zurück
Steinach an der Saale
Kampf für lebenswichtige Therapie
Richard Freibott leidet an Prostatakrebs. Neue und alternative Behandlungen schlagen zwar gut an, die Krankenkasse weigert sich aber zu zahlen.
Ulrike Dempsey und Richard Freibott kämpfen nicht nur um sein Leben, sondern auch um ihren wirtschaftliche Existenz.  Foto: Benedikt Borst       -  Ulrike Dempsey und Richard Freibott kämpfen nicht nur um sein Leben, sondern auch um ihren wirtschaftliche Existenz.  Foto: Benedikt Borst
| Ulrike Dempsey und Richard Freibott kämpfen nicht nur um sein Leben, sondern auch um ihren wirtschaftliche Existenz. Foto: Benedikt Borst
Benedikt Borst
 |  aktualisiert: 19.08.2022 03:00 Uhr
Dass die Ärzte ihn eigentlich schon aufgegeben hatten, ist Richard Freibott nicht anzusehen. Der Rücken bereitet ihm Probleme, den hat er sich auf dem Bau ruiniert. Ansonsten macht der 66-Jährige einen fast normalen Eindruck. Der Schein trügt allerdings: Seit beinahe fünf Jahren kämpfen er und seine Lebensgefährtin Ulrike Dempsey gegen seinen Prostatakrebs. "Es war ein Schock, als die Diagnose kam", erzählt sie. Die Erkrankung war bereits weit fortgeschritten und der Tumor hatte überall im Körper gestreut. "Im Krankenhaus haben sie uns gesagt, dass er seinen Nachlass regeln soll." Die Ärzte gaben ihm nur noch sechs Monate zu leben und leiteten eine palliative Hormonentzugstherapie ein. "Damit die letzten Wochen nicht so schlimm werden", sagt Dempsey.
Mit diesem Schicksal wollte sich das Paar aber nicht abfinden. In ihrer Verzweiflung versuchten sie jeden Strohhalm zu packen, der sich ihnen bot. Sie griffen auf alternative Behandlungsmöglichkeiten zurück - und führen deshalb aktuell eine juristische Auseinandersetzung mit der AOK. Es geht unter anderem um Behandlungskosten in Höhe von rund 20 000 Euro im Jahr, die sie aus eigener Tasche bezahlen.


Lebensversicherung gekündigt

Zusätzlich zu allen Ängsten, die zu einer oft tödlichen Krankheit gehören, plagen sie sich auch noch mit wirtschaftlichen Existenzsorgen. "Richard hat bereits seine Lebensversicherung gekündigt und ich habe später ein Darlehen aufgenommen", sagt Dempsey. "Im Moment können wir alles noch bezahlen, aber wie lange noch?"
Die Leidensgeschichte des Paares begann damit, dass sie i von Arzt zu Arzt rannten, auf der Suche nach einem Mediziner, der eine andere Behandlung vorschlug als die palliative Hormontherapie. "Am Anfang hätte ich mich über eine Chemo gefreut. Was blieb mir denn sonst übrig", sagt Freibott. "Aber er hat keine Therapie bekommen", ergänzt seine Lebensgefährtin.
Sein Gesundheitszustand schwankte. In den Monaten nach der Diagnose verbesserten sich die Werte zunächst, eineinhalb Jahre später stürzten sie ins Bodenlose. "In diesem Zug haben wir erfahren, dass er die aggressivste Form von Krebs hat. Es war ein riesiger Druck. Ich habe nicht mehr gewusst, was wir noch machen sollen", erinnert sie sich. Sie suchten nach alternativen Behandlungsmethoden und wurden in einer Klinik in Bad Aibling fündig.
Dort ließ Freibott sich mit vorübergehendem Erfolg mit einer extremen Hyperthermie behandeln. Der Körper wird bei dieser Behandlung auf mehr als 40 Grad erhitzt, um Krebszellen abzutöten. Dempsey: "Die Therapie hat sehr gut angeschlagen." Vor allem verschaffte sie ihnen wertvolle Zeit. Die Werte ihres Mannes verbesserten sich deutlich. Es dauerte ein Jahr bis sie wieder absackten. "Die Ärzte sagten dann, die Therapie greift nicht mehr und haben uns nach Bad Berka überwiesen", berichtet sie. Am dortigen Zentralklinikum wurde Freibott als Teilnehmer einer Studie mit einem neuen Medikament behandelt: Lutetium 177. "Es war sofort eine Besserung da, ohne Nebenwirkungen", sagt Dempsey. Das war Ende 2015. Freibott unterzieht sich bis heute der Therapie mit Lutetium 177 in dem kleinen thüringischen Kurort, mit sehr großem Erfolg. "Mich hat das bis jetzt am Leben erhalten", sagt er.


Streit mit der Krankenkasse

Aus der Sicht des Paares sind die Behandlungen in Bad Aibling und Bad Berka lebensnotwendig. Abgesehen von denen für die Studie, tragen sie die Kosten dafür selbst. Von ihrer Krankenkasse fühlen sie sich zu unrecht im Stich gelassen und haben deshalb zwei Klagen vor dem Sozialgericht angestoßen.
Raphael Rexroth, Jurist beim Bezirksverband des VdK in Würzburg, vertritt die beiden vor Gericht. Er fasst das Grundproblem zusammen: "Im Endeffekt geht es um die Frage, ob die leitliniengerechten Behandlungen ausgeschöpft wurden", erklärt er. Sowohl die Hyperthermie, als auch die Behandlung mit Lutetium 177 gehören nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen, müssen folglich nicht bezahlt werden. Da helfe es auch nichts, dass die Wirksamkeit im Prinzip belegt sei.


Hoffnung auf Nikolausurteil

Es gibt aber auch Ausnahmen von der Regel: Seit 2012 ist das sogenannte Nikolausurteil im Sozialgesetz verankert. Das Bundesverfassungsgericht hat darin Urteil drei Bedingungen formuliert: Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handeln, die alternative Therapie muss eine spürbar positive Entwicklung auf den Patienten haben und alle leitliniengerechten Behandlungsmöglichkeiten müssen ausgeschöpft sein. Sind die Bedingungen erfüllt, haben gesetzliche Krankenkassen auch für außervertragliche Leistungen zahlen.
Rexroth sieht die ersten beiden Bedingungen erfüllt, strittig ist dagegen Nummer drei. "Wir tragen vor: Es ist alles ausgeschöpft. Es liegen keine leitliniengerechte Behandlungen vor", sagt er. Die Aussage untermauern sie mit Gutachten des behandelnden Arztes in Bad Berka, laut dessen Aussage keine Alternatien zur Behandlung mit Lutetium bestünden.
Die meisten Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und die AOK sehen das anders. Die medizinische Notwendigkeit für die Lutetium Therapie sei nicht gegeben, "weil noch mehrere zugelassene und leitliniengerechte Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, die bisher nicht genutzt wurden", teilt ein Sprecher der AOK auf Anfrage dieser Redaktion mit. Auf Details geht die Krankenkasse unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht ein. Sie widerspricht aber der Aussage Freibotts, dass von den Ärzten keine Behandlungsalternativen aufgezeigt wurden.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
AOK
Behandlungskosten
Bundesverfassungsgericht
Erbschaften
Gesetzliche Krankenkassen
Krebszellen
Kurorte
Körper
Lebensgefahr
Lebensversicherungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • ra.kellermann@gmx.de
    Ich wünsche Herrn Freibott alles Gute!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten