikalischen Seins, den Humor und ein wenig auch den Übermut von Brahms nach der überraschend guten Aufnahme seiner 1. Sinfonie . Schon der erste Einsatz der Kontrabässe und Hörner wirkte wie ein gutgelaunter Aufbruch. Und die Durchführung bekam statt Konflikten viele Klangfarben und dynamische Kontraste. Geradezu gemütlich geriet der Einstieg in den dritten Satz, das Allegretto grazioso, den die Oboe mit einer launigen Ländlermelodie eröffnete, die  immer wieder variiert wurde. Das Tänzerische setzte sich fort im vierten Satz, in dem ein paar Explosionen für den fortwährenden Vortrieb sorgten – bis es in der Coda dann wirklich laut wurde.

„Haben Sie noch drei Minuten?“, fragte der notorische Fußballfan Simon Rattler am Ende das Publikum. Schließlich waren seine „Three Lions “ schon längst im Berliner Olympiastadion aktiv. Und deshalb reichte die Zeit nur für Antonín Dvořáks Slawischen Tanz Nr. 2. Das Orchester spielte dann noch zum Auszug „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Aber damit hatte der Chef schon nichts mehr zu tun.

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Kissinger Sommer: Michael Volle, Simon Rattle und Anja Kampe       -  Michael Volle, Simon Rattle (rechts) und Anja Kampe mit Symphonieorchester im Max-Littmann-Saal.
Foto: Thomas Ahnert | Michael Volle, Simon Rattle (rechts) und Anja Kampe mit Symphonieorchester im Max-Littmann-Saal.
 
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