
Die „Kissinger Runde“ ist ein beliebter Wanderweg. In Gänze beläuft er sich auf 28 Kilometern und wird in Etappen von vielen Touristen und Einheimischen genutzt. Er ist so schön, dass auch die Staatsbad GmbH für ihn wirbt. Auch Professor Dr. Marco Sander geht regelmäßig dort mit seinem Golden Retriever Gassi. Am 9. November 2024 allerdings war es mit der Erholung vorbei. Auf dem Wanderweg, direkt vor ihm, stand ein Wolf.
Tier in etwa 40 Metern Entfernung
Der Rechtsanwalt aus Bad Kissingen war in Begleitung eines Freundes und dessen erwachsener Tochter. Wegen der beginnenden Dunkelheit trug er eine Stirnlampe. Sie waren oberhalb von Winkels unterwegs, kurz vor der dort stehenden Schutzhütte. „Dann habe ich den Wolf in etwa 40 Metern Entfernung entdeckt“, schildert er die Begegnung.
„Zuerst sah ich nur seine im Licht funkelnden Augen und dachte zunächst, es sei ein Reh.“ Die Gruppe blieb stehen, „wir blieben ruhig“. Im Lichtkegel der Lampe sei dann eindeutig ein Wolf zu erkennen gewesen.
Der Wolf ging auf die Menschen zu
Nach einigen Minuten, so Sander, sei der Wolf dann langsam auf dem Waldweg auf die Gruppe zugelaufen. „Das Einzige, was mir in diesem Moment einfiel, war: Mach Lärm.“ So schaltete er sein Handy ein und ließ Musik spielen. „Er ist dann glücklicherweise nicht nähergekommen und zunächst im Wald verschwunden.“
Allen in der Gruppe schlug das Herz bis in den Hals. Denn: „Der Wolf verfolgte uns, als wir uns zurückzogen.“ Im Schutz des Waldes sei das Tier parallel zu den Spaziergängern gelaufen.
Amt verständigt Jagdpächter nicht
Der Professor schilderte die Begegnung zeitnah dem Bayerischen Landesamt für Umwelt. Die Antwort, die er vom Amt erhielt, ließ ihn ratlos. „Ich fragte, ob denn nun der zuständige Jagdpächter von unserer Begegnung informiert werde. Die Antwort war: Nein, da Bad Kissingen sowieso schon als Wolfsland bekannt sei.“
Das empfindet Sander als merkwürdig, denn er ist der Meinung, dass zum Wolfsmanagement auch eine Meldekette gehört, in der ein Jagdpächter eine feste Stellung haben sollte.
Spezielle Meldekette nach festgelegten Kriterien
Nachgefragt beim Landesamt : Wie funktioniert die Meldekette bei Wolfssichtungen? Die Antwort eines Sprechers des LfU: Hinweise auf Wölfe werden nach den sogenannten SCALP-Kriterien bewertet. Die wurden als Grundlage für ein standardisiertes Monitoring von einer alpenweiten Expertengruppe ausgearbeitet und werden laufend fachlich weiterentwickelt. Die Abkürzung steht für „Status und Conservation oft the Alpine Lynx Population“.
Die Methodik werde europaweit für das Monitoring der großen Beutegreifer Luchs, Wolf und Bär verwendet. Dabei werden die Meldungen nach ihrer Überprüfbarkeit kategorisiert.
Ohne Foto oder Video keine Bestätigung
Das Erlebnis von Marco Sander werde gemäß der Monitoringstandards als „nicht bestätigter Hinweis“ eingestuft, da „von einer möglichen Sichtung“ keine Aufnahmen vorliegen.
Weiter heißt es in der Mail aus dem Amt: „Der Landkreis Bad Kissingen liegt in Nähe zu dem Gebieten mit standorttreuen Wölfen in Wildflecken und der Hohen Rhön. Die entsprechenden Gebiete werden mit amtlicher Bekanntmachung im Bayerischen Ministerialblatt und begleitender Pressemitteilung des LfU kommuniziert. Verbände (z.B. der Jagdverband) und Behörden vor Ort sind daher entsprechend informiert.“
Erst mit Bild werden Behörden informiert
Sofern ein eingegangener Hinweis (Bild/Video, Ergebnis Nutztier-/Wildtierriss) sich als Wolfsnachweis bestätigt, werden diese Nachweise umgehend an die zuständigen Behörden vor Ort kommuniziert.
