Man muss sich das durch den Kopf gehen lassen: Die Sopranistin Iva Simon und ihr Mann Dieter luden 2000 zum ersten Mal zum Kissinger Operettenzauber in den Großen Saal luden. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass das der Beginn einer privat organisierten Veranstaltungsreihe werden würde, die sich nicht nur so lange, sondern auch so erfolgreich behaupten würde. Im nächsten Jahr feiert der Oerettenzauber ihre 20. Auflage.
Erfolg dank Evergreens
Die Operette galt schon lange als gestrig, als vorgestrig, längst verdrängt vom Musical. Sachlich stimmt das ja auch. Und es stimmt auch, dass das Publikum im Durchschnitt die Rentengrenze überschritten hat. Junge Leute sind nicht so leicht zur Operette zu bringen. Aber man darf nicht übersehen, dass dieses Publikum nicht mit Franz Lehár oder Paul Lincke groß geworden ist, sondern mit den Beatles und den Rolling Stones. Und trotzdem kommen sie zur "leichten Muse". Woran das liegt? Zum einen daran, dass man sich gegen Melodien nicht wehren kann. Evergreens welken nun mal nicht, und bei den Beatles mit ihren Songs ist das genauso.
Selbst wenn man die Texte der Operettenlieder nicht oder kaum kennt - die Melodien hat man alle schon gehört und wird sie nicht mehr los.
Komödiantisches Talent
Zum anderen liegt der Erfolg an der Qualität der Veranstaltung, an der enorm aufwendigen Vorbereitung und an einem Konzept, das die Musik, Moderation und Bühnenshow bruchlos verbindet. Da ist nicht ein einziger Leerlauf, obwohl das Programm ein Sammelsurium aus lauter Einzelteilen ist. Aber das Timing war perfekt. Der Bariton Patrick Rohbeck sang nicht nur. Er lieferte eine ebenso informative wie heitere Moderation, stellte die Lieder in ihre musikalischen und zeitlichen Zusammenhänge und würzte sie mit kleinen Schnurren.
Das singende Spiel seiner Kollegen hatte es in sich. Dass Iva Simon eine Sopranistin ist, für die die Operetten geschrieben wurden, weiß man spätestens seit dem ersten Operettenzauber. Sie gestaltet mit enormer Energie und Zielstrebigkeit die romantischen, enttäuschten, schnippischen, schmachtenden Ecken der typischen Operettenlieder. Und mit ihrer Bühnenpräsenz riss sie ihr singendes Trio einfach mit. Die Co-Sopranistin Jenifer Lary war ein echtes Schnäppchen. Die 26-Jährige hat ein Jahr nach ihrem Examen eine Karriere begonnen, die man im Rückblick sicher einmal als Blitzstart bezeichnen wird. Sie hat eine stimmliche Lockerheit, Genauigkeit und Klarheit, die nicht nur Mozart gut tut, sondern auch der Operette.
Und sie ist ein komödiantisches Talent wie der - schon etwas arriviertere - Tenor Alexander Voigt. jener ist ein Buffo mit einer erstaunlichen Stimmkraft und intonatorischer Selbstverständlichkeit, der einen wunderbaren Operettenmacho geben kann. Und eben Patrick Rohbeck, der mit seiner Berliner Pfiffigkeit (er ist geborener Thüringer) und seinem karikierenden Humor zwangsläufig an die Musikalische Komödie der Oper Leipzig geraten ist.
Philharmoniker steigern sich
Was die vier gesungen haben, ist beinahe egal. Das Programm über die Berliner Operette der 20er und 30er Jahre unter dem Titel " Strahlender Mond" vereinte die großen Namen wie Paul Lincke, Fred Raymond, und Walter Kollo mit heute weniger bekannten wie Ernst Fischer oder Friedrich Schröder. Es präsentierte Lieder aus "Frau Luna", "Der Vetter aus Dingsda" oder "Bel Ami". Es geht ja letztlich in der Operette doch immer nur um die Liebe mit allen ihren Klippen, Hindernissen und Zielankünften auf dem Boden von festgefügten und doch rutschigen gesellschaftlichen Konventionen und Rollenklischees. Deshalb steht auch das Wie der Aufführung stärker im Vordergrund, und das war ganz einfach perfekt.
Das konnte man auch von der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach sagen. Zu Beginn vielleicht noch ein bisschen lässig, merkten die Musiker schnell, dass sie an diesem Abend einige Blumentöpfe gewinnen konnten. Sie steigerten sich zu einer mitreißenden Perfektion und Verve, die vergessen machten, wie schwierig diese "leichte Musik" tatsächlich zu spielen ist. Bei Ernst Fischers "Eile mit Weile" dürften vor allem die Holzbläser von einer Beethoven-Sinfonie und einem ruhigen Abend geträumt haben.
Vollprofi und Wachhund
Allerdings stand auch Hannes Ferrand am Pult, ein absoluter Operetten-Vollprofi, der weiß, dass es beim Dirigieren in diesem Fach nicht auf Posen ankommt, sondern auf präzise Schnörkellosigkeit. Die braucht es, um den Übermut im Griff zu halten und ihm gleichzeitig Freiräume zu öffnen. Er beobachtete seine vier Solisten genau wie ein Schießhund und wusste immer, auf welcher Stufe der Bühnentreppe der linke Fuß der Auftretenden sein musste, damit die Musik punktgenau beginnen konnte.
So passte eben eins genau zum anderen, und zwei Zugaben waren fällig: natürlich die "Berliner Luft" und, geografisch ein Irrläufer, aber stimmungsmäßig passend, der urwiener "Radetzkymarsch".
Vorschlag: Operette unplugged
Im kommenden Jahr dann also der 20. Geburtstag. Die Vorbereitungen sind bereits angelaufen. Deshalb ein vorsichtiger Vorschlag: Vielleicht könnte man es dann einmal "unplugged" probieren.
Die Stimmen der vier Solisten waren so tragfähig, dass sie ein Headset im Großen Saal nicht gebraucht hätten. Dann würde sich vielleicht auch ein kleines Problem vermeiden lassen: Manchmal haben sich Alexander Voigt mit seiner bärenstarken Stimme und das Orchester dynamisch in die Höher getrieben. Das kann Sinn machen, aber vielleicht nicht bei eher intimen Liebeserklärungen.
Ob da die Angebetete nicht eher auf "nein" schaltet? Aber wir wissen ja: Am Ende wird jeder Mann kleinlaut - auch in der Operette.