Wann war die Tschechische Philharmonie eigentlich das letzte Mal beim Kissinger Sommer ? Bei den Pragern ist das schwer zu sagen, weil sie in den letzten Jahren zwar immer mal wieder, aber in unregelmäßigen Abständen in den Regentenbau kamen. Wann auch immer dieses letzte Mal gewesen sein mag: Sie hatten sich auf einigen Positionen verjüngt und trotzdem ihren typischen weichen und doch klaren böhmischen Orchesterklang bewahrt - der schon aus historischen Gründen so gut zu Mozart passt.
Deshalb war die Ouvertüre zu "Idomeneo" ein wunderschöner Einstieg in das Konzert: mit vielen Klangfarben und Abtönungen, mit einer geradezu gemütlichen Dramatik, die zwar aufhorchen ließ, aber nicht verschreckte, und mit tänzerische Elementen. Tomas Netopil am Pult hatte es nicht schwer, sein Orchester auf diesem Kurs zu halten.
Und dann Mozarts Klavierkonzert d-moll KV 466. Es machte einfach großen Spaß, Leif Ove Andsnes bei diesem Konzert zu beobachten, gerade weil es so bekannt ist und man sich trotzdem Neues erwarten konnte. Was zuerst beeindruckte, waren die Ernsthaftigkeit und Konzentration, mit der der Norweger zu Werke ging, seine Zielstrebigkeit, mit der er die Pointen ansteuerte, seine mühelose Virtuosität, die ihn nicht einmal zögern ließ - und wenn, dann aus agogischen Gründen. Dann war es seine enge Kontaktaufnahme mit dem Orchester , die zu einem regelrechten Austausch von Ideen führte. Denn die Prager reagierten nicht nur sensibel auf das, was von Andsnes kam, sondern sie machten ihm auch Angebote. Es entstand ein Dialog, wie er nicht oft zu erleben ist.
Aber wirklich überraschend waren die beiden Kadenzen in den Ecksätzen. Die Beethoven-Kadenz im ersten Satz spielte Andsnes mit einem derart modernen, forcierten Zugriff, dass man gerne die Noten gehabt hätte, um sicher sein zu können, dass es wirklich Beethoven war. Ein tolles Stück Musik. Die Kadenz im Finale muss etwas Eigenes gewesen sein, denn sie war in ihrer erneuten Modernität so stark auf den Pianisten und seine Persönlichkeit zugeschnitten, dass etwas anderes eigentlich nicht in Frage kam. Aber am Ende kehrte Andsnes - welch ein Kontrast! - zu Mozart zurück, vielleicht, damit das Orchester merkte, wann es wieder einsetzen musste. Als Zugabe gab es einen Satz des Katalanen Federico Mompou.
Im zweiten Teil des Konzerts zeigte sich eine gewisse Schwäche der "lexikalischen" Programmgestaltung: Heute mal nur Komponisten mit "M". Natürlich hatte es einen gewissen Charme, dass die Prager die "Prager" spielten. Aber hätte es nicht auch eine andere Sinfonie von Mozart getan. Denn es ist nicht seine beste. Man wurde den Eindruck nicht los - und den konnten auch die Prager nicht beseitigen, dass Mozart Floskeln aneinandergehängt hat, um das Stück auf sinfonische Länge zu bringen, dass sich zuviel wiederholte, um das Interesse durchgehend wachzuhalten.
Natürlich hatte Tomas Netopil das eine oder andere überlegt, um gegenzusteuern, wie ein paar aufrüttelnde Paukenattacken. Aber insgesamt blieb er im mittleren Bereich der Gestaltung. Das klang in seinen einzelnen Teilen alles sehr schön, trug aber auch zum Abschweifen bei. Auf der anderen Seite hätte man sich den letzten Satz ein wenig weniger überstürzt und dafür tiefgründiger ausgeleuchtet vorstellen können. Aber wer weiß? Vielleicht drängte plötzlich die Zeit, denn das Konzert wurde im Deutschlandfunk direkt übertragen. Und vielleicht hatte der langsame, sehr schön gespielte zweite Satz den Zeitplan durcheinandergebracht.