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Bad Kissingen
Kissinger Sommer: Es wird ernst um das Kunstlied
Bei der Liederwerkstatt wurde einmal mehr deutlich, dass es immer schwerer wird, die Sinnzusammenhänge zwischen Text und Musik zu begreifen. Auch der Humor scheint abhanden gekommen zu sein.
Von links: Steffen Schleiermacher, Axel Bauni, Dietrich Henschel, Julian Freibott, Sarah Aristidou, Sarah Maria Sun, Jan Philip Schulze und Márton Illés.       -  Von links: Steffen Schleiermacher, Axel Bauni, Dietrich Henschel, Julian Freibott, Sarah Aristidou, Sarah Maria Sun, Jan Philip Schulze und Márton Illés.
Foto: Gerhild Ahnert | Von links: Steffen Schleiermacher, Axel Bauni, Dietrich Henschel, Julian Freibott, Sarah Aristidou, Sarah Maria Sun, Jan Philip Schulze und Márton Illés.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 05.09.2022 18:37 Uhr

Es ist ja noch mal gut gegangen. Aber die Kissinger LiederWerkstatt stand dieses Jahr ziemlich auf der Kippe. Erst musste von den vier Gesangssolisten die Mezzosopranistin Esther Valentin-Fieguth coronabedingt absagen. Für sie fand Intendant Alexander Steinbeis relativ schnell Ersatz: Die Sopranistin Sarah Maria Sun und die Mezzosopranistin Christina Daletzka hatten Zeit und konnten die verwaisten Lieder übernehmen.

Aber dann sagte drei Tage vor dem ersten Konzert auch noch der Bariton Mikhail Timoschenko ab. Auch er war positiv getestet worden. Da musste dann schon das Glück mitspielen. Schließlich erklärte sich Dietrich Henschel - das Glück hatte also mitgespielt - bereit, seinen Urlaub in der Toskana zu unterbrechen und nach Bad Kissingen zu kommen. Aber die Anreise geriet zu einer dreitägigen Odyssee quer durch Europa. So hatte er nur noch den Vormittag vor dem zweiten Konzert Zeit, alles einzustudieren. Aber er ist halt ein Profi. Nicht überraschend, dass das erste Konzert auf eine Stunde ohne Pause gekürzt werden musste. Aber der positive Aspekt war: Die sechs Uraufführungen konnten gerettet werden.

Axel Bauni hatte bei den Einladungen der Komponisten wieder gemischt: drei der "Haus- und Hofkomponisten", nämlich Wolfgang Rihm , Manfred Trojahn und Steffen Schleiermacher . Aber es tauchten auch drei neue Namen auf dem Programm auf: Charlotte Bray, Johannes Maria Staud und Márton Illés. Auch in diesem Jahr war kein Dichter für die Vertonung vorgegeben - die Komponisten konnten nach ihrem Gusto ihre eigene Wahl treffen. Die Interpreten waren schließlich Sarah Aristidou und Sarah Maria Sun (Sopran) Christina Daletzka (Mezzosopran), Julian Freibott (Tenor) und Dietrich Henschel (Bariton) sowie die drei Pianisten Axel Bauni, Steffen Schleiermacher und Jan Philip Schulze.

Wollte man ein Fazit ziehen, müsste es heißen, dass es um das Kunstlied immer ernster wird. Gut, die Zeiten sind nicht gut, aber die Komponisten haben schon weit vor Corona den Weg in die Innerlichkeit und Innenschau angetreten. Ein Phänomen, das auch der Musik ganz guttut und möglich ist, war nicht mehr zu entdecken: der Humor .

Früher war es etwa ein Wilhelm Killmayer, der dafür garantierte, dass man über Lieder schmunzeln oder auch lachen konnte, in den letzten Jahren zeigte auch Steffen Schleiermacher noch, dass die Kunst heiter sein kann. Aber dieses Jahr gab es nur noch Ernstes, wenn auch nicht ausschließlich Nabelschau. Charlotte Bray etwa richtete ihren Blick auf die Ukraine. Natürlich liegt diese Entwicklung auch an den Dichtern, die sich der unfreundlichen Wirklichkeit auch nicht immer entziehen können.

Ein anderer Trend, der anzuhalten scheint, ist die Zerschlagung oder zumindest Aufdröselung der Musik in Silben. Gut, die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Komponisten Melodien nicht verweigerten. Natürlich müssen die Lieder nicht wie Schubert oder Mahler klingen. Natürlich kann man sie nicht mehr nachpfeifen oder gar nachsingen - was bis ins 20. Jahrhundert durchaus ein Ideal war, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht der Komponisten. Aber es wird zunehmend schwerer, die Sinnzusammenhänge zwischen Text und Musik zu begreifen. Und es wird schwerer, die Musik als fortlaufendes Produkt zu erfahren, weil jeder neue Ton eine nicht abschätzbare Überraschung ist - was sich in der Uraufführungssituation noch weniger vermeiden lässt. Mal sehen, wie das weitergeht.

Wolfgang Rihm eröffnete die Reihe der Uraufführungen mit "Überwundene Zeit - Einige Lieder von Uwe Grüning ", gesungen und gespielt von Julian Freibott (Tenor) und Axel Bauni (Klavier). Wer Rihms Schaffen über die Jahre verfolgen konnte, bekam schnell den Eindruck, dass es sein privatestes Werk war - immer noch sprunghaft in Stimme und Klavier, aber sehr ruhig, suchend, mitunter in fahle Deklamation übergehend - was wohl Wolfgang Rihms gesundheitlicher Situation geschuldet ist. Der letzte, langsam gesungene Satz wirkt wie Bestätigung: "Du erschaust erst dein Glück, wenn es dich scheidend verlässt."

Manfred Trojahn wollte schon immer mal nach Brügge, das offenbar eine Faszination aus der Ferne auf ihn hat - aber es hat noch nie geklappt. Jetzt hat schon mal das Gedicht "Brügge" von Stefan Zweig vertont (Sarah Aristidou/Jan Philip Schulze). Der Anfang lässt Ortskenntnis vermuten, denn die Stadt liegt in einer mono tonen Ebene. Aber dann irritiert die Vertonung - zum einen, weil sie von der Sängerin unglaublich hohe, Töne verlangt, die den Text völlig verunklären, der gerade von stillen Wassern und stiller Stadt handelt. Ton und Text können ja kontrovers sein, aber dann müsste man letzteren eigentlich verstehen. Zum anderen, weil die Stadt zur Zeit von Stefan Zweig vielleicht, aber heute sicher nicht mehr, die in die Tiefe kletternden, sich verdüsternden Akkorde verdient.

Die Engländerin Charlotte Bray hat sehr dicht an ihren Texten entlangkomponiert, zwei Texte der ukrainischen Dichter Ostap Slyvynsky und Borys Humenyuk, "Latifa" und "Ein alter Maulbeerbaum bei Mariupol..." (Christina Daletzka/Steffen Schleiermacher ). Sie hat sehr plastisch, aber dennoch zurückhaltend die steigende Nervosität einer Mutter gestaltet, die ihrem Kind erklären muss, dass ihr Haus nicht mehr existiert, beziehungsweise die Resignation eines Maulbeerbaumes, unter dem früher Kinder gespielt haben und jetzt Kriegswaffen liegen.

Johannes Maria Staud hatte sechs Texte von William Carlos Williams unter dem Titel "Jittering Directions" ("Zitternde Richtungen") vertont (Sarah Aristidou/Axel Bauni). Besonders in Erinnerung blieb da "January" - zum einen, weil der Beginn sehr an Vivaldis "Winter" erinnerte. Vor allem aber, weil Sarah Aristidou da hart an ihre ohnehin schon weiten Grenzen in Sachen Höhe und Lautstärke gehen musste.

Natürlich schaffte sie es. Und der enorme Schalldruck ließ sich begründen aufgrund des Textes - wenn man ihn mitlesen konnte. Denn zu verstehen war da nichts mehr. War es Zufall, dass das nächste Lied "The Hard Listener" ("Der Schwerhörige") hieß?