Bei der potenziellen Sichtung ist, wie bereits beschrieben, eine abschließende Bewertung, ob es sich um einen Wolf handelte oder nicht, aufgrund fehlender bewertbarer Belege, wie z.B. Foto- oder Videoaufnahmen, nicht möglich. Daher kann auch keine Sichtung eines Wolfes an Dritte gemeldet werden.
Landesamt für Umwelt: Wölfe zeigen Interesse an Hunden
Marco Sander hat eine umfangreiche Antwort vom LfU auf seinen Sichtungsbericht erhalten. Aus der Antwort des LfU „unter der Annahme“, dass es sich tatsächlich um einen Wolf gehandelt hat: Der Ort der Begegnung in einem Waldgebiet spreche für ein zufälliges Aufeinandertreffen. Auch zeigten Wölfe oftmals „Interesse an Hunden, da diese als Artgenossen wahrgenommen werden“.
Beobachtung aus sicherer Entfernung
Weiter heißt es: „Trifft ein Wolf zufällt auf (aus seiner Sicht) ein unbekanntes Objekt (Licht, in Verbindung mit Geruch des Hundes und Sichtkontakt zu etwas hundeähnlichem), dann wäre es kein unnatürliches Verhalten, wenn der Wolf erst einmal wenige Meter auf das Objekt zugeht, um einschätzen zu können, was sich da auf ihn zubewegt und gegebenenfalls um bessere Witterung vom ,Objekt‘ zu bekommen. Es leuchtet, es gibt Geräusche von sich (Musik), riecht aber nach Hund und Mensch. Er kann es nicht einordnen und beobachtet es aus für ihn sicherer Entfernung.“
Das Folgen des Tieres in sicherem Abstand zeige dann, dass es weiterhin Interessen an dem Gespann hat, „aber dabei keine aggressive oder prädatorische (angreifend, red) Absicht hat.“
Fall wird nicht in Statistik aufgenommen
In die Statistik der Wolfssichtungen wird diese Begegnung nicht aufgenommen. Der Grund: „Ohne Bild oder Video können wir keine Wolfssichtung bestätigen oder ausschließen.“ Marco Sander dazu etwas spöttisch: „Diese Geistesgegenwart hatte ich in dem Moment nicht: gleichzeitig den Wolf mit Musik zu vertreiben und ihn noch dazu zu fotografieren – man möge mir das nachsehen.“
Gerissenes Kalb, verletztes Pferd
In den vergangenen Tagen hat es zwei Fälle im Landkreis Bad Kissingen gegeben, in denen der Wolf die Hauptrolle spielen könnte. Am Montag, 4. November 2024, entdeckte die Besitzerin einer Pferdepension das Pferd Jimmy mit massiven Verletzungen am Hinterlauf.
Genauer bestimmt werden, ob der Biss von einem Wolf stammt, kann das nicht: Die Halterin hat in einer ersten Hilfe die Wunde desinfiziert und somit mögliche Wolfs-DNA zerstört.
Beteiligung des Wolfs kann "nicht ausgeschlossen werden"
Einen Tag später, am 5. November, entdeckte Max Schätzlein ein gerissenes Kalb auf der Weide oberhalb von Rottershausen. Diesen Fall stuft das LfU noch als „Verdachtsfall“ ein.
Ein Sprecher des LfU: „Der Fall wurde durch ein Mitglied des Netzwerks große Beutegreifer vor Ort dokumentiert und Proben für eine mögliche genetische Untersuchung sichergestellt. Zudem wurde eine pathologische Untersuchung des toten Tieres am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) veranlasst. Die Ergebnisse liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. Sofern die pathologische Untersuchung Hinweise auf die Beteiligung eines großen Beutegreifers liefert, erfolgt eine genetische Analyse der sichergestellten Proben. Aktuell kann die Beteiligung eines großen Beutegreifers nicht ausgeschlossen werden.“