Seit 25. April ist Joachim Meßler der neue Direktor am Amtsgericht Bad Kissingen . Er löst seinen Vorgänger Reinhard Oberndorfer ab. In einem Gespräch mit der Zeitung gibt er seine Einschätzungen zu juristischen Sprichwörter und Zitaten ab und plaudert ein wenig über seine Arbeit.
Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.
Das würde ich nicht so sehen. Ein Gerichtsverfahren läuft nach strengen Regeln ab. Eigentlich kann man schon erahnen, was am Ende herauskommt. Anders ist es, wenn Sachverhalte strittig sind. Dann geht es darum: Was sagen Zeugen aus, was ergeben die Beweismittel? Wenn Sie es so verstehen wollen, dass offen ist, wie der Richter wertet, mag das richtig sein.
Du weißt so lange nichts von einer Frau, bis du ihr vor Gericht begegnest - ein Zitat von Norman Mailer , ein Schriftsteller.
(lacht) Vor allem der Richter erfährt von den Leuten viel Privates. Im Familienverfahren dringen Sie tief in den Lebensbereich der Leute ein, das ist aber auch manchmal unvermeidlich. Beispielsweise wenn es darum geht, wo sich Kinder nach der Trennung aufhalten. Und wenn dann Gutachten gemacht werden, da kann ich mir das vorstellen. Da kann es sogar sein, dass man darüber überrascht ist, was im eigenen steht.
Ein Sprichwort: Zwei Juristen - drei Meinungen.
Ja, das ist immer so bei uns. Die Rechtswissenschaft ist keine Naturwissenschaft. Juristen streiten. Studenten tun sich da schwer, es gibt nicht die eine Lösung. Es gibt Normen oder Paragrafen, bei denen es einen Auslegungsspielraum gibt. Da wären wir wieder bei der hohen See: Das sind Unwägbarkeiten, die die Menschen nicht einschätzen können. Rechtsanwälte müssen es aber können.
Recