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BAD KISSINGEN
Kent Nagano in Bad Kissingen: „Ich betrachte es als Ehre“
9e symphonie de Beethoven-1 juin 2018-Photo Antoine Saito010-R1       -  Stardirigent Kent Nagano wird am 2. Juli 2023 die Laien und die Profis beim einzigartigen Konzert im Bad Kissinger Kurgarten führen.
Foto: Antoine Saito | Stardirigent Kent Nagano wird am 2. Juli 2023 die Laien und die Profis beim einzigartigen Konzert im Bad Kissinger Kurgarten führen.
Interview: Susanne Will
 |  aktualisiert: 14.06.2023 02:31 Uhr

Beim einzigartigen Symphonic Mob tritt Bayerns größtes Spontan-Orchester am 2. Juli 2023 in Bad Kissingen auf. Hier spielen Laien mit Profis weltbekannte klassische Stücke. Heuer wird dieses gemixte Orchester von keinem Geringeren dirigiert als vom Weltstar Kent Nagano. Der 71-Jährige erzählt auch, wie universell klassische Musik ist – und dass sie bei den Inuit in Alaska dieselben Emotionen hervorruft wie bei deutschen Zwölfjährigen.

Guten Tag, Herr Nagano, Sie sind einer der berühmtesten Dirigenten der Welt, haben als Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper und vielen Welttourneen sicher extrem volle Tage und Abende. Warum engagieren Sie sich beim Symphonic Mob vor einer Hobbytruppe, in der schiefe Töne programmiert sind?

Kent Nagano: Jede Form des gemeinsamen Musizierens hat das Potenzial, große Freude und Erfüllung zu bringen. Das ist ein wunderbares Phänomen, das sich in der Welt um uns herum regelmäßig bestätigt. Obwohl wir als professionelle Musiker jahrelang studiert haben und Unmengen an Stunden proben, um die Partitur, den Komponisten und das Publikum zu würdigen, genießen wir bei unseren Auftritten das Musizieren auf der Bühne. Der Akt der Livemusik, das gemeinsame Atmen, das Zuhören, die Interaktion und die Kommunikation miteinander, also auch mit den Laien, sowie das Teilen eines gemeinsamen Ziels führen zu einem besonderen Moment gemeinsamer Freude und Erfüllung zwischen allen.

Wie wichtig ist Musik für das Großwerden von Kindern? Was können Kinder fürs Leben lernen, wenn sie beginnen, ein Instrument zu spielen?

Nagano: Meiner Erfahrung nach bringt das Lernen und Musizieren, aber auch das gemeinsame Singen zu Hause, nur Vorteile. Sobald sie Musik in ihrem Leben haben, bleibt sie in ihnen und wird für den Rest ihres Lebens ihr treuer Begleiter sein. Wissenschaftler haben bewiesen, dass Musik beim abstrakten Denken hilft und durch die Aktivierung der Vorstellungskraft Reisen durch Zeit, Raum und Ort ermöglicht, um Zugang zu einer idealen Welt zu erhalten. Ist es nicht wunderbar? Es ist die ursprüngliche virtuelle Realität

Woran liegt es, dass Sie nie auf einem hohen Ross zu sitzen scheinen und offenbar auch Ihre Anfänge als Musiker nicht vergessen haben?

Nagano: Musik bringt uns ständig Überraschungen und Entdeckungen. Es ist ein nie endender Evolutionsprozess, der durch Neugier, Suchen und Hinterfragen hervorgerufen wird. Daher haben die meisten professionellen Musiker, die ich kenne und respektiere, oft das Gefühl, dass einem umso mehr klar wird, wie viel es noch zu lernen gibt, je mehr man sich aneignet. Insofern ist es ein Paradoxon. Durch das Studium und die Aufführung von Musik lernen wir, die offenen Perspektiven des „Anfängers“ ständig zu pflegen, und normalerweise würden sich „Anfänger“ nie für würdig halten, auf einem hohen Ross zu sitzen.

Wenn meine Recherche richtig ist, dann ist es Ihr wichtigstes Anliegen, ein junges Publikum zu begeistern. Wie kann es der Klassik gelingen, eine Aufmerksamkeitshöhe wie die Pop-Musik zu erlangen?

Nagano: Eine Antwort, die ich normalerweise gebe, ist, dass es nicht die Schuld von Bach oder Mozart ist, wenn man Probleme hat, ein Publikum für Bach oder Mozart zu begeistern. Es ist auch nicht die Schuld der Öffentlichkeit, egal ob jung oder alt. Es ist die Aufgabe von uns als Moderatoren. Der tiefgründige Inhalt der Musik ist gleichbedeutend mit dem Leben – und damit mit der Jugend. Sobald wir Meisterwerke, deren Relevanz über Zeit, Modus und Epoche hinausgeht, herablassend oder mit mangelnder Qualität präsentieren, wird die Jugend dagegen protestieren, das hat sie in der gesamten aufgezeichneten Zivilisation getan. Und somit ist es normal, dass es Probleme mit der Zugänglichkeit geben könnte.

Haben Sie Beispiele dafür?

Nagano: Ja, nur zwei von Tausenden, die die universelle Relevanz der Musik bestätigen: 1) Wir spielten Mozart mit dem Orchester Symphonique de Montreal in der Region Nunavik im Osten Kanadas. Unsere Zuhörer waren dort ansässige indigene Völkern, die noch nie zuvor die Gelegenheit hatten, seine Musik zu hören. Wir erlebten nach der Aufführung einen spontanen Ausbruch von freudiger Hochstimmung, Emotion, Aufregung und Vitalität. Sie riefen enthusiastisch nach mehr Mozart.

Und das zweite?

Nagano: Als wir eine Gruppe zwölfjähriger Schüler und Schülerinnen zu einer Aufführung von „Tristan und Isolde“ einluden. Als sie zum ersten Mal klassische Musik hörten, verließen sie das vierstündige Konzert so aufgeregt und inspiriert, dass sie nicht schlafen konnten. Den richtigen Kontext für die Präsentation von Musik zu finden, ist keine Marketingformel und auch keine Selbstverständlichkeit. Viele, die glauben, Musik sei ein „Produkt“, das in ein auf Konsumwerten basierendes Geschäftsmodell passt, befinden sich heute in einer Krise, da das Publikum den Konzertsaal verlässt.

Im Gegensatz dazu erfordert das Finden des richtigen Kontexts, in dem Musik effektiv geteilt werden kann, immer Studium, Forschung, ständige Anstrengung und ein ausgeprägtes soziokulturelles Bewusstsein. Musik ist Ausdruck des Humanismus – kein Produkt.

Ihr Beruf besteht aus Recherchen, Studien, Nachdenken und Analysieren. Ihnen wird das Zitat zugeschrieben: „Das macht man in der Isolation.“ Was wir in Bad Kissingen erleben werden, ist ein Gemeinschaftswunder. Wie aber gehen Sie mit der Isolation um, die Ihr Beruf mit sich bringt?

Nagano: Es geschehen keine Wunder, wenn man sich auf Zufälle oder geschäftliches Formeldenken verlässt. Um ein Gemeinschaftswunder zu verwirklichen, muss man außergewöhnlich hart arbeiten und endlose Stunden dem Lernen und im Übungsstudio widmen. Doch zu sagen, dass dieser Prozess nur isoliert abläuft, ist nicht ganz richtig, da man ständig mit der Musik und der genialen Botschaft beschäftigt ist, die uns die Komponisten hinterlassen haben.

Sie waren von 2000 bis 2006 Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (CS), sind jetzt Ehrendirigent der Berliner. Sie sagten einmal, jedem Orchester sei es zu wünschen, dass es irgendwann eine starke Bindung an einen Dirigenten hat. Nur so könnten tiefe Beziehungen entstehen, die die Musik ermöglicht und sie an die nächste Generation der Musiker eines Orchesters weitergegeben werden kann. Wie groß ist die Wiedersehensfreude auf die Berliner KollegInnen?

Nagano: Das DSO und ich haben in den letzten 24 Jahren gemeinsam so viele wichtige, prägende Erfahrungen gemacht und eine gemeinsame ästhetische Sprache und Vision entwickelt. Man könnte sagen, dass unsere Beziehung einer Familie nicht unähnlich ist. Eine Familie bleibt eine Familie, und auch wenn etwa die Kinder das Haus verlassen, bleibt die Bindung dieselbe. Ich werde mich immer sehr freuen, meine Kollegen beim DSO wiederzusehen und betrachte unsere langjährige Zusammenarbeit als eine Ehre.

Symphonic Mob

Möchten auch Sie beim Symphonic Mob, dirigiert von Kent Nagano, teilnehmen? Dann melden Sie sich doch einfach unter symphonic-mob.de an.

Es werden vier Musikstücke gespielt, die Noten gibt es in der leichten und in der Originalversion. Verpassen Sie das einmalige Erlebnis nicht und spielen Sie am 2. Juli 2023 im Kissinger Kurpark zusammen mit Profis.

Um 13.30 Uhr beginnt die einzige Probe mit den Profimusikern des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, dem Laien-Orchester und Dirigent Kent Nagano.

Um 15 Uhr findet dann das einzigartige Konzert statt, das sich natürlich jeder Zaungast ansehen und anhören kann.

Diese Stücke werden gespielt: Georges Bizet „Farandole“, Edwar Elgar „Nimrod“, Edvard Grieg „In der Halle des Bergkönigs“ und Giuseppe Verdi „Coro di zingari“ (sw)

 
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