Márton Illés hatte drei Gedichte von Felix Reinhuber ausgewählt (Sarah Maria Sun/Jan Philip Schulze). Der Wahl-Berliner, der sich selbst als "Anti-Liedkomponist" bezeichnet, hatte den Dichter vor einem halben Jahr in Paris kennen gelernt und war angetan von den musikalischen Elementen der Texte zwischen Warenhaus und Natur und den vielen Wortspielereien, Wobei "idea - ikea" durchaus das Zeug zur Ironie hat. Musikalisch fielen die Lieder aus dem Rahmen, weil Jan Philipp Schulze oft lange über den Flügel gebeugt war, um kreative Töne zu erzeugen, die mit den Tasten allein nicht zu erzeugen sind, etwa bei "grüngelbgeröll". Das fiel aus dem Rahmen.

Steffen Schleiermacher hatten es Texte des Tschechen František Halas angetan: "In kühlen Rosen fallen wir". Daraus sind fünf Lieder entstanden zwischen Melancholie und Zukunftssorge - in einer Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die für die Tschechoslowakei eigentlich erfolgreich war. Aber schon Titel wie "Giftige Landschaft" oder Sätze wie "Mit brennender Falschheit liebe ich diese Welt" und "Trotz der Gnade des Sehens so blind" deuteten auf die Stimmung hin.

Schleiermacher , der selbst am Flügel saß, hat diesem Pessimismus starke Klanggestalt gegeben und sich dabei trotzdem auf das Nötigste beschränkt. So hatte Dietrich Henschel viel Raum für eigene Expressivität und Stimmungsverdichtungen. Erstaunlich, wie intensiv und mit welcher Zielstrebigkeit er seinen nicht ganz einfachen Text sang, nachdem er nur einen Vormittag fürs Proben gehabt hatte. Aber sängerisch und pianistisch war diese Klang-Werkstatt ohnehin eine hochgradig runde Sache.

Bei den bereits komponierten Liedern zur Abrundung des Programms gewann das jüngste Werk den Pokal: fünf Nummern aus "Dreizehn Lieder nach Postkarten von Jurek Becker an seinen Sohn Jonathan" des Tschechen Miroslav Srnka. Kleine alberne, blödelnde, altkluge, kindische Aphorismen, mit denen ein Vater glaubt, das Interesse und den Tonfall seines kleinen Sohnes zu treffen.

Sarah Maria Sun, begleitet von Steffen Schleiermacher , machte daraus köstliche kleine Klang- und Stimmungsbilder. Allein schon mit der Gestaltung der Unterschriften "Dein Papa" erntete sie Lacher. Da war er dann doch, der Humor in der Neuen Musik.

Ansonsten ging's auch hier ernst zu: Alban Bergs "Die Nachtigall" oder Arnold Schönbergs "Erhebung" oder Viktor Ullmanns "Baise m'encor" standen unter anderem auf dem Programm. Viteslava Kaprálovás "Sbohem a Šateček" mit der Widmung "Der allerschönsten Stadt Prag zum Abschied" weckte Beklemmungen, weil der Text von Vitezslav Nezval aufgrund der biographischen Daten einen Holocaust-Hintergrund denkbar machte - in diesem Fall zu Unrecht. Der Beethoven-Zeitgenosse Jan Václáv Tomášek hatte die Metaphorik hinter Goethes "Heideröslein" - im Gegensatz zu Schubert - verstanden und vertonte die Entstehung einer Vergewaltigung.

Es erklangen Zoltán Kodálys ""Am Zenith des Lebens" und György Kurtágs "An die Parzen" aus seinen Hölderlin-Gesängen. Hanns Eisler war mit seiner Goethe-Vertonung "Was ich dort gelebt, genossen" und dem "Goethe-Fragment" vertreten, und natürlich durfte Gustav Mahlers anzügliches "Rheinlegendchen" nicht fehlen. Geplant war natürlich etwas mehr, musste aber aus dem Programm gestrichen werden. Das Personal wäre da gewesen. Was aber fehlte, war für die Einspringer die Zeit zum Einstudieren.

 
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