Vor gut 30 Jahren war Alban Gerhardt das erste Mal beim Kissinger Sommer , und seitdem kam er nicht regelmäßig, aber immer mal wieder zurück. Da hat man sich daran gewöhnt, dass er nicht immer mit demselben Cello angereist ist - auch dieses Mal. Man hätte ihn natürlich gerne mit seinem Instrument, das der Venezianer Mateo Gofriller 1710 gebaut hat, gehört, denn das hat so einen wunderbaren Klang. Aber daraus wurde nichts. Denn das Cello erlitt vor kurzem einen Halsbruch - nicht wegen rabiater Behandlung durch den Eigentümer, sondern weil der Hals aus dem Leim gegangen ist - und ist zurzeit in celloärztlicher Behandlung.
Stattdessen bekam er in der letzten Woche ein Ersatzcello, ein höchst rätselhaftes Instrument: Ein Cristofori. Das ist ein Name, den in der Branche niemand kennt und über den auch im Worldwide Web nichts zu finden ist. Es gab einmal einen Cembalobauer Bartolomeo Cristofori (1655 - 1731) aus Padua. Er war der Erfinder der Hammerklaviermechanik. Sollte der ein paar übrig gebliebene Bretter zusammengesägt und zu Celli verleimt haben? Oder irgendein unbekannter Hobbybastler? Drei Celli unter dem Namen sind im Umlauf. Auf jeden Fall: Auch wenn es ein "No-Name-Produkt" ist, hat es einen überraschend tragfähigen, sonoren, farbigen Klang.
Alban Gerhardt und der Pianist Markus Becker sind seit Jahren ein eingespieltes Team. Die Kissinger-Sommer-Besucher erinnern sich an einen Nachmittag im Kloster Maria Bildhausen, an dem die beiden alle fünf Cello-Sonaten von Ludwig van Beethoven aufführten. Jetzt waren sie mit einem K.-und-k.- und überwiegend böhmisch geprägten Programm gekommen, gemäß dem Thema des Festivals: eine ganze Menge Dvořák, Janáček und Schubert - aber mittendrin auch Liszt mit seinen beiden Elegien für Violoncello und Klavier.
Es war eine gute Entscheidung, die beiden Elegien an den Anfang vorzuziehen und sozusagen die Trauerarbeit gleich zu Beginn zu erledigen. Denn sie sind pure Depro-Musik mit schwer lastender Chromatik - nach unten natürlich, dass die Tränen abfließen können - vor allem, wenn sie so intensiv gespielt werden: In langen, lastenden Bögen und gedämpftem Klang. So gut gemacht, dass man die beiden Sätze nicht jeden Tag hören will, zumal wenn draußen die hellste Sonne scheint.
Schuberts Arpeggione-Sonate vertrieb die Trübnis und brachte gute Laune - und nicht nur, weil die Bearbeitung für Violoncello relativ hoch gesetzt ist und die tiefen Bereiche eher selten bedient. Sondern weil sie vergnüglich gespielt war, weil das Cello die sanglichen Aspekte in den Vordergrund rückte und dabei von einem unaufdringlichen, aber trotzdem rhythmisch präsenten Klavier getragen wird und trotzdem beide konfrontativ musizierten, Und weil eine ausgesprochen differenzierte Dynamik und Agogik die Musik ganz einfach interessant machte.
Janáčeks "Pohadka" ("Märchen") begann, wie so etwas beginnen sollte: Mit einem Einstieg im "Es war einmal"-Ton, der die Türe weit öffnete für eine durchaus erzählerische Musik, die, wie das bei den Märchen ja auch ist, keine heile Welt zeigt, sondern in starke virtuose Konfrontationen führt, Härten und Reibungen hörbar macht, mit expressivem Pizzicato arbeitet, aber am Ende auch nach einem schönen Springtanz leise von der Bühne verschwindet in die nicht greifbare Märchenwelt.
Und dann halt Antonín Dvořák. Da spielten Alban Gerhardt und Markus Becker zwei Sätze, die zumindest beim Kissinger Sommer noch nie zu hören waren: Das g-moll-Rondo op. 954 und "Waldesruhe" oder: tiefromantische Musik. Das Klavier ließ dem Cello in Ersterem den kontrollierten Vortritt, das sich mit sanglich-tänzerischem Elan präsentieren und mit virtuosem Schwung in den Refrain einbiegen konnte. Aber die Leine war nicht so lang, dass sich nicht erstaunliche Klangeffekte vor allem im Diskantbereich der beiden Instrumente erzeugen ließe. Das "Waldesruhe" geriet zu einer sanglichen Sonoritätsstudie des Cellos, das Klavier mit Farbtupfern würzte, aber schließlich doch in einen Dialog eintrat.
Und zum Schluss gab's die Sonatine op. 100, ein Werk, das alle Geigenschüler kennen, die einmal die vierte Lage erreicht haben - hier allerdings in der Bearbeitung für Violoncello und Klavier. Das war ein spannendes Musizieren zwischen krachender Konfrontation und lyrischen Rückzügen. Und am Ende wurde noch einmal das "böhmische Fenster" geöffnet: Ganz leise, zart leuchtend, schlich sich die Musik davon. Dafür kam der Gedanke: In der Besetzung ist die Sonatine viel schöner, nicht nur wegen der Sonorität, sondern auch, weil das Cello dem Klavier viel mehr entgegenzusetzen hat.
Als Zugabe spielten die beiden noch einen Slawischen Tanz - für Klavier zu vier Händen. Diesen Spaß lässt sich Alban Gerhardt nicht nehmen, schließlich ist er ja auch gelernter "Teilzeitpianist". Und Markus Becker ein gütiger Primo-Spieler. Und nachdem sich die Frage nach einem Herrn Cristofori nicht klären ließ, blieb nur noch die andere Frage offen: Warum bekamen die beiden Herren nicht nur die obligaten Bocksbeutel, sondern jeder auch noch eine Flasche Schaumwein?