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Bad Kissingen
Wie politisch ist der Kissinger Sommer, Herr Steinbeis?
Antisemitismus beim Eurovision Song Contest, Konsequenzen für pro-russische Künstler: Intendant Alexander Steinbeis erklärt, warum er manche Künstler nicht einladen würde - und dass die Techno-Nacht zu seinen Highlights gehört.
'Ich hab noch einen Koffer...', das ist das  Motto des Kissinger Sommers 2024, dessen Programm zum dritten Mal Intendant Alexander Steinbeis zusammengestellt hat.       -  'Ich hab noch einen Koffer...', das ist das  Motto des Kissinger Sommers 2024, dessen Programm zum dritten Mal Intendant Alexander Steinbeis zusammengestellt hat.
Foto: Susanne Will | "Ich hab noch einen Koffer...", das ist das Motto des Kissinger Sommers 2024, dessen Programm zum dritten Mal Intendant Alexander Steinbeis zusammengestellt hat.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 31.05.2024 03:07 Uhr

Noch fünf Wochen, dann eröffnet Alexander Steinbeis „seinen“ dritten Kissinger Sommer . Der Intendant im Interview zu Pleiten, Pech und Pannen, lebenswichtige WhatsApp-Gruppen, die Höhe der Künstlergagen und wie die Kultur sich immer mehr mit Politik auseinandersetzen muss.

Sind Sie nervös, Herr Steinbeis?

Ein bisschen. Vor einer so intensiven Zeit stehe ich immer ein wenig unter Anspannung: Geht alles so auf, wie wir uns das vorgenommen haben? Bleiben alle gesund? Wie werden die Konzertangebote angenommen? Spielt das Wetter mit? Ein Festival ist immer auch mit Überraschungen und nicht absehbaren Situationen verbunden – dazu gehört dann eine enorme Konzentration.

Keiner von uns war in seinem Leben mal Intendant eines der wichtigsten Klassikfestivals der Welt.  Geben Sie uns doch mal einen Einblick in Ihren momentanen Alltag und das, was Sie erwartet.

Auch wenn viel zu tun ist, fühlt es sich gerade ein wenig an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Ich werfe täglich einen Blick auf die Verkaufszahlen, wir besprechen unzählige Details rund um die Organisation der Konzerte: Wann und wie reisen die Künstler an und ab, Bühnenpläne, Technik, Probendisposition bis hin zu den Empfängen nach den Konzerten.

Ich bemühe mich sehr, bei allen Themen ausreichend Bescheid zu wissen, um immer in der Position zu sein, reagieren zu können. Wir haben ein fantastisches Team – diese wunderbare Mannschaft soll frei und eigenverantwortlich handeln können. Das ist mir extrem wichtig.

Das setzt aber auch voraus, dass Sie Vertrauen zu Ihren Leuten haben.

Hundertprozentiges – anders geht es auch nicht. Die finale künstlerische Verantwortung trage ich und ich bin keiner, der ständig eingreift. Aber ich muss in allen Themen fit sein, weil ich erkennen muss, wann man möglicherweise steuern oder eingreifen sollte.

Das stelle ich mir sehr umfangreich vor.

Ja, in der Tat. Natürlich gibt es Bereiche, da fühle auch ich mich etwas überfordert, zum Beispiel wenn unsere Sponsoren Fragen zur Umsatz- oder Mehrwertsteuerpflichtigkeit haben – da bin ich dann raus. Zum Glück haben wir da unseren erfahrenen Referatsleiter Thomas Lutz , der ist darin fit – wie in so vielem anderen auch.

Eine meiner Hauptaufgaben, die ich sehr ernst nehme, ist der direkte Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern. Sie reisen ja aus der ganzen Welt an, wir holen sie von den verschiedenen Bahnhöfen und Flughäfen ab und bringen sie nach Bad Kissingen. Da bin ich bei der Ankunft gerne präsent und begrüße gleich zu Beginn persönlich, wenn es die Zeit erlaubt. Von diese Menschen werden Höchstleistungen erwartet, da sollen sie sich so wohl wie möglich fühlen.

