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Bad Kissingen
Bamberger Symphoniker überraschen mit seltener Zugabe
Die Bamberger Symphoniker überraschen beim Kissinger Sommer nicht nur musikalisch, sondern auch mit einer seltenen Zugabe. Solistin Veronika Eberle glänzt an der Violine.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 08.07.2024 02:37 Uhr

Die Bamberger Symphoniker gehören von Anfang an – auch wenn es da ein bisschen geknirscht hat – zum „Stammpersonal“ des Kissinger Sommers. Die Freundschaft zwischen dem Orchester und den Kissingern hat Tradition. Denn die Bamberger kamen schon lange bevor jemand an irgendein Festival dachte zu regelmäßigen Konzerten in den Regentenbau. Und sie wissen ihn auch zu schätzen.

Dieses Mal stand nicht der Chef Jakub Hrůša am Pult, sondern ein Gast: der Engländer Edvard Gardner (beim zweiten Gastspiel in diesem Jahr wird es Krzysztof Urbański sein). Im Gepäck hatten sie ein (spät-)romantisches Programm mit dem Violinkonzert e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn-Bartholdy und der Geigerin Veronika Eberle und die 4. Sinfonie von Johannes Brahms. Und das Konzert endete mit eine Sensation: Die Bamberger spielten eine Zugabe! – einen Ungarischen Tanz von Johannes Brahms.

Schlüsselwerk Weberns als Eröffnung

Dass das Konzert mit der Passacaglia op. 1 von Anton – damals noch von – Webern eröffnet wurde, war kein Zufall. Denn der hatte sich von der Passacaglia in Brahms‘ 4. Sinfonie inspirieren lassen. Man kann dieses zehnminütige Werk, Weberns längste Orchesterkomposition, durchaus als Schlüsselwerk bezeichnen.

Es ist die erste Arbeit, die der Komponist mit einer Opuszahl versehen hat, nachdem er gerade sein Studium bei Arnold Schönberg abgeschlossen hatte. Und es ist seine letzte tonale, in der Spätromantik verankerte Komposition mit der traditionellen großen Orchesterbesetzung. Allerdings deutet sich die zwölftonale Gedanken- und Konstruktionswelt schon an.

Besondere Intensität von Garner setzte emotionale Seite frei

Nicht zuletzt deshalb, weil diese Passacaglia weniger ein emotionales, sondern ein intellektuelles – fast möchte man sagen: verkopftes – Werk aus 23 Variationen ist, in denen Webern in den ersten acht Takten das Thema entwickelt, das im Folgenden nicht aus-, sondern immer mehr abgebaut wird durch Gegenmelodien und kontrapunktische Konkurrenzen.

Die Passacaglia wird gerne eher leise und filigran gespielt, damit der Zuhörer sie für sich besser in ihren Strukturen erkennen und zerlegen kann. Aber Edward Gardner ging mit einem anderen, nicht ganz falschen Ansatz an die Sache: Da diese strukturelle Durchdringung bei der Dichte des Materials und in der kurzen Zeit und auch ohne Partitur schwer möglich ist, setzte er auf Intensität und ließ, vom lyrischen Mittelteil abgesehen, sein Orchester mit starken Crescendi  von der dynamischen Leine. So konnte man die Turbulenzen wirklich hören, wieviel da gegeneinander läuft, was an Kontrasten in der Musik steckt und auch, wie schwer und konzentrationszehrend sie auch zu spielen ist. So hatte die Passacaglia dann plötzlich doch eine emotionale Seite.

Geigerin Veronika Eberle mit souveräner Technik

Die Geigerin Veronika Eberle hat sich bei ihren bisherigen Auftritten beim Kissinger Sommer (einmal im Kloster Bildhausen mit Herbert Schuch musste sie aus gesundheitlichen Gründen leider absagen) ein fabelhaftes Renommee als Kammermusikerin erspielt. Jetzt war sie erstmals als Orchestersolistin mit einem der meistgespielten Violinkonzerte, dem e-Moll-Konzert op. 64 von Felix Mendelssohn-Bartholdy gekommen.

Da hat sie natürlich eine riesige Konkurrenz, denn das muss jeder abrufbar im Repertoire haben, der eine internationale Karriere machen will. Nicht, dass sie die fürchten müsste. Zum einen schon nicht wegen ihres Tons. Er ist ungemein präzise und trotzdem weich, und dank ihrer souveränen Technik und ihrer sinnvollen Bogenführung kann sie nicht nur wirklich jeden Ton spielen – was auch in ihrer Liga keine Selbstverständlichkeit ist, sondern sie läuft auch nie in Gefahr, sich selbst in Schwierigkeiten zu manövrieren.

Solistin in einer eigenen Welt? 

Zum anderen hat sie ein sehr gutes Gespür für die Stimmgestaltung, für dynamische Abschattierungen und, natürlich im Einklang mit dem Orchester, für agogische Flexibilität.

Aber andererseits irritiert es etwas, dass Veronika Eberle beim Spielen vor dem Orchester ein bisschen wirkt, als sei sie in ihrer eigenen Welt. Natürlich hört sie das Orchester, und sie sieht aus dem Augenwinkel auch genug vom Dirigenten, aber aktiv in Kontakt tritt sie mit ihnen nicht.

Dabei könnte sie sich Offensive leisten, denn Mendelssohn hat die Solovioline in ihrer Position durchaus gestärkt. So ist die Kadenz des ersten Satzes nicht kurz vor dem Ende, wenn es für die Solisten nur noch darum geht, ein paar virtuose Duftmarken zu setzen. Sondern sie steht im Zentrum der Durchführung und hat Entscheidendes zu sagen.

Göttliche Übergänge zwischen den Sätzen

Das war wunderbar gespielt, aber so etwas wie eine (gestische) Übergabe an das Orchester war nicht zu erkennen. Vielleicht vermisste man auch nur ein paar „schmutzige Töne“, die das Spiel ein bisschen erdenschwerer gemacht und signalisiert hätten, dass das alles gar nicht so einfach ist, wie man bei Veronika Eberle zu erkennen glauben konnte.

Das Orchester musizierte durchaus einverständlich mit seiner Solistin. Edward Gardner reagierte sehr genau etwa auf die Tempovorstellungen seiner Solistin, und er ließ dem Orchester viel Raum, die Romantik und Heiterkeit der Musik zu entfalten. Und vor allem die Bläser konnten sich wieder bestens profilieren – nicht nur bei dem göttlich langen Fagott-Ton, der den ersten mit dem zweiten Satz verbindet. Vielleicht war’s einfach nur zu schön.

Befreiung in der Interpretation von Brahms

Die Erdung kam dann mit Brahms. In dessen 4. Sinfonie konnte Edward Gardner seinem Prinzip der strukturellen Klarheit durch eine differenzierte und vor allem kräftige Dynamik huldigen. Er machte deutlich, dass Brahms, als Sinfoniker viele Jahre gebremst von dem Vorbild und Übervater Beethoven, bei diesem Werk endlich bei sich angekommen war.

Es lag ein Hauch von Befreiung und Erleichterung über der Interpretation. Und gleichzeitig wurde deutlich, in welch hohem Maße Brahms neben allen eigenen Einfällen mit traditionellen Formen gearbeitet hat. Etwa gleich zu Beginn, wo eine einfache fallende Terz nach seinem Prinzip der „entwickelnden Variation“ das Material für die ganze Sinfonie liefert.

Insbesondere aber im vierten Satz, in dem ihm die Verbindung einer barocken Passacaglia in 30 Variationen mit der Sonatensatzform gelang. Klingt ungemein theoretisch, aber die Bamberger machten daraus mit einem höchst lebendigen Zugriff ein starkes emotionales Erlebnis mit starken Kontrasten. Sie schafften es, nach der Aufgewühltheit des zweiten Satzes im geradezu übermütigen Allegro giocoso eine ganze Menge Humor zu versprühen.

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