Der Kissinger Sommer 2023 endete unter internationaler Beobachtung: Die Fürsten- oder Königsloge (oder bürgerlich Mittelloge) im Max-Littmann-Saal war mal wieder prominent besetzt.
Nein, nicht mit dem Ministerpräsidenten oder Schirmherrn, sondern mit den Exzellenzen Harish Parvathaneni und Armando Varricchio.
Wer das ist? Das sind die Botschafter aus Indien und Italien, die aus Berlin angereist waren. Bei Armando Varricchio war das verständlich; schließlich ist das Festivalmotto „La dolce vita“ und er kommt aus dem Land der Erfinder. Aber Harish Parvanthaneni? Sollte seine Anwesenheit Rückschlüsse auf das Motto des nächsten Kissinger Sommers ermöglichen?
Partitur vor 25 Jahren wieder entdeckt
Armando Varricchios Besuch kann auch ein Zeichen für Heimweh sein. Denn vielleicht wollte er wieder einmal sein Lieblingsorchester, das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom unter der Leitung von Gianandrea Noseda hören, das passend den Schlusspunkt des „italienischen Sommers“ setzte.
Dann hatte er sich nicht verwählt. Zumal das Programm nicht uninteressant war, denn es begann mit einem der weniger bekannten Orchesterwerke von Ottorino Respighi , seiner „Burlesa“ in einem Satz, deren Partitur erst vor 25 Jahren wieder entdeckt wurde.
Unter dem Einfluss französischer Impressionisten
Sie ist eines von Respighis frühen Werken, in denen er nicht, wie etwa in den „Fontane di Roma“ oder den „Pini di Roma“ einem antikisierenden Neobarock huldigt, sondern in denen er noch deutlich unter dem Einfluss der französischen Impressionisten steht.
Gianandrea Noseda und sein Orchester schafften es, auf der einen Seite diese impressionistische Klangfarben- und Klangflächenwelt zu erzeugen, aber sie mit einer stetigen Präsenz eines punktierten, ein bisschen galoppierenden Rhythmus in langen Crescendi bis zum dreifachen Forte den Druck anzudeuten, der die späteren Musiken vorwärtstreibt.
Das war konsequent, aber fast ein bisschen schade um die geheimnisvolle Stimmung des Anfangs, mit der sich die ausgezeichneten Holzbläser vorstellten.
Solist mit wuchtigen Akkorden
Der Einstieg in das 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninoff ist für den Zuhörer deshalb attraktiv, weil er da den Solisten erst einmal alleine hat. Der 26-jährige Kanadier Bruce Liu, der für Katja Buniatishvili eingesprungen war (sie ist in Mutterschutz) und damit zu seinem Debüt beim Kissinger Sommer kam, ging bei seinen wuchtigen Akkorden geradezu sachlich-nüchtern zu Werke, um sozusagen erst einmal zu zeigen, worum es eigentlich geht.
Als das Orchester einsetzte, hätte man sich von Noseda gewünscht, dass er Lius auch nicht ansatzweise übertriebenes Tempo übernommen hätte, aber er bremste etwas ab. Das war schade, denn damit verlor die Musik ihren so wichtigen Vortrieb, den sie für die Spannung braucht, denn sie ist in ihrem Verhältnis zwischen Klavier und Orchester nicht allzu konfrontativ.
Mit mutigem Zugriff und lupenrein
Man wurde den Eindruck nicht los, dass es einfach mehr gemeinsame Probenzeit gebraucht hätte, um zu weitergehenden gestalterischen Absprachen zu kommen. An der technisch-virtuosen Darbietung des Orchesters gab es wirklich nichts auszusetzen; da konnte es seine Klasse zeigen. Aber es hätte auch zeigen sollen, dass es den Solisten bemerkt hat.
Vorne an der Rampe suchte Bruce Liu sein Heil in der Unverdrossenheit. Er spielte seinen Part mit stetem und durchaus mutigem Zugriff und nahezu lupenrein. Die kleinen Irritationen waren verzeihlich; ein fehlerfreier „Rach Zwo“ ist etwas für ältere Männer.
Gegen das Orchester behauptet
Und er konnte sich immer wieder gut gegen das Orchester behaupten oder sogar durchsetzen. Aber trotz aller Pünktlichkeit: Einen Kontakt zum Orchester fand er nicht, und man hatte auch nicht den Eindruck, dass er ihn wirklich suchte. Vor allem im langsamen Satz hätte es dazu Gelegenheiten gegeben. Schade drum. Das nächste Mal wird’s schon anders.
Der Schluss war unterhaltsam. Bei Nikolai Rimski-Korsakovs sinfonischer Dichtung „Scheherazade“ war das Orchester wieder unbehelligt, ganz bei sich. Und es legte los.
Aus 1000 und einer Nacht
Die Rollen waren ja klar verteilt: die kleine, zarte, ständig vom Tod bedrohte Scheherazade, die mit 1000 nächtlichen Geschichten den durchgeknallten Sultan dazu bringt, sie nicht umzubringen – hörbar gemacht von der Solovioline (geradezu nüchtern und ohne jedes pfauenartige Konzertmeistergehabe gespielt von Konzertmeister Carlo Maria Parazzoli).
Und der Allmachtsphantasien verfallene Sultan, der sich umso wichtiger nimmt, je lauter er auftritt. Kein Wunder, dass Scheherazade 1000 Nächte brauchte, um die Menschlichkeit des Sultans zu erreichen.
Bläser hören macht Spaß
Man konnte Gianandrea Nosedas fabelhaft gespielte Interpretation für etwas schwarz-weiß halten, weil zwischen diesen beiden Polen relativ wenige dynamische Zwischenklänge klagen. Aber andererseits war man auch ein bisschen auf der Seite des Sultans, weil es großen Spaß machte, die Bläser, hier vor allem die Blechbläser in der Akustik des Max-Littmann-Saals zu hören, die, was sie nur selten dürfen, mal wieder das Borstentier rauslassen konnten und nicht in die Pulte blasen mussten.
Andererseits wurde aber auch eines deutlich: Rimski-Korsavov gilt zu Recht als begnadeter, fantasievoller Instrumentator, aber bei den Themen hält er sich zurück. Und weil die Musik so plastisch war, hörte man staunend, mit wie vielen „Déjà-entendus“ diese sinfonische Dichtung gespickt und gefüllt ist. Aber ein schöner Abschluss war’s trotzdem.
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