Nun reisen ja manche wirklich auch kurz vor knapp an -  wie organisieren Sie sich da?

In einer von vielen WhatsApp-Gruppen mit meinem Team. Fünf Menschen sind in der Gruppe für den künstlerischen Betrieb. Da wird jedes Update, jede Veränderung dokumentiert. Wenn es heißt, in einer halben Stunde komme der Bus mit dem BBC Symphony Orchestra im Hotel Frankenland an, dann macht sich eine Kollegin auf den Weg, checkt noch mal, ob die Zimmerschlüssel in alphabetischer Reihenfolge für die Orchestermitglieder ausliegen und alles bereit ist. Wenn ich kann, schaue ich selbst auch im Hotel vorbei. Ich möchte den Menschen so nah wie möglich sein. Und auch so nahbar wie möglich.

In Berlin bei der Vorstellung des neuen Kissinger-Sommer-Programms: Intendant Alexander Steinbeis und Kuratoriumsvorsitzende Dorothee Bär       -  In Berlin bei der Vorstellung des neuen Kissinger-Sommer-Programms: Intendant Alexander Steinbeis und Kuratoriumsvorsitzende Dorothee Bär. Sie hat ihm einen 'Koffer aus Berlin' geschenkt.
Foto: Julia Milberger | In Berlin bei der Vorstellung des neuen Kissinger-Sommer-Programms: Intendant Alexander Steinbeis und Kuratoriumsvorsitzende Dorothee Bär. Sie hat ihm einen "Koffer aus Berlin" geschenkt.

Könnte es sein, dass diese Eigenschaft, nahbar zu sein, eins Ihrer Alleinstellungsmerkmale ist und deshalb auch so viele Künstler von Weltrang dem Kissinger Sommer den Zuschlag geben?

Möglicherweise. Aber für mich ist das der einzig gangbare Weg. Das Festival ist meine Herzensangelegenheit und ich sehe mich als Überzeugungstäter. Wir verfügen glücklicherweise über die schönsten Konzertsäle der Welt, befinden uns aber dennoch an einem beschaulichen Ort und eben keiner Metropole. Deshalb ist es umso wichtiger, ab dem ersten Moment  auszustrahlen, wie sehr wir die Künstlerinnen und Künstler willkommen heißen.

Gelöste Stimmung nach dem Konzert: Intendant Alexander Steinbeis (im Sommer blond) und Sopranistin Carmela Remigio, die ihm nach getaner Arbeit („ich fühle mich wie nach einem Marathon“) um den Hals fiel.       -  Gelöste Stimmung nach dem Konzert: Intendant Alexander Steinbeis (im Sommer blond) und Sopranistin Carmela Remigio, die ihm nach getaner Arbeit („ich fühle mich wie nach einem Marathon“) um den Hals fiel.
Foto: Susanne Will | Gelöste Stimmung nach dem Konzert: Intendant Alexander Steinbeis (im Sommer blond) und Sopranistin Carmela Remigio, die ihm nach getaner Arbeit („ich fühle mich wie nach einem Marathon“) um den Hals fiel.

Vor Ihnen liegen fast fünf Wochen Festival, die Ihnen persönlich auch einiges abverlangen. Wie anstrengend wird’s?

Naja – ziemlich! Während des Festivals schlafe ich selten mehr als fünf Stunden pro Nacht. Tagsüber Proben, Abends die Konzerte, danach oft Essen mit den Künstlern oder Empfänge, bis ich dann zuhause bin und Ruhe finde, ist es schnell 2 Uhr. Ich trinke während der Zeit keinen Tropfen Alkohol, versuche, morgens zu joggen. Aber oft bleibt es beim frommen Vorsatz. In den letzten zwei Jahren habe ich während der Festivalzeit immer ein paar Kilo abgenommen – ein willkommener Nebeneffekt.

Vor allem, wenn kurzfristig ein Künstler absagen muss, müssen Sie auf Hochtouren laufen.

Wie 2022. Pianist András Schiff hatte Corona bekommen. Etwa 850 Menschen wollten genau diesen Künstler sehen und Karten für den Abend gekauft. Hier hilft es, in der Branche über ein starkes Netzwerk zu verfügen. Somit konnten wir den ebenfalls hervorragenden Pianisten Pierre-Laurent Aimard als Einspringer verpflichten. Der schaffte es, trotz echter Widrigkeiten innerhalb eines Tages von Südfrankreich nach Kissingen zu reisen. Er kam an, spielte sich warm – und schon begann auch schon das Konzert.

Locken Sie dann auch mal mit höheren Gagen ?

Nein, das kann ich gar nicht. Jede Vereinbarung ist individuell – und mein Budget wird auch bei solchen Vorkommnissen nicht erhöht.

Wie hoch ist es denn?

Die Stadt ist Trägerin des Festivals. Mit den zusätzlichen Beiträgen von Freistaat, Landkreis, Bezirk, Förderverein und Sponsoren sowie durch den Ticketverkauf kommen wir auf etwa 2,3 Millionen Euro. Davon werden auch die Gehälter des Teams gezahlt, Honorare, Logistik, Reisen, Hotels, Technik und vieles mehr.

Die Gagen verschlingen den Hauptteil?

So ist es.

Was kriegt man denn so beim Kissinger Sommer ?

Die Bandbreite ist enorm, die Größenordnungen hängen natürlich vom Renommee und Standing der Künstler ab. Los geht es bei um die 1.000 Euro für einen Auftritt.

Und die Stars?

Ohne ins Detail gehen zu wollen und zu können: Die bekommen ein weitaus Vielfaches von einem solche Betrag. Das spiegelt sich dann in den Kartenpreise wieder. Wir müssen uns klar machen: Das sind gefragte Künstler, die sich aussuchen können, wo sie auftreten wollen. Glücklicherweise sind wir als Festival aber bei vielen so bleibt, dass sie schon auch mal für ein etwas geringeres Honorar zu uns kommen, als anderenorts.

Ich rate jetzt mal: Läge ich mit um die 25.000 Euro für einen Auftritt in etwa richtig?

Die Dimension ist nicht ganz falsch, aber derartige Gagen sind selten – Gott sei Dank.

An der Kultur geht die Weltentwicklung nicht vorbei. Kommen russische Künstler diesen Sommer nach Kissingen?

Ja, zum Beispiel der Dirigent Tugan Sokhiev kommt. Aber Nationalität ist für mich gemeinhin kein Kriterium.

Hätten Sie jemanden wie die Opernsängerin Anna Netrebko auch engagiert – wenn Sie sie sich hätten leisten können?

Nun, es gibt bestimmte Künstler wie beispielweise Frau Netrebko, die wegen ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Nähe zum russischen Präsidenten nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine vom Westen fallengelassen wurde. Ich hätte sie auch nicht engagiert. Daran sieht man aber auch: Wir müssen uns in der Kultur zunehmend positionieren, auch politisch.

Opernsängerin Anna Netrebko       -  Steht wegen ihrer angeblicher Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Kritik: Anna Netrebko.
Foto: Barbara Gindl/APA/dpa | Steht wegen ihrer angeblicher Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Kritik: Anna Netrebko.

Haben Sie den Eurovision Song Contest gesehen?

Natürlich. Der ESC wurde zu einer politischen Veranstaltung, was er nie sein wollte. Es war beschämend, was die junge israelischen Sängerin durchmachen musste. Ich bin fassungslos über den zunehmenden Antisemitismus, natürlich nicht nur in der Kulturbranche. Hätten wir heuer israelische oder jüdische Künstler, würde ich natürlich zu ihnen stehen, ihnen beistehen. Gleichwohl würde ich auch hoffen, sie nicht verteidigen zu müssen. Das Programm für den Kissinger Sommer 2024 stand schon lange vor dem 7. Oktober.  

Einen prominenten jüdischen Künstler haben die Kissinger-Sommer-Besucher groß werden sehen: den Pianisten Igor Levit.

Natürlich, der war ja damals Preisträger beim Kissinger Klavier-Olymp und hat oft bei unserem Festival gespielt.

