Das hatte es ja im Kissinger Sommer noch nie gegeben, und schon gar nicht bei einem Nachmittagskonzert: Der Druck auf den Rossini-Saal war so groß, dass noch jede Menge Stühle angeschleppt werden mussten. Und trotzdem mussten viele Besucher an der Türe wieder umkehren. Ein kurzfristiger Umzug in den Max-Littmann-Saal war nicht möglich, weil sich dort die Bremer Kammerphilharmonie auf ihr Abendkonzert vorbereitete. Die Namen Julia Fischer , Daniel Müller-Schott und Yulianna Avdeeva haben offenbar eine enorme Anziehungskraft.
Eröffnung mit einem Stück von Smetana
Ihr Konzert eröffneten die drei mit dem Klaviertrio Nr. 3 f-Moll op. 65 von Bedřich Smetana, und man muss im Nachhinein sagen, dass es bedauerlich ist, dass Smetanas Name hierzulande in den Konzertprogrammen im Wesentlichen mit „Ma Vlast“ („Mein Vaterland“) und, daraus noch einmal herausgelöst, mit „Vltava“ („Die Moldau“) auftaucht. Seine Opern werden wesentlich häufiger aufgeführt. Aber als Kammermusiker spielt er so gut wie keine Rolle, und das ist ausgesprochen schade. Viellicht sorgt da die mediale Würdigung seines 200. Geburtstages in diesem Jahr für Abhilfe. Vielleicht ist er ja auch deshalb in den Rossini-Saal gekommen.
Über den Umgang mit Trauer
Smetana schrieb das Trio unmittelbar nach dem Tod seiner kleinen Tochter Bedřiška – sie war an Scharlach gestorben. Und dieser Versuch, mit der Trauer umzugehen, beherrscht immer wieder das ganze Werk. Das Cello beginnt mit einem chromatisch absteigenden Lamento, das die Violine in der Höhe übernimmt, grundiert von düsteren Akkorden des Klaviers. Es war weniger die Trauermotivik, die starke Emotionen wecken konnte, sondern die Sonorität der Streicher, vor allem des Violoncellos, das in der Tiefe immer rauer wurde. Es war nicht nur eine Klangbildung der Extreme, sondern auch das intensive Zusammenwirken der drei Stimmen, die die Musik so spannend machte, aber auch bedrängend machte. Und das verstärkte sich, als das Klavier im Fortissimo das Gegenthema noch ins Spiel brachte.
Der zweite Satz wurde zur Verklärung der verlorenen Tochter. Das vorsichtige Hineintasten in die Musik, die plötzlich entstehende Pfiffigkeit signalisierten Erinnerung, die durch das zupackende Klavier und das lebendige Aufeinanderzuspielen von Violine und Violoncello befördert wurden. Da war das spielende Element im Klavier, aber auch Vorahnung des Todes. Denn in den Tanzrhythmus schob sich immer wieder die Chromatik des klagenden Themas aus dem ersten Satz nach vorne. Das Finale wurde zum gespenstischen Totentanz, in dem auch wieder die Chromatik auftaucht, ein vom Klavier angetriebener unerbittlicher Kampf zwischen Duolen und Triolen und grotesken Pizzicati der Streicher, mit unglaublicher Energie geführt. Umso überraschender kam das Grave eines Trauermarsches mit stockenden Akkorden. Aber in einem schwungvollen D-Dur löste sich die Betrübnis auf – in einem unglaublich turbulenten, kraftvollen, rasanten und zielstrebigen Schluss. Ein phantastisch organisiertes und gespieltes Stück Trauermusik.
Beeindruckende Darstellung eines eintönigen Werks
Das Notturno Es-Dur für Klaviertrio D 897 von Franz Schubert kann man mögen, muss man aber nicht. Denn es sprüht nicht gerade vor Ideen. Da ist ein Andante-Thema, das mit ein paar Übergängen an den steten Wiederholungen und ein paar Harmoniewechseln in 10 bis 15 Minuten irgendwie zu Tode geritten wird. Und in permanenten Doppelgriffen. Die Wissenschaft ist nicht sicher, wozu Schubert diesen Satz komponiert hat, möglicherweise als Vorsatz seines berühmten B-Dur-Trios op. 99. Seien wir froh, dass er diese Liaison nicht vollzogen hat, warum auch immer. Denn es gibt kaum etwas Unspannenderes. Man hört nach kurzer Zeit nicht mehr zu, weil wirklich nichts Spannendes passiert. Sondern man hörte hier noch zu, weil das Werk so ungemein klangschön und differenziert in den Klangfarben musiziert war, weil man die Darstellung bewunderte.
Energische Interpretation
Entschädigung brachte Antonín Dvořáks Klaviertrio Nr. 3 f-Moll op. 65. Zwar begann auch er mit einem melancholischen Hauptthema von Violine und Violoncello. Aber als das Klavier mit einem Forte-Ausbruch dazukam, war die Betriebstemperatur schnell erreicht. Und gemeinsam legte man dann das schroffe Seitenthema oben drauf. Da entstand ein Turbomusizieren, das eine ungemeine Intensität gewann, die auch nicht nachließ, wenn es mal leiser wurde und das in einem volksmusikalischen Hymnus gipfelte, bevor die wilde Coda den Spuk abrupt beendete. Das Scherzo tanzte im wahrsten Sinn des Wortes aus der Reihe, denn über leisen Streicherklängen stimmte Yulinna Avdeeva einen bäuerlichen Tanz an, der mit seinen Verzierungen und immer wieder aus dem Tritt geratenden Schritten an einen Tanzboden auf dem Dorf erinnerte.
Ein Trio, das harmoniert
Im Adagio waren Julia Fischer und Daniel Müller-Schott in ihrem Element, denn da können sie ihre Instrumente singen lassen in einem pathetischen Marsch im Cello oder einem schluchzenden Gesang im höchsten Diskant der Violine. Das rasante und trotzdem tänzerische Finale demonstrierte noch einmal die ganzen Qualitäten des Trios: völliges Einverständnis in der Gestaltung, Freude an der Expressivität ohne Übertreibungen, geradezu diebischen Freude an technischen Schwierigkeiten wie zum Beispiel aberwitzigen Tempi in absoluter Perfektion. Als Zugabe gab’s zum Runterkommen das Adagio tranquillo aus dem Klaviertrio d-Moll op.49 von Felix Mendelssohn-Bartholdy .