
Die Damen des Hammelburger kulturbunt e. V. hatten wieder einmal neben ihren selbst kredenzten „empirisch belegten Brötchen“, passend zum gleichnamigen Titel des abendlichen Programms, einen besonderen kabarettistischen Leckerbissen nach Hammelburg geholt. Marco Tschirpke lieferte Gedichte , Geschichten und Lieder mit einer großen inhaltlichen Bandbreite. Er bot ein geistig rasantes Feuerwerk mit harmonischen Tönen, aber auch bissigen Spitzen. Marco Tschirpke, bekannt als Autor mehrerer Bücher (darunter auch ein Spiegelbestseller) und Gedichtbände, wurde für sein Musikkabarett mehrmals preisgekrönt.
Der Verein hatte diesmal einen neuen und für künftige Veranstaltungen sehr geeigneten Ort gewählt: den großzügigen Raum des Hammelburger Seniorenheimes „Dr. Maria Probst “. Unter den etwa hundert Zuhörern und Zuhörerinnen des Abends waren alle Altersgruppen vertreten. Unter den Gästen waren auch Edmund und Meinolf, zwei Flensburger Freunde, die seit 1984 alljährlich Hammelburg besuchen, um hier Wanderungen, Wein und Kultur zu genießen.
Mal Klavier, mal Ukulele
Hier im Raum stand es nun, das bevorzugte Instrument des Hauptakteurs des Abends: ein Klavier. Neben dem abwechselnden Spiel auf einer Ukulele ließ Marco Tschirpke am Klavier in den nächsten zwei Stunden ein breites Repertoire von einschlägigen Melodien bis hin zu jazzigen Stücken erklingen, seine Wortkunst begleitend. Seine meist nur wenige Sekunden währenden Klavierlieder und von ihm als „Lapsus-Lieder“ bezeichneten Werke sind im Genre des Klavierkabarettsongs äußerst innovativ.
Raunte es bei manchen seiner Äußerungen auch im Publikum , dann stellte Tschirpke fest, dass das Hammelburger Publikum wohl empfindlich sei. So erfuhr er jedoch mit seiner Wortschöpfung des „Weinhains“ sofortige Korrektur. „Weinberg“ hieße es.
Optisch, um Stereotype zu bedienen, wirkt Tschirpke wie ein sympathischer Langzeitstudent der Geisteswissenschaften: verstrubbeltes Haar, ein netter Typ von nebenan, grau die Kleidung, oft schwarz der Humor. So unscheinbar sein Äußeres, so unerwartet seine Fähigkeit, wortjonglierend und tonbegleitend in Lyrik und Prosa mit dem Hang zum Zeilenumbruch zu unterhalten. Moderne Lyrik halt, so nennt es Tschirpke selbst.
Meister des Verzichts
Tschirpke ist ein Meister des Verzichts. Ein Mann, der seine Zuhörer herausfordert und mit jedem Lied oder Text das Thema wechselt. Ein Künstler, der sein Publikum geistig an der langen Leine hält, es gekonnt und sicher vom Hölzchen aufs Stöckchen geleitet, trotz mancher anfänglichen Verwirrung ob seiner zerstreuten und spontan wirkenden Aneinanderreihung von Liedern, Gedichten und Impulsen.
Ein scheinbarer Flickenteppich, doch alles in allem hat sein Vortrag Methode und sorgt für einen amüsanten Abend. Er konfrontiert seine Zuhörer unter anderem mit Goethe, einem Gedicht über das Staubwischen, dem Almabtrieb, einem die Bibel auslegenden Novizen, Hilde Domin , dem Exodus dienenden Pflaumenbäumen und einem seinem Vater gewidmeten Lied.
Gedichte auf kleinen Zettelchen
Die Gedichte , die Tschirpke seinen gefesselten und aufmerksamen Zuhörern und Zuhörerinnen vorliest, stehen auf kleinen Zettelchen, die er akribisch hervorkramt. Oder er zitiert aus seinen Gedichtbänden. Immer wieder bricht er einfach während des Vortragens und mitten im Satz ab. Er stimmt zum Beispiel ein zartes Liebeslied an, so scheint es, doch der Flöte, die er in der Hand hält, entlockt er keinen Ton. Ein Meister des effektvollen Weglassens auch hier.
Tschirpke teilt mit seinem Publikum Biografisches. So berichtet der gebürtige Rathenower über seine Zivildienstzeit in der Lausitz unter Schafen und Wölfen und führt in eine nur zwei Jahre währende Phase der Kunstgeschichte ein.
Außerdem berichtet er auch über seine Dubai-Pläne und die Möglichkeit, dort – auf Einladung eines Ölscheichs – dessen 300 Haremsdamen zu unterhalten, das musikalische Rahmenprogramm zur Feier des dortigen Weltfrauentages gestaltend. Als Brotberuf schreibe er Gedichte mit Ratgebercharakter für die „Apothekenrundschau“, die mit den Jahreszeiten korrespondieren sollen, ist zu erfahren. Hier habe er sich im letzten Sommer mit dem Thema beschäftigt, was zu tun sei, wenn ein Kind einen Radiergummi verschluckt habe. Dieses wurde dann abgelehnt, da es nicht die Zielgruppe treffe. Erstaunlich, würde Tschirpke doch den dritten verschluckten Radiergummi vom Taschengeld abziehen.
Frenetischer Applaus
Nach frenetischem Applaus und mehreren Zugaben ist Schluss, und mit „Felicità“, einem Lied des italienischen Schlagerduos Al Bano und Romina Power, lässt Tschirpke diesen amüsanten und nachdenklich stimmenden Abend ausklingen. Es sei ein italienisches Volkslied in ungarischer Übersetzung. Selbstverständlich handle es sich bei Tschirpke nicht um irgendeine herkömmliche glücksverheißende Liebesgeschichte, sondern er besinge die glückliche und unglückliche Beziehung eines Pferdebesitzers zu seinem Tier.
Innerlich die Melodie von „Felicità“ summend verlässt das Publikum den Saal. Wort- und Tastenkünstler Marco Tschirpke wird in Erinnerung bleiben. Auch wegen des Weinhains.