Aufgrund seiner Bekanntheit, ist die Aufmerksamkeit groß, wenn er sich politisch äußert. Macht es das leichter oder schwerer, mit Künstlern zu arbeiten, die sich politisch zu Wort melden?

Wir leben in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit glücklicherweise ein hohes Gut ist. Dass Künstler wie ein Igor Levit oder beispielsweise auch die großartige Geigerin Lisa Batiashvili sich äußern ist ihr gutes Recht und wie ich finde oft auch sehr mutig.

Igor Levit       -  Der Pianist Igor Levit lebt in Berlin. Er positioniert sich deutlich politisch.
Foto: Britta Pedersen/dpa | Der Pianist Igor Levit lebt in Berlin. Er positioniert sich deutlich politisch.

Was sind Ihre persönlichen Highlights 2024?

Das ist wirklich schwer, denn jedes Konzert ist ein Baby, hat seine Geschichte, seine eigene Genese. Ich freue mich wirklich auf alle gleichermaßen. Besonders freue ich mich auf das Eröffnungswochenende mit dem BBC Symphony Orchestra , die zwei Symphoniekonzerte spielen und die Orchesterbasis für den „Symhonic Mob“ stellen. Sehr gespannt bin ich auch auf die Tanzmatinee am 21. Juli, bei der Désirée Nick zu ihren Wurzeln zurückkehrt und in ein Programm mit Werken von Bach, Mozart und Mendelssohn gemeinsam mit wundervollen Tänzerinnen und Tänzern eingebunden ist. Das Projekt wurde vom Choreographen Andreas Heise exklusiv für den Kissinger Sommer entwickelt - am 21. Juli findet die Uraufführung statt. Toll!

Sie sind ein Meister darin, auch die Moderne in den Kissinger Sommer einzubauen. Heuer sprechen Sie auch die Liebhaber elektronischer Tanzmusik an.

Jawohl, am 22. Juni gibt es als absolute Premiere einen Techno-Rave im Kurtheater. Es kommen fünf Berliner DJs, die Bühne wird zur Tanzfläche.

Aber warum? Es soll doch um Klassik gehen.

Natürlich soll es das. Aber unser Thema ist heuer Berlin. Und der Berliner Techno wurde vor wenigen Monaten zum immateriellen Unesco-Welterbe ernannt, so wie das Münnerstädter Heimatspiel. Bad Kissingen gehört seit bald drei Jahren U nesco-Welterbe – da ist die Verbindung. Also wann, wenn nicht jetzt? Und außerdem erhoffen wir uns natürlich auch den Gewinn einer neuen Zielgruppe.

Hören Sie gern Techno?

Ich tanze ganz gern zu Techno, was leider nicht ganz so oft vorkommt. Jüngst aber war ich in Berlin auf einem Rave und hatte großen Spaß.

Und Muskelkater?

Ein bisschen.

Das Publikum beim Rave wird natürlich ein anderes sein. Das erfordert auch andere Vorbereitungen, oder?

Selbstverständlich. Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf alle.

Wird Doro Bär als Kuratoriumsvorsitzende des Kissinger Sommers kommen?

Ich hoffe es! Und dann bin ich auf ihr Outfit gespannt. Klar, wir erwarten ein anderes und neues Publikum und sind mit einem klasse Team, das Security und Awareness einschließt, gut vorbereitet.

Das ist was genau?

Menschen, die auf Veranstaltungen darauf achten, dass es nicht zu Übergriffen oder belästigendem Verhalten kommt – oder im Zweifelsfall Betroffene unterstützen.

Damit muss man im Max-Littmann-Saal beim Konzert eher nicht rechnen.

Nein, und im Kurtheater gilt im Bezug auf den Rave: Safety first. Wir rechnen auch nur damit, dass wir zusammen mit hoffentlich vielen Techno-Fans eine fantastische Rave-Nacht feiern können. Darauf freue ich mich sehr.

Das bietet der Kissinger Sommer - unter anderem den Symphonic Mob, bei dem Laien mit Profis unter freiem Himmel gemeinsam musizieren. Und: Alle können mitmachen:

 
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