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Bad Kissingen
Krisen machen stark
Christian Ehring hat mit seinem Programm „Stand jetzt“ ein apokalyptisches Bild unserer aktuellen politischen Lage gezeichnet und „just in time“ auf die sich wechselnde Weltlage reagiert.
Christian Ehring im Bad Kissinger Kurtheater.       -  Christian Ehring im Bad Kissinger Kurtheater.
Foto: Klaus Werner | Christian Ehring im Bad Kissinger Kurtheater.
Klaus Werner
 |  aktualisiert: 17.11.2024 17:51 Uhr

„Der Mars ist keine Alternative!“ – so lautet Christian Ehrings Fazit als „Learning“ für die Gäste im ausverkauften Bad Kissinger Kurtheater am Ende eines unterhaltsamen, zugleich anspruchsvollen Kabarettabends . Doch was sich wie eine apokalyptische Perspektive anhört, entpuppt sich dank der positiven Grundstimmung des Kabarettisten als Licht am Ende eines Tunnels, in dem es von Krisen , Egozentrikern und „Fake News“ nur so wimmelt, denn: „Schlechte Laune, negatives Denken, führt zu Lösungen.“

Blauer Anzug, weißes Hemd mit offenem Kragen und einer Stimme, die nach einer durchzechten Nacht klingt – so präsentiert sich Christian Ehring nicht nur als Moderator der NDR-Satire-Sendung „extra 3“, sondern auch auf der Bühne des Kissinger Kurtheaters mit seinem Programm „Stand jetzt“. Der Titel ist gut gewählt, denn Berlin und die Weltlage zwängen zur permanenten Aktualisierung, und trotz penibler Vorbereitung sei „Satire eine Just-in-Time-Reaktion“ geworden.

Wenn Gehirnzellen absterben

Ehring nutzt dies und liefert Just-in-Time seine Anmerkungen zum Ampel-Aus, prophezeit, dass die CDU „trotz Friedrich Merz “ bei den Neuwahlen stärkste Kraft wird, und philosophiert über die Koalitionsmöglichkeiten mit dem besorgten Fazit: „Schwarz-Rot? Schwarz-Gelb ? Hatten wir alles schon.“

Natürlich ist auch die Wahl von Trump eine Stichelei wert, denn der ist in seinen Augen „ein Faschist aus Doofheit“, weil er das politische Konzept dahinter nicht versteht, und beim Lesen von Trumps Aussagen sterben ihm Gehirnzellen ab: „Da muss was Intellektuelles hinterher zum Kompensieren.“

Damit hat es sich aber auch schon mit der politischen Führungsschicht, die andere seiner Zunft nicht nur für zynisch- bissige Kommentare zur Person, sondern auch durch mehr oder weniger witzige Spitznamen als oberflächliche Kalauer nutzen.

Christian Ehring bevorzugt weniger das comedyhafte Schwert, sondern eher das kabarettistische Florett und mit diesem setzt er gezielt seine reflektierten Anmerkungen und tiefsinnigen Sticheleien, gepaart mit einem kräftigen Schuss Selbstironie.

„Save Space“ im Kurtheater

Im „Save Space“ des Kurtheaters gesteht er ganz ungeschützt, dass er mit dem politischen Spitzenpersonal ob der Tragweite der Entscheidungen nicht tauschen möchte. „Taurus ja oder nein? Da ginge mir die Düse.“

Gleiches gilt zum Gas-Fracking, denn wenn wir schon weltweit einkaufen, warum es dann nicht auch in Niedersachsen anwenden, oder zum AfD-Verbotsverfahren als Teil der „wehrhaften Demokratie“, das aber bei einem Wähleranteil von 30 Prozent in Thüringen problematisch sei.

Dagegen zeigt er klare Kante in Bezug auf Rechtspopulisten und die entsprechenden Parteien: „Sind wie Hämorrhoiden-Salbe. Als Arsch freut man sich.“

Angesichts weitreichender Dilemma-Entscheidungen kann er den Drang zur politischen Führung nur schwer nachvollziehen, wobei auch die Opposition nicht ungeschoren davonkommt: „Die muss es nicht besser können, nur besser wissen – Sahra Wagenknecht hat das kapiert.“

Was „Onkel Willi“ sagt

Das gilt auch für „Onkel Willi“, der nichts macht, alles besser weiß, wertend daneben steht und alles mit „Ich hätt’s anders gemacht“ kommentiert. Onkel Willi ist für Christian Ehring das Synonym für diejenigen, die bei Lanz im ZDF sitzen und mit „Phrasen statt Ahnung“ glänzen.

Ehrings „Tool for mental health“ sind Tagebücher, die auf einem Bistrotisch bereitliegen, und er liest einige fiktive Kostproben vor. Zum Beispiel wenn es um die Musterung im Jahr 1990 geht, und er bezweifelt, dass man mit einem „Griff in den Schritt“ die Wehrtauglichkeit feststellen kann – mit Überleitung zu seiner eigenen Wehrdienstverweigerung aus Überzeugung und dem Geständnis: „Würde ich heute wieder machen, aber aus Angst.“

Dem Abschreckungspotential von Atomwaffen gilt sein ironischer Kommentar mit: „Atomkraft ist abgeschafft. Geht das auch mit Windrädern?“

Neben den Tagebüchern nutzt er „Post-its“ für Gedankenschnipsel, die er zwischen „Dazu hab ich eine Meinung“ und „Darüber muss ich nochmal nachdenken“ hin- und herschiebt und sein Publikum daran teilhaben lässt.

Da geht es dann ums Gendern, das als Aufreger einen Bürger-/Bürgerinnenkrieg auslösen könnte, oder um die populistische Zwangsveganisierung als Söders Thema mit Empörungspotential – wie auch das (Geschlechter-)Selbstbestimmungsgesetz, bei dem mit Schreckensszenarien über „Männer in Frauen-Sauna“ auf etwas hingewiesen wird, das weniger als ein Prozent der Menschen in Deutschland betrifft.

„Shanti und Rolf“

Hilfreich sind dabei auch „Shanti und Rolf“, die als Nachbarn, Hundebesitzer und „Life-Coaches“ stets für einen Kalenderspruch auf Instagram gut sind und die für Ehring als gelungene Stichwortgeber fungieren.

So vielfältig die Themen bei „Stand jetzt“ waren, so ausgefeilt waren diese von Christian Ehring vorbereitet und so vielschichtig wurden sie mit geschliffenem Text oder ergänzenden Liedern präsentiert, wobei das Klavier Ehrings instrumenteller Begleiter war.

Ehrings erhobener Zeigefinger, wenn es um die Krisen der Welt, um die Umweltzerstörung oder um gesellschaftliche Defizite ging, hatte immer einen satirisch-humoristischen Kontext. Er will nicht der Mahner vor der Apokalypse sein, sondern der, mit nachgeschobenen Bonmots dem Gesagten die Schärfe nimmt, dem Publikum ein Lächeln entlockt und – bestenfalls – zum Handeln animiert.

„Tut das, wovon ihr überzeugt seid – auch ohne Aussicht auf Erfolg“ – so lautet der Ratschlag von Ehrings 20-jähriger Tochter.

 
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