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Bad Brückenau
Inzwischen gibt es eine lange Warteliste
Vor 20 Jahren wurde in Bad Brückenau die Kammermusikreihe „Hochschulpodium“ gegründet. Warum damit niemand reich wird und es trotzdem eine Erfolgsgeschichte ist.
Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.       -  Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.
Foto: Gerhild Ahnert | Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 21.01.2025 16:06 Uhr

Es ist ein Jubiläum, das keiner so recht auf der Rechnung hatte, weil das grelle Rampenlicht nicht überall hin leuchtet, aber bemerkenswert ist es schon: Vor 20 Jahren begann im Bad Brückenauer Staatsbad die Kammermusikreihe „Hochschulpodium“ – und zwar im Herbst. Deshalb waren es im ersten Jahr auch nur drei Konzerte. 2005 waren es dann schon zehn Konzerte, Wenig später hatte sich die Zahl dann bei acht eingependelt.

Idee enstand in kleinem Kreis

Die Idee entstand, wie sich Pavol Tkác, der Geschäftsführer des Brückenauer Kammerorchesters (BKO), erinnert, in kleinem Kreis – wie das oft bei guten Ideen der Fall ist. Der Geiger Ulf Klausenitzer, der 1997 das BKO gegründet hatte, hatte unter anderem eine Professur für Violine an der Nürnberger Musikhochschule und war immer auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten für seine Studenten, um sie an die harte Realität eines Musikers heranzuführen.

Im Kuppelsaal

Anke Lock, damals Direktorin des Dorint-Hotels im Staatsbad, verstand nach eigener Aussage nichts von Musik. Aber sie erklärte sich sofort bereit, für eine Konzertreihe nicht nur den Kuppelsaal des Hotels kostenlos zur Verfügung zu stellen und zu bestuhlen, sondern auch die Übernachtungen der Musiker. Und Pavol Tkác übernahm die Organisation – nicht nur, weil er und sein Team das konnten, sondern auch, weil sich zehn zusätzliche Konzerttermine in den Förderanträgen des BKO natürlich sehr gut lasen. Die Erfolgsgeschichte konnte beginnen.

Datenbank entstand

Und wie funktionierte das? „Wir haben von Anfang an mit der Akademie für Tonkunst (Darmstadt) und den drei Musikhochschulen in Nürnberg, Mannheim und Rostock zusammengearbeitet und an die Lehrkräfte Einladungen verschickt, die sie an ausgewählte Studenten weitergeben konnten“, sagt Pavol Tkác. Mittlerweile habe sich da eine schöne Datenbank gebildet.

Warteliste

Die Möglichkeit, in Bad Brückenau auftreten zu können, sprach sich herum, und natürlich kommen mittlerweile deutlich mehr Bewerbungen, als es Konzerttermine gibt. Und auch eine Warteliste. So kann es passieren, dass manche der Auftretenden bereits erste Probespiele hinter sich haben oder im besten Fall schon eine Orchesterstelle antreten konnten. Worauf die BKO Geschäftsstelle bei der Auswahl Wert legt, sind nicht nur Qualitätsaspekte, sondern auch ein möglichst breites Spektrum an Instrumenten.

Der Eintritt ist frei

Reich wird bei der Angelegenheit niemand. Die auftretenden Musiker bekommen eine Gage, die in etwa dem Tagessatz eines Orchestermusikers entspricht. Das Geld dafür kommt nicht aus dem Kartenverkauf, denn der Eintritt ist immer frei. Aber am Ausgang steht eine Spendenbox, die von den Besuchern nicht übersehen wird – wo manche mehr einwerfen, als sie für eine Karte bezahlt hätten. Und sollte doch mal ein kleiner Rest fehlen, springt das BKO ein.

Die Hälfte sind Stammgäste

Wer die Besucher sind? Die Hälfte sind Stammgäste, die auch zu den Konzerten des BKO in den König-Ludwig-I.-Saal gehen. Ein großer Teil sind Patienten aus den Sanatorien und Kliniken. „Die Hotelgäste sind die Unzuverlässigsten“, so Pavol Tkác. Klar, die haben es am schwersten: Sie müssen schließlich ihren bequemen Bademantel verlassen und mit dem Fahrstuhl hinunter in den Kuppelsaal fahren.

Pavol Tkács Nichte

Und wer feierte nun das 20-jährige Jubiläum? Eigentlich ganz einfach: die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová. Dennoch geriet Pavol Tkác bei seiner Anmoderation kurz ins Stocken, denn Júlia Sofia Nagyová ist seine Nichte. Da denke mancher sofort an osteuropäische Vetternwirtschaft. Und für ihn selbst sei es riskant, denn wenn sie nicht gut ist, bleibe das an ihm hängen.

Großes Talent

Aber um es gleich zu sagen: Pavol Tkác konnte am Ende den Kuppelsaal mit stolzgeschwellter Brust verlassen. Denn seine 17-jährige Nichte ist ein Riesentalent. Sie begann mit fünf Jahren mit dem Cellospiel , wurde 2021 ordentliche Studentin am Prager Konservatorium in der Klasse von Miroslav Petráš, begann im September dieses Jahres auch noch ein Dirigierstudium und wird im nächsten Sommer das Abitur ablegen. Und sich dann ganz auf die Musik konzentrieren können.

Natürlich war sie zu Beginn des Konzerts mit seinem tschechisch-slowakischen Programm noch ein bisschen – nein, nicht nervös, sondern beeindruckt. Aber sie spielte sich sehr schnell frei. Wobei ihr Hana Forsterová als etatmäßige Korrepetitorin am Prager Konservatorium weniger eine musikalisch interpretierende Partnerin war, sondern ihr immer ein stabiles, verlässliches Fundament bereitete, auf dem sie sich gestalterisch artikulieren konnte.

Und das tat sie, beginnend mit Josef Suks Ballade und Serenade op. 3. Da konnte sie ihren großen, warmen Ton zeigen, ihre fein abgestimmte Dramatik, ihre große Intonationssicherheit und ihr gestalterisches Denken in langen Bögen. Sie wusste immer, wo sie hin wollte, sodass der Spannungsfaden nie riss. Und sie saß nicht verkrampft hinter ihrem Instrument, sondern bewegte sich kommunikativ in Richtung Klavier. Vielleicht ist das eine Folge ihres Dirigierstudiums.

Bei Antonín Dvořáks Polonaise A-dur op. posthum B 94 war die virtuose Lockerheit komplett. Da spielte sie mit federnder Rhythmik. Und sie zeigte, wie man mit einer verzögernden Agogik enorme Spannungen erzeugen kann, wenn auch keine musikalischen Schwergewichte verhandelt werden. Und sie wehrte sich geschickt gegen die pathetischen Ausbrüche des Klaviers.

Ein Glanzpunkt wurden Bohuslav Martinůs Variationen über ein slowakisches Thema, bei denen Hana Forsterová mit ihrem Anschlag der Eingangsakkorde deutlich machte, dass man das Klavier sehr gut durch eine Harfe ersetzen könnte. Júlia Sofia Nagyová spielte in den fünf Variationen ganz auf Kontrast, ließ schnell die Melancholie des Themas vergessen und zauberte mit Arpeggien und Doppelgriffpassagen, mit markanten Synkopen und überraschenden Variationslösungen. Da schenkten sich die beiden Musikerinnen nichts.

Kontrast pur waren auch zwei Sätze aus der Suita balladica von Petr Eben : mit starken lyrischen Abschattierungen und einer langsam steigenden dramatischen Kurve die Elegie, mit hektischen Repetitionen und rhythmischen Verdichtungen die Toccata.

In David Poppers Ungarischer Rhapsodie op. 68 enthielt sich Júlia Sofia Nagyová dankenswerterweise der großen pathetischen Gestik, die der Komponist vermutlich für sich selbst in die Musik geschrieben hat, und ermöglichte so einen spannenderen, interessanteren Übergang in den tänzerischen Teil mit seinen charmanten Akzelerationen.

Zum Schluss spielte sie mit ihrem Lehrer Miroslav Petráš zwei der für zwei Celli (statt Violinen) und Klavier bearbeiteten Fünf Stücke von Dmitri Schostakowitsch , zwei typische Sätze aus dessen „Gebrauchsmusik: quicklebendig und erstaunlich perfekt im Zusammenspiel. Da musste  eine Zugabe von Brahms folgen.

Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.       -  Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.
Foto: Gerhild Ahnert | Die Cellistin Júlia Sofia Nagyová und die Pianistin Hana Forsterová beim Jubiläumskonzert 20 Jahre Hochschulpodium Bad Brückenau.

Wenn man sich etwas wünschen darf: Júlia Sofia Nagyová sollte später ihre Kompetenz nicht damit verschwenden, 874-mal Dvořáks Cellokonzert aufzuführen, sondern sie sollte sich auf die Kammermusik fokussieren. Die scheint eine ihrer großen Stärken zu werden. Und gute Leute werden dafür immer gebraucht. Man wird ihr sicher bald wieder begegnen – aber nicht auf dem „Hochschulpodium“.

 
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