Dem Ungehorsam von Kaplan Robert Kümmert aus Obereschenbach bei Hammelburg ist es zu verdanken, dass Teile der Würzburger Diözesanbibliothek den Bombenangriff vom 16. März 1945 überlebten. Kümmert fuhr gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nach Würzburg, um die seiner Ansicht nach bedrohten Kulturschätze des Bistums zu retten. Die Verantwortlichen schickten ihn weg – mit Verweis auf deren sichere Verwahrung. Aus seiner Zeit im Priesterseminar kannte Kümmert noch den „Franconica“-Schrank, der die von Johann Baptist Stamminger (1836-1892) gestiftete gleichnamige Sammlung enthielt. „Er hat den Schrank eigenmächtig ausgeräumt und die Sammlung nach Obereschenbach verlagert. So hat er die Diözesanbibliothek gerettet“, sagt Nikola Willner, Mitarbeiterin in der Abteilung Bibliotheksfachliche Aufgaben in Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg (ABBW).
Ausstellung „Objekte erzählen“
Sie hat die Ausstellung „Objekte erzählen ,ihre‘ Geschichte“ im Foyer von ABBW zusammengestellt, in der man spannende, informative und auch skurrile Geschichten aus der 80-jährigen Geschichte der Diözesanbibliothek entdecken kann.
Die „Franconica“-Sammlung war auch der Grundstock der Diözesanbibliothek, die von Bischof Matthias Ehrenfried per Dekret vom 9. Mai 1943 gegründet wurde. Stamminger, von Beruf Universitätsbibliothekar, hatte Zeit seines Lebens Werke zur fränkischen Landeskunde gesammelt und diese in seinem Testament dem Bistum Würzburg vermacht. Darunter auch das nach Willners Kenntnis einzige Exemplar der „Nachricht über den Tod des Wunder-Arztes Martin Michel “ aus dem Jahr 1824. Von Michel ist nur bekannt, dass er aus einem Dorf in der Nähe von Würzburg stammte. Sammlungen wie diese, aber auch Nachlässe und Pfarrbibliotheken seien ein „wichtiger und auch großer Teil unseres Bestands“.
Dank großzügiger Spenden
Schon immer waren Archive und Bibliotheken auf großzügige Spender angewiesen. So habe etwa der Basler Buchdrucker und Verleger Johann Froben (1460-1527), ein gebürtiger Hammelburger, seiner Heimatstadt zeitlebens Exemplare seiner Druckwerke geschenkt, erzählt Willner. Über die alte Hammelburger Kirchenbibliothek seien diese in die Bibliothek des Franziskanerklosters Altstadt bei Hammelburg gekommen, die 2012 von der Diözesanbibliothek übernommen wurde. So sind in einer Vitrine nun ein von Froben gedruckter Bibelkommentar aus dem Jahr 1507 sowie Reproduktionen seines Druckersignets zu sehen – ein Stab mit einer Taube, umwunden von zwei Schlangen. „Hans Holbein der Jüngere hat sie für Froben gestaltet.“ Beide lebten und arbeiteten zur gleichen Zeit in Basel.
Drei Spezialsammlungen
Drei Spezialsammlungen werden in der Ausstellung besonders gewürdigt. Gereon Becking (1931-2016), ehemals Mitarbeiter im Bau- und Kunstreferat der Diözese, vermachte der Diözesanbibliothek im Jahr 2009 seine mehrere tausend Bände umfassende Zisterzienser-Sammlung („Cisterciensia“) mit Schwerpunkt Europa.
Manfred Zentgraf, Gründungsmitglied der Fränkischen Sankt Jakobus-Gesellschaft, stellte 2013 seine Sammlung von Jakobus- und Pilgerliteratur zur Verfügung, darunter ein entzückend illustriertes „Akkordeon-Büchlein“ zum Aufklappen aus Frankreich. Manche der Werke seien „europaweit nur in unserem Bestand vorhanden“, sagt Willner.
Zudem ergänze Zentgraf die Sammlung laufend um die neuesten Publikationen. Jüngstes Beispiel für eine Spezialsammlung ist die umfangreiche private Sammlung von Herbert Pfeifer (1941-2008) zum Berg Athos, die dessen Sohn Michael Pfeifer, Referent für liturgische Bildung, vor fünf Jahren an die Diözesanbibliothek übergab. „Wer sich mit diesen Themen beschäftigt, kann bei uns aus dem Vollen schöpfen“, sagt Willner.
Manchen Werken sieht man an, dass mit ihnen intensiv gearbeitet wurde. So unterstrich der verstorbene Bischof Dr. Paul-Werner Scheele in dem Buch „Das Wirken des dreieinigen Gottes“ etliche Passagen mit Bleistift und hinterließ einen Zettel mit handschriftlichen Anmerkungen – in einem eigenen System aus Abkürzungen und Zahlen. Aus Bischof Scheeles Privatbibliothek wurde übrigens die beachtliche Menge von rund 10.000 Büchern übernommen.
1000 Jahre altes Cicero-Fragment
Ein besonderes Werk ist sicherlich ein Messbuch (Missale) von 1495. Es ist das älteste Missale aus dem Bistum Würzburg , das im Bestand der Diözesanbibliothek vorhanden ist. Auffällig ist die übergroße, gut lesbare Schrift – der Papierverbrauch scheint keine Rolle gespielt zu haben. Pergament hingegen sei ein „wertvoller Rohstoff“ gewesen, erzählt Willner. „Wenn Handschriften nicht mehr gebraucht wurden, wurden sie als Einbände recycelt oder in Streifen geschnitten, um Buchrücken zu stärken.“ Den Adleraugen von Archivrat Dr. Norbert Kandler ist es zu verdanken, dass das rund 1000 Jahre alte Fragment einer Cicero-Handschrift aus der Würzburger Domschreibschule erhalten ist. Das Doppelblatt wurde im 16. Jahrhundert als Einband für ein Rechnungsbuch des Benediktinerinnenpriorats Sankt Ulrich in Würzburg wiederverwendet.
„Kandler hatte einen Blick dafür. Er hat gesehen, dass um das Rechnungsbuch herum ein alter Einband ist, und hat ihn von einem Restaurator ablösen lassen.“ Die Ausstellung zeigt eine originalgetreue Reproduktion – das Original wäre zu empfindlich. Wer mag, kann sich in der Ausstellung selbst auf die Suche nach einer solchen verborgenen Kostbarkeit machen. Tipp: Es lohnt sich, den Falz des Bibelkommentars in der Vitrine zur Bibliothek des Franziskanerklosters Altstadt einmal ganz genau zu betrachten.
Die Ausstellung „Objekte erzählen ,ihre‘ Geschichte“ ist bis zum 29. Februar 2024 im Foyer von Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg, Domerschulstraße 17 in Würzburg, zu sehen (montags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr. Anfragen für Führungen per Mail an abbw@bistum-wuerzburg.de).