Seien wir mal ehrlich. Zum letzten Kammerkonzert des Kissinger Sommers 2024, zu einer Sonaten-Matinee im Rossini-Saal, ist man doch nicht mit wirklich gespannten Erwartungen gegangen. Denn die koreanische Geigerin Bomsori Kim ist in Deutschland noch nicht allzu bekannt geworden, obwohl sie nicht nur 2013 den ARD-Wettbewerb gewann, sondern auch bei anderen großen internationalen Wettbewerben erfolgreich abschnitt. Und Fokuskünstlerin des Rheingau-Festivals 2022 wird man ja auch nicht so einfach. Und die Einladung zu den BBC Proms im vergangenen Jahr war ja auch ein Ritterschlag der besonderen Art. Von ihrem Klavierpartner , dem Polen Rafał Blechacz, weiß man mehr, denn in Bad Kissingen war er zuletzt im vergangenen Festival beim Eröffnungskonzert mit Kent Nagano und dem Deutschen Symphonieorchester Berlin. Vorher kannte man ihn vor allem als Experten für Chopin und die ihn umkreisenden Wettbewerbe, insbesondere Warschau.
Aber auch das Programm war auf den ersten Blick nicht der große Straßenfeger: Sonaten von Wolfgang Amadeus Mozart , Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms , alles Werke, die auch in Bad Kissingen schon mehrfach aufgeführt wurden. Immerhin gab’s zum Abschluss die Sonate für Violine und Klavier d-Moll op. 9 von Karol Szymanowski. Die war hier noch nie zu hören.
Ein Ritt durch die Musikgeschichte
Aber die Matinee wurde durchaus zu einer kammermusikalischen Sensation. Sie wurde zu einem Ritt durch die Musikgeschichte und die Emotionen gleichermaßen. Musikgeschichte insofern, als die beiden Sonaten des ersten Teils noch aus einer Zeit stammten, als die Violine auf die Aufgabe reduziert war, den etwas dürftigen Diskant der Tasteninstrumente zu verstärken. Zu erkennen ist das schon an dem Titel: Sonate für Klavier und Violine. Die beiden anderen Sonaten wurden komponiert, als die beiden Instrumente gleichberechtigt waren – das begann schon zu Mozarts und Beethovens Lebzeiten – und so rückte die Violine vermutlich aus Gründen der Höflichkeit an die erste Stelle.
Perfektes Zusammenspiel
Man merkte schon bei den ersten Tönen, dass es sich absolut gelohnt hatte zu kommen. Denn es war durchaus sensationell, wie Bomsori Kim und Rafał Blechacz zusammen musizierten. Sie kennen sich seit über zehn Jahren und haben in ihrem Spiel zu einer Perfektion und Übereinstimmung gefunden, die verblüffend ist. Und sie sind auch beide technisch derart gut, dass sie bei der Gestaltung nie an ihre Grenzen gehen müssen und aus dem Vollen schöpfen können. Wie bei Mozarts Sonate für Violine und Klavier Nr. 17 C-Dur KV 296, die er in Mannheim geschrieben hat. Hier waren die Rollen hörbar klar verteilt. Denn nach köstlichen Verbeugungsfiguren übernahm Rafał Blechacz mit leichtem, federndem Anschlag die melodische Führung, während Bomsori Kim gar nicht versuchte, bei ihren Einwürfen sich in den Vordergrund zu drängen, sondern wie eine schnippische Despina selbstbewusst und ein bisschen ironisch einfach nur Widerwort gab. Da musste man sich das Lachen verkneifen. In dem sanglichen Adagio durfte die Violine schon mehr sagen, denn Sanglichkeit ist mit einem Streichinstrument leichter herzustellen. Und Bomsori Kim sang mit blitzsauberen, unangestrengten Doppelgriffen, ließ sich dynamisch auch mal hinter das Klavier zurückfallen um des hierarchischen Friedens willen und lieferte einen Kontrast der Ruhe zum ersten Satz. Mit der war es im Finalrondo allerdings auch wieder vorbei. Denn das begann vergnüglich und ein bisschen verzwickt. Das Klavier nahm leichthändig Fahrt auf, die Violine folgte mit einer enorm virtuosen Staccato-Begleitung – der Schluss war fulminant, Despina war emanzipiert.
Es blieb spannend
In Beethovens Sonate für Klavier und Violine Nr. 1 D-Dur op. 12/1 war die Gleichberechtigung schon ein bisschen weiter. Da hatten sich die Dialogstrukturen deutlich verstärkt. Zwar hatte das Klavier den beherrschenden Part, aber die Violine hielt schon stärker dagegen. Da entstanden spannende dynamische Kurven und überraschende Klangfarben in allen Schattierungen bis hin zu hässlichen Geigentönen und einem harten Fortissimo-Schluss. Den lyrischen, singenden Einstieg in den Variationensatz durfte auch hier die Violine übernehmen. Aber schon in der dramatischen dritten Variation musste sich das Klavier in den Vordergrund kämpfen, wo es sich aber nicht halten konnte. Der Satz endete versöhnlich und leise. Das Schlussrondo, das wieder das Klavierbegann, brachte die Pfiffigkeit des Beginns zurück mit kleinen Explosionen und köstlichen Betonungen und einem federnden Vortrieb. Auch über Beethoven durfte geschmunzelt werden.
Energetische Interpretation von Brahms
Es war zu erwarten gewesen, dass Bomsori Kim und Rafał Blechacz die Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 d-Moll op. 108 von Johannes Brahms nicht zu einem Staatsakt machen würden, sondern dass sie zeigen würden, dass man dieses Werke auch gerne spielen kann. Denn Rafał Blechacz behielt seinen trockenen, farbigen und federnden Anschlag, und Bomsori Kim verzichtete auch hier weitgehend auf ein üppiges Vibrato. Dennoch gelang es beiden, die Aspekte der Romantik in langen Bögen herauszuarbeiten und auch noch zupackend zu musizieren. Dass in dieser Brahms-Sonate so viel vorwärtstreibende Energie stecken würde, so viel Konfliktpotenzial steckte, das auch mit großer darstellerischer Kraft ausmusiziert wurde, kam überraschend. Und man musste schmunzeln, mit welchem Zugriff Bomsori Kim und Rafał Blechacz durch die rhythmisch enorm schwierigen Synkopen des dritten Satzes fegten. Da war sogar Brahms seinerzeit selbst einmal rausgeflogen.
Ein fulminantes Ende
Und zum Schluss ein echter Kracher – und neu in Bad Kissingen: die Sonate für Violine und Klavier d-Moll op. 9 von Karol Szymanowski, ein Frühwerk, das fast plakativ geprägt ist von starken Konflikten zwischen den Instrumenten. Für Bomsori Kim und Rafał Blechacz war das genau das Richtige: Sie nahmen die Auseinandersetzung an, spielten mit enormem Druck und Zugriff miteinander, aber auch gegeneinander und ignorierten dabei die ständig wachsenden Schwierigkeiten. Die Musik wurde grell, hysterisch, jeder Takt wurde zum Überfall. Und das in einer virtuosen Perfektion der beiden, die zusätzlich atemlos machte. Zur Beruhigung und zum Runterkommen gabs noch Frédéric Chopins Nocturne op. 72/1 in einer Bearbeitung für Violine und Klavier.