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Bad Kissingen
Kilian Moritz: Presse im Dienste der Demokratie
Der aus der Rhön stammende Medienrechtler Kilian Moritz kommentiert das BGH-Urteil zum Crailsheimer Stadtblatt und die Folgen.
Medienrechtler Kilian Moritz äußert sich in einem Gastbeitrag zum Verhältnis zwischen Staat und Medien. Foto: Michael Pietschmann       -  Medienrechtler Kilian Moritz äußert sich in einem Gastbeitrag zum Verhältnis zwischen Staat und Medien. Foto: Michael Pietschmann
| Medienrechtler Kilian Moritz äußert sich in einem Gastbeitrag zum Verhältnis zwischen Staat und Medien. Foto: Michael Pietschmann
Redaktion
 |  aktualisiert: 18.08.2022 11:35 Uhr

Von Kilian Moritz

Der Bundesgerichtshof hatte unlängst zwischen der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Grundgesetz) und der Garantie der freien Presse (Art. 5 GG) abzuwägen und zu entscheiden. Es ging hier um eine ganz konkrete Einzelausgabe einer kostenlos verteilten kommunalen Publikation, dem Crailsheimer Stadtblatt. Bevor man dieses Urteil im Detail analysiert, lohnt es sich meines Erachtens, einen Blick auf die bisherige Rechtsprechung zu werfen und zu klären, warum in Deutschland die Pressefreiheit einen solch hohen Schutz genießt.

Im Nazideutschland wurden die Medien gleichgeschaltet und staatlich gelenkt. Wie die Nazis die Aufgabe der Medien sahen, zeigt sich in der Rede des Reichssendeleiters Eugen Hadamovsky bei der Eröffnung des Fernseh-Sendebetriebs im Jahr 1935. Er stellte klar: "In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die größte und heiligste Mission zu erfüllen: nun das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutsche Herzen zu pflanzen.". Dem steht das heutige Verständnis konträr gegenüber: Medien sollen als vierte Gewalt im Staat kontrollieren, kritisch berichten und Missstände aufdecken. Dass Medien diese Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie staatsfern sind, war aber nicht immer so klar.

Adenauers Staatssender

So wollte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer in den 1950er Jahren einen eigenen, staatlichen Fernsehsender gründen, da er sich über die nach seiner Ansicht zu linke Berichterstattung der ARD ärgerte. Erst das Bundesverfassungsgericht konnte Adenauer 1961 im sog. "ersten Fernsehurteil" stoppen. Karlsruhe stellte in diesem Urteil klar, dass Rundfunk zwingend staatsfern erfolgen muss und unterstellte den Rundfunk den internen Gremien, die mit Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppierungen besetzt sind. In den ARD-Landesanstalten sind dies der Rundfunk- und Verwaltungsrat, im ZDF der Fernseh- und Verwaltungsrat und in der BLM, der Aufsicht auf die Privatsender in Bayern, der Medienrat.

Trotz der klaren Vorgabe der Verfassungsrichter zur Staatsferne standen die Rundfunk-Aufsichtsgremien noch viele Jahrzehnte unter großem Einfluss der Politik und der Parteien.

Anfang der 1970er Jahre wollte die CSU-geführte Staatsregierung, auch hier aus Ärger über die nach ihrer Ansicht zu linke Rundfunk-Berichterstattung, den Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks so aufstocken, dass sich die Zahl der Politiker und insbesondere der CSU-Politiker stark erhöht hätte. Statt 41 sollte der Rundfunkrat künftig 59 Mitglieder enthalten, also um 18 aufgestockt werden (darunter 12 Landtagsabgeordnete, davon acht CSU-Abgeordnete). Einem erfolgreichen Bürgerbegehren ("Hände weg vom freien Rundfunk") gelang es aber, in Bayern über eine Million (!) Unterschriften für ihren Gesetzesentwurf bekommen. Zur Besetzung des Rundfunkrats hieß es darin: "Der Anteil der Vertreter der Staatsregierung, des Senats und des Landtags darf ein Drittel nicht übersteigen." Diese Regelung wurde dann als Artikel 111a ergänzend in die Bayerische Verfassung übernommen.

Versuch der Einflussnahme

Dass die Politik auch weiterhin versuchte, erheblichen Einfluss auf den Rundfunk zu nehmen, zeigt die "Causa Nikolaus Brender". Als ZDF-Chefredakteur galt Brender als unabhängiger und kritischer Journalist. Auf Betreiben von Politikern im ZDF-Verwaltungsrat wurde sein Vertrag 2009 nicht verlängert. Als Folge konkretisierte das Bundesverfassungsgericht 2014 in einem Normenkontrollverfahren, in dem es um die Frage ging, ob die Vorschriften zur Zusammensetzung der ZDF-Kontrollgremien verfassungsgemäß sind: Maximal ein Drittel der Gremienmitglieder dürfen staatlich oder staatsnah sein. Bei jedem Mitglied muss durch eine persönliche Inkompatibilitätsprüfung festgestellt werden, ob es tatsächlich staatsfern ist.

Somit liegt das aktuelle BGH-Urteil zum Stadtblatt Crailsheim, in dem das Gebot der Staatsferne der Medien betont wird, auf dieser Linie der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Klage ist nachvollziehbar

Darüber hinaus weist das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs zu den Grenzen der Zulässigkeit kommunaler Publikationen (hier "Crailsheimer Stadtblatt") Parallelen auf zur Entscheidung "Tagesschau-App".

Im ersten Fall wehrten sich die Verleger der örtlichen Tageszeitung gegen einen Konkurrenten (Crailsheimer Stadtblatt), der durch die öffentliche Hand finanziert wird, der zudem nach ihrer Ansicht von Inhalt, Umfang und Aufmachung her presseähnlich ist und auch noch kostenlos verteilt werden sollte. Dass diese Tageszeitung, die als privatwirtschaftliches Unternehmen Geld erwirtschaften muss, gegen die staatsnahe, steuerfinanzierte Konkurrenz klagte, ist nachvollziehbar. Denn wenn sich die Leser in einer kommunalen, regelmäßig erscheinenden und auch noch kostenfreien Publikation umfassend informieren können, dann mag es naheliegen, das Abo der kostenpflichtigen Tageszeitung abzubestellen.

Im zweiten Fall klagten die Presseverleger gegen das Online-Angebot der Tagesschau (ARD). Um ihrem Rundfunkauftrag nachzukommen und um auch junge "User" zu erreichen, bietet die ARD auch Online-Angebote wie die Tagesschau-App. Diese ist kostenfrei, da sie von den Bürgern schon mit der Rundfunkgebühr finanziert wurde. Die Zeitungsverleger dagegen müssen mit ihrem Angeboten Geld erwirtschaften und können eine App nicht kostenfrei anbieten. So klagten sie gegen die Tagesschau-App vom 15. Juni 2011 mit der Begründung sie sei in unzulässiger Weise presseähnlich und bekamen Recht.

Nachteile für Nutzer

Aus Verlegersicht sind beide Klagen absolut nachvollziehbar! Für die Mediennutzer bringen sie dagegen Nachteile. Im ersten Fall werden die Gemeindeblätter künftig inhaltlich wohl dünner werden und so mancher Bericht aus dem Gemeindeleben abseits der kommunalen Mitteilungen wird nicht mehr dort erscheinen. Im zweiten Fall enthalten die Onlineangebote der ARD nun weniger Text, dafür aber mehr Audiodateien und Videos. Für den Nutzer heißt das, dass das Datenvolumen am Smartphone schnell aufgebraucht ist. Und die Informationsübermittlung per Video verbraucht insgesamt deutlich mehr Strom als ein "stehender Text".

In einer digitalisierten, konvergenten Medienlandschaft, wo die Grenzen zwischen den klassischen Gattungen Print, Radio, TV und Online verschwimmen, ist es wichtig, dass alle Marktteilnehmer reale Chancen haben, mit ihren Geschäftsmodellen gut wirtschaften zu können. Ganz im Dienste einer Meinungs- und Medienvielfalt, die für eine freiheitliche Demokratie unerlässlich ist.

Rund um Professor Kilian Moritz

Privat Kilian Moritz wurde 1965 in Bad Kissingen geboren und wuchs im Burkardrother Gemeindeteil Gefäll als Sohn des ehemaligen Bürgermeisters und Kreisrats Ludwig Moritz auf. Mittlerweile lebt der 53-Jährige mit seiner Frau und den drei Kindern in Theilheim bei Würzburg.

Werdegang Kilian Moritz war 20 Jahre lang ARD-Redakteur, arbeitete beim Bayerischen Rundfunk in Nürnberg und beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Seit 2012 unterrichtet er als Professor für Journalismus sowie Medien- und Urheberrecht an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Berufsbegleitend legte er den "Master of Laws" in Medienrecht an der Universität Mainz ab.

 
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