Es gibt wohl kaum jemanden in Stadt und Landkreis, der noch nie von der 1997 gegründeten städtischen Musikschule Bad Kissingen gehört hat. Schließlich ist das Jugendmusikkorps als dessen berühmtester Klangkörper weit über bayerische Landesgrenzen hinaus bekannt. Doch die wenigsten dürften wissen, dass es schon wenige Monate nach Kriegsende von 1945 bis 1950 eine erste, wenn auch privat geführte "Musikschule Bad Kissingen " gab. Ihr Gründer und Leiter war der in Bremen geborene Komponist, Bratschist und Dirigent Artur Grenz (1909-1988).
1942 in die Kurstadt umgezogen
Auch nach seinen Studienjahren an der Berliner Musikhochschule, in denen er vor allem durch den von ihm verehrten Komponisten und Bratschisten Paul Hindemith (1895-1963) geprägt worden war, blieb Grenz in Berlin, gründete eine Familie, komponierte sein Ballett "Der Zauberlehrling" (1939) sowie Werke für Violine und Orchester und spielte als Bratschist in erstrangigen Orchestern. In den Kriegsjahren war der vielseitige Musiker als Mitglied des Berliner Kammerorchesters regelmäßig auf Tourneen, in deren Konzerten auch seine eigenen Kompositionen aufgeführt wurden. Wegen seiner mehrwöchigen Abwesenheiten siedelte er 1942 seine Familie zum Schutz vor den Bomben aus Berlin nach Bad Kissingen in das "Blaue Teehaus" an der Dr. Georg-Heim-Straße um.
Unmittelbar nach Kriegsende entschloss sich der nun arbeitslose 36-jährige Musiker , Ehemann und Vater dreier Kinder auf auf Empfehlung eines amerikanischen Offiziers, in der Kurstadt eine Musikschule zu gründen. Bereits in der vierten Sitzung des Bad Kissinger Stadtrats am 17. August 1945 unter Leitung des Ende Juni von der Militärverwaltung eingesetzten Ersten Bürgermeisters Franz Meinow (1910-1947) wurde "die Errichtung einer privaten Musikschule durch Kapellmeister Artur Grenz freudigst begrüßt und zur Genehmigung befürwortet", ist im Protokoll nachzulesen. Doch noch brauchte es einige Wochen zur Sammlung von Instrumenten und Notenmaterial.
Über seine Anfänge in Bad Kissingen schrieb Artur Grenz am 25. Oktober 1946 in einem ausführlichen Brief an seinen früheren Professor Paul Hindemith in die Schweiz: "Am 1. Dezember 1945 Eröffnung der Musikschule im halbzerstörten Hotel Kissinger Hof mit einem Flügel, zwei Geigen, einer Bratsche und einem Violoncello als Instrumentarium. Noten müssen von den Schülern gestellt werden. Schülerzahl am 1. Januar 1946 = 22. Fächer: Klavier, Violine, Bratsche, Violoncello, Theorie, Gehörbildung. Heute, nach ca. einjähriger Arbeit, haben wir drei Flügel, drei Klaviere und sollen sogar bald ein Cembalo bekommen. Die Schülerzahl hat sich von 22 auf 142 erhöht. Wir haben auch viele amerikanische Schüler, die den Aufenthalt in Deutschland nützen, um ihre musikalischen Fähigkeiten zu erweitern. 'All instructions are given in English' heißt es in einem unserer Werbeplakate." Als Pädagogen unterstützten ihn neben anderen seine Ehefrau, die Konzertpianistin Emmy Grenz, sowie der aus Oberschlesien geflohene, erst 26-jährige Violinist Hans Bürger (1920-2010), der bald mit Ehefrau Marta ein enger Freund der Familie wurde.
In seinem Brief bat Grenz seinen einstigen Professor zwar nicht direkt um Unterstützung, hoffte aber wohl dennoch auf Hilfe, wenn er schrieb: "Ferner mangelt es an Saiten, ab Blättern und Rohren für Holzblasinstrumente. Die Opernklasse braucht Klavierauszüge, die Orchesterklasse braucht Partituren." Doch dieser Brief aus Oktober 1946 wird Hindemith nie erreicht haben, da dieser schon 1940 aus der Schweiz in die USA emigriert war.
In der Bismarck-Wohnung gelebt
Zum Zeitpunkt dieses Hilferufs waren die Familie Grenz und ihre Musikschule bereits in die Bismarck-Wohnung in der Oberen Saline in Hausen umquartiert worden, die die Amerikaner extra für sie wieder geöffnet hatten. Doch trotz aller Unterstützung durch die US-Verwaltung fühlte sich die protestantischen Preußen Artur und Emmy Grenz auf Dauer im katholischen und bayerisch-ländlichen Bad Kissingen nicht wohl. Nachdem Artur Grenz zum Jahresende 1949 in Hamburg eine Festanstellung als Bratschist im NDR-Sinfonieorchester bekommen hatte, führte Ehefrau Emmy die Musikschule noch bis zum 31. März 1950 weiter, folgte dann aber mit den drei Kindern nach Hamburg.
Erst im Juli 1981 sollte es ein Wiedersehen mit Kollegen in Bad Kissingen in der Villa der Familie Weppert geben. Im Mai schrieb Grenz, der seit 1964 im holsteinischen Quickborn als Musiklehrer am Gymnasium und weiterhin als Komponist tätig war, an seinen Freund Hans Bürger in die Kurstadt: "Als Besetzung habe ich vorgeschlagen: 1. Das 'Rentner-Quartett' Bürger, Riedel, Kunkel, Heß, 2. Verstärkung der Violinen: Hans Weppert, Artur Grenz und evtl. auch Rose-Linde Gellrich, 3. Emmy Grenz, Klavier, und vielleicht auch Ursula Schäfer mit Flöte oder Klavier. .... An Frau Hansen habe ich gleichfalls geschrieben und habe sie eingeladen. Ich glaube, das wäre eine feine Sache, wenn wir im Juli auch den 'guten Geist' der Musikschule Bad Kissingen unter uns haben dürften." Ob es tatsächlich nach über 30 Jahren zu diesem Wiedersehen der einstigen Musikschul-Pädagogen in Bad Kissingen kam, ist nicht überliefert.
Artur Grenz (1909-1988), Komponist zahlreicher Orchester- und Kammermusikwerke sowie des Balletts "Zauberlehrling" (1939), Dirigent, Violinist und Bratschist; 1909 geboren in Bremen, zunächst Musikstudium in Bremen, dann Studium (Komposition, Dirigieren, Bratsche) vor allem unter Paul Hindemith an der Musikhochschule Berlin, Bratschist in mehreren erstrangigen Orchestern, Inlands- und Auslandsreisen mit dem Berliner Kammerorchester auch mit eigenen Kompositionen, 1942 Umsiedlung nach Bad Kissingen-Garitz, Dezember 1945 Gründung der "Musikschule Bad Kissingen " (1949-1950) im Hotel "Kissinger Hof", später in der Bismarck-Wohnung (Museum Obere Saline) in Hausen, Tätigkeit als Musiklehrer , Gründung des Nordfranken-Orchesters in Schweinfurt, Ende 1949 - 1964 Bratschist im NDR-Sinfonieorchester in Hamburg, ab 1964 Musiklehrer am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Quickborn (Kreis Pinneberg, Schleswig-Holstein), Leitung von Instrumental- und Singkreisen, Initiator zur Gründung der Quickborner Musikschule, 1988 gestorben in Quickborn . Der Theatersaal (350 Plätze) in der Quickborner Comenius-Schule wurde nach Artur Grenz benannt.
Paul Hindemith (1895-1963), Komponist, Dirigent und Bratschist; 1895 geboren in Hanau, 1915 - 1923 Konzertmeister des Frankfurter Opernhauses, 1924 - 1927 freischaffend tätig als Komponist und Bratschist, 1927 - 1937 Kompositionslehrer an der Musikhochschule Berlin, ab 1934 Sendeverbot seiner Werke im deutschen Rundfunk, ab 1936 Aufführungsverbot seiner Werke, 1937 Kündigung an der Berliner Musikhochschule, 1938 Emigration in die Schweiz, 1940 Emigration in die USA, 1940 - 1953 Hochschullehrer an der Yale University (New Haven, Connecticut), 1947 erste Konzertreise durch Westeuropa, in Deutschland nur Familienbesuch in Frankfurt, 1951 Lehraufträge in Zürich (Schweiz), 1953 ständiger Wohnsitz in Blonay (Genfer See, Kanton Waadt), 1957 Ende der Lehrtätigkeit, weiter freischaffend tätig, 1963 gestorben in Frankfurt am Main.