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Bad Kissingen
Kammerakademie Potsdam in der Erlöserkirche
Die Kammerakademie Potsdam spielte beim Kissinger Sommer ein abwechslungsreiches Konzert in der Erlöserkirche in Bad Kissingen. Mit welchen Stücken das Ensemble überzeugte.
Kissinger Sommer: Kammerakademie Potsdam       -  Die Kammerakademie Potsdam in der Erlöserkirche in Bad Kissingen.
Foto: Gerhild Ahnert | Die Kammerakademie Potsdam in der Erlöserkirche in Bad Kissingen.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 02.08.2024 02:44 Uhr

Man könnte fast ein  Preisrätsel daraus machen: Wann und mit wem war die Kammerakademie Potsdam (im Folgenden: KAP) schon einmal zu Gast beim Kissinger? Fällt es Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, spontan ein? Waren Sie vielleicht am 23. Juni 2017, dabei, als die KAP im Luitpoldpark auf die große Freilichtbühne kam, um einen etwas undankbaren Part zu übernehmen: als Begleitorchester von Punkgeiger Nigel Kennedy und seiner Band, die bei ihrem „Jimmy Hendrix Project“ einen derartigen (kreativen) Krach veranstaltete, dass die sich redlich bemühenden Potsdamer nur sehr selten zu hören waren. Sie müssen ihre Sache damals gut gemacht haben, sonst  wären sie vermutlich öfter zu hören gewesen.

Jetzt, bei ihrem Konzert in der Erlöserkirche und ohne Nigel Kennedy , um den es in letzter Zeit doch ein bisschen ruhiger geworden ist, war die KAP ihr eigener Herr. Man konnte sie ungehindert hören – und genießen. Sie war ohne ihren Chefdirigenten Antonello Manacorda gekommen; Konzertmeisterin Yuki Kasai leitete des Ensemble vom ersten Pult – und das mit deutlicher Gestik und sehr viel Effizienz. Wobei man allerdings auch den Eindruck hatte, dass die KAP eine sehr eng zusammengewachsene Truppe ist, die sich aufeinander verlassen kann.

Eine Reise durch die Jahrhunderte

Die KAP ist kein erklärtes Ensemble für Alte Musik, sondern spielt quer durch die Jahrhunderte (siehe Nigel Kennedy ) und bedient sich dabei ihres Alltagsinstrumentariums – und auch eines modernen, warmen, weichen Klangs. Es gibt durchaus historische Ensembles, die wesentlich schärfer artikulieren (vor allem die Italiener). Aber den Potsdamern scheint es nicht um historische Annäherung, sondern um  spannende und schlüssige Unterhaltung sie gehen. Auch sie spielen mit starken dynamischen Kontrasten und einer expressiven Gestik, die durch das Spielen im Stehen natürlich begünstigt wird, und kommen auf diese Weise zu einer immer gut durchhörbaren, konsequent inszenierten Musik.

Musik mit Charme

Das Hauptthema ihres Programms lag dieses Mal auf dem 18. Jahrhundert, und es begann mit einer Überraschung: „Ach, das ist von dem!“, dachte man sich, als man die ersten, nicht unbekannten Takte gehört hatte: vom preußischen König Friedrich II. , dem die Nachwelt den Beinamen „der Große“ verpasste. Seine Sinfonie Nr. 3 D-Dur ist deshalb erstaunlich , weil man nicht so recht nachvollziehen kann, wie aus dem begabten Flötisten und Musenfreund ein verheerender Militärstratege („der Große“) werden konnte, der nicht nur drei Schlesische Kriege  führte, sondern auch den Siebenjährigen Krieg, dass er mitten im letzteren Krieg seine D-Dur-Sinfonie schreiben konnte. Offenbar ging’s; Putin spielt ja auch Klavier – glaubt zumindest er. Das Ergebnis ist jedenfalls sehr kriegsfern, charmant im Grundton und absolut konfliktfrei und, in den vielen Wiederholungen, auch etwas floskelhaft. Und die KAP schaffte es, den etwas naiven Charme dieser Musik  mit viel Leichtigkeit und Schwung zum Klingen zu bringen und mit einer starken Dynamik lebendig zu machen.

Wenn man durch Musik in Geschichten eintaucht

Einen Seitensprung in die Moderne gab es doch: Giovanni Solimas „ Federico II.“ Das bezieht sich nicht auf den preußischen König, sondern auf den Staufer Friedrich  II., den deutschen Kaiser und König beider Sizilien im der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein kurzes, aber tolles Werk für Streichorchester. Die Celli und Bässe eröffnen es mit geradezu archaischen brutalen Akkorden, die die übrigen Streicher allmählich übernehmen, sodass sich eine galoppierende Rhythmik entwickelt. Da sieht die Fantasie schnell den Kaiser auf seinem Pferd, der durch die karge, staubtrockene Landschaft auf seine monumentale Burg Castel del Monte zureitet, aber nicht in der milden Abendsonne, sondern in der brütenden Mittagshitze.

Eine Flötistin der Extraklasse

Und dann der Schwenk nach Berlin, zu Carl Philipp Emanuel Bachs Flötenkonzert d-Moll Wq 22 mit der Solistin Silvia Careddu. Schon die beiden Ecksätze allein wären, wie der erste Satz mit seinen Sturm- und Unwettermotiven,  eindrucksvoll gewesen mit der enormen Virtuosität, mit der sich die Flötistin bestens und vermeintlich mühelos gegen die Streicher behauptete, in denen sie unglaublich lange stark verzierte Passagen spielte und dabei offenbar nie atmen musste, mit der sie sich, immer in engstem Kontakt mit dem Orchester, auf geistreiche, zum Teil sogar witzige Dialoge einließ und ganz einfach, wie auch das Orchester, mitreißend spielte. Man verstand, warum CPE Bach zu Lebzeiten berühmter und beliebter war als sein Vater. Aber das trotzdem herausragende Erlebnis war der langsame Mittelsatz. Sehr langsam und doch spannend musiziert, ungemein poetisch und sanglich im Ton, jeder Ton genau auskalkuliert und formuliert und hochemotional gestaltet im absoluten Einverständnis zwischen Solo und Orchester. Das Ergebnis: einer der schönsten langsamen Sätze aus dieser Zeit.

Perfektes Zusammenspiel mit dem Orchester

Und dann kam Stefan Dohr mit dem Hornkonzert Nr. 3 Es-Dur KV 447 von Wolfgang Amadeus Mozart . Man übertreibt nicht mit der Behauptung, dass man derzeit in Deutschland keinen besseren Hornisten findet. Und so spielte er auch: nur ein winziger Pickel auf einem unbedeutenden kleinen Ton! Das muss man erst einmal schaffen. Und auch die Abstimmung mit dem Orchester war perfekt: Man hörte aufeinander, man reagierte aufeinander und schuf so eine absolut schlüssige Deutung eines wirklich bekannten Werkes mit enorm vielen Facetten.

Aber trotzdem irritierte Stefan Dohr ein wenig. Vermutlich hat er das Konzert schon so oft gespielt, dass er nicht mehr groß darüber nachdenken muss und schon gar nicht mit ihm kämpfen muss. Er weiß schon vorher, dass die Sache funktionieren wird, er kann sich da selbst nicht mehr überraschen. Und dadurch schleicht sich in sein tolles Spiel auch ein wenig der Eindruck der Distanz. Verzeihlich bei diesem Niveau.

Haydn bildete den Abschluss

Zum Schluss gab’s noch Haydn , seine Symphonie Nr. 53 D-Dur Hob. I:53, genannt „L'impériale“. Sie war so musiziert, wie man Haydn gerne hört, aber nicht immer bekommt: federnd, vorwärts gerichtet, mit sinnstiftenden starken dynamischen Differenzierungen in den Ecksätzen und mit glasklarem Ton – „endlich“ auch mit Pauken. Fast wie eine Buffo-Arie aus einer Mozartoper- vielleicht hatte Haydn den „ Don Giovanni “ im Ohr, klang das Andante. Das Menuetto ironisierte ein bisschen die tänzerische Grundierung mit kräftigen Pauken und vollmundigen Tutti. Und das Finale – fast hatte man’s geahnt, zog fast aus dem Nichts heran in spannenden, bestens strukturierten Schritten und mündete in einen kleinen Witz: Nach einem Scheinschluss ließ sich das Hauptthema an einem allerletzten Faden gerade noch einfangen. Sehr engagiert farbig gespielt. Aber gerade deshalb wurde deutlich, dass Haydn hier viel mit Wiederholungen arbeitete. In anderen Sinfonien ist ihm ganz einfach mehr eingefallen. Aber trotzdem ein wunderbarer Abschluss eines stimmungsvollen Konzerts .

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