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Bad Kissingen
Kissinger Sommer mit "In Medias Brass"
Das Blechbläserquintett kommt aus Budapest und hatte ein klassisches U-Programm mitgebracht. Allerdings spielten sie auch das Stück, das fälschlicherweise für das ungarischste aller gehalten wird: "Csárdás" des Italieners Vittorio Monti.
Open-Air-Konzert im Hotelgarten des Kaiserhofs Victoria im Rahmen des Kissinger Sommers.       -  Open-Air-Konzert im Hotelgarten des Kaiserhofs Victoria im Rahmen des Kissinger Sommers.
Foto: Gerhild Ahnert | Open-Air-Konzert im Hotelgarten des Kaiserhofs Victoria im Rahmen des Kissinger Sommers.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 05.09.2022 13:22 Uhr

Für die Open-Air-Konzerte im Hotelgarten des Kaiserhofs Victoria gibt es schon seit Jahren eigentlich nur noch zwei Alternativen: Entweder ist es kalt und der Himmel wolkenverhangen, und spätestens nach der Pause beginnt es zu tröpfeln. Oder vom strahlend blauen Himmel brennt die unerbittliche Sonne und löst einen bemerkenswerten Effekt aus: Die wunderbar in Reihen auf die Wiese gestellten Stühle bekommen Beine, denn fast jeder Besucher schnappt sich einen Stuhl und macht sich auf die Suche nach einem schattigen Platz unter den Bäumen oder im Schutz der Hecken. Zurück bleibt - bis auf kleine Widerstandsinseln der Sonnenanbeter - das leere "Rasenparkett".

Auf die Stimmung hatte das allerdings nicht den geringsten negativen Einfluss. Dazu war die Musik einfach zu gut. Zum ersten Mal gastierte beim Kissinger Sommer - die Formulierung signalisiert einen gewissen Wunsch nach Wiederbegegnung - das Blechbläserquintett "In Medias Brass" mit Richárd Kresz und Tamás Pálfalvi (Trompete), János Benyus (Horn), Attila Sztán (Posaune) und József Bazsinka jr. (Tuba). Und obwohl die Fünf aus Budapest kommen, hatten sie ein ganz klassisches U-Programm mitgebracht. Oder anders gesagt: Ein Cymbalom lauerte nicht im Hintergrund.

Ganz im Gegenteil: Das Konzert begann mit einer "Originalbearbeitung" des Komponisten: Mit vier Sätzen aus den "Alten Ungarischen Tänzen" von Ferenc Fárkas, den einige seiner Landsleute für den bedeutendsten ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts halten (die große Mehrheit nenn allerdings andere Namen). Das ist eine Musik, die in der "Intrada" beispielsweise die Klangwelt der Renaissance spiegelt, wie man das von Ottorino Respighi und seinen "Antiche Danze ed Arie" auch kennt. Die in ihren Tanzsätzen allerdings auch das 19. Jahrhundert aufgreift. Das waren nun nicht unbedingt die großen Stimmungsmacher, sondern solide gearbeitete Sätze. Und da sie sehr genau und klanglich außerordentlich rund und angenehm musiziert waren, spürte man, dass man sich auf das Kommende freuen konnte.

Etwa auf die Auszüge aus Emil Petrovics" "Cassazione" - ein schönes Beispiel, wie man aus ganz wenigen Elementen und einer pfiffigen Rhythmik eine höchst anregende, kurzweilige Musik machen kann. Da Béla Bartók - den übrigens die meisten Ungarn für ihren größten Komponisten des 20. Jahrhunderts halten, nichts für Bläserquintett geschrieben hat, spielten die Budapester eine Bearbeitung von zwei Sätzen aus den "Ungarischen Skizzen". "Ein Abend am Lande" war ein ruhig geblasenes, wunderbares Stimmungsbild, das in seinen Klangfarben weite Räume eröffnete für Assoziationen: Der "Üröger Hirtentanz" war nicht, wie erwartet, schnell und zündend, sondern zeigte, dass auch ein Hirte am Ende eines Arbeitstages nicht mehr herumspringen kann wie ein junger Spund.

Größer hätte der Kontrast nicht sein können zu Czaba Tüzkös "Kompanitsa alla rondo", einem Tanz aus dem östlichen Balkan, trotz des Tempos sehr weich angeblasen und damit schneller wirkend, als er tatsächlich war. Die Herausforderung an die Musiker, vor allem an die Tubisten , die für das Fundament sorgen: Er ist im Elfachteltakt gesetzt. Da heißt es, in dem strukturierten Klangnebel die Nerven zu behalten. Manche Zuhörer versuchten mitzuzählen - allerdings nicht immer mit Erfolg.

Das wäre leichter möglich gewesen bei Zóltan Kodálys "Abendlied", ursprünglich ein Chorsatz, in dem die Mischung der Klangfarben zum Genuss wurde. Der entstand bei Lászlo Dubrovays "Hexentanz" nicht nur durch das aberwitzige Spiel, sondern auch durch die zusätzlichen Geräusche der Instrumente, die das aufgeregte Geschwätz und Gekicher der Hexen köstlich erfahrbar machte.

Und schließlich die große Wunde in der Seele der Ungarn: Das Stück, das gerne, aber fälschlicherweise für das ungarischste aller gehalten wird: "Csárdás" des Italieners Vittorio Monti. Entsprechend beiläufig waren die wilden Läufe gespielt, nach dem Motto: "So toll ist das nun auch wieder nicht." Ja, wenn's von einem Ungarn wäre!

Der zweite Teil führte zu großen Teilen über den Atlantik, wo sich die fünf Herren auch als Jazzer vorstellen konnten wie bei Gorge Gershwins "Love ist Here to Stay" oder " I Got Rhythm", wo sich die fünf Musiker als elementare Rhythmiker präsentieren konnten, die die Musik zum Swingen brachten. Oder bei "Jive for Five", einer Originalkomposition des Amerikaners Paul A. Nagle, dessen Jazz Waltz so manchen zum Schmunzeln brachte. Dagegen wirkten die drei Sätze aus der "Suite Americana" von Enrique Crespo fast ein bisschen bieder. Aber Astor Piazzollas "Libertango" überstrahlte natürliche alles. Das war musikalische Intensität pur.

 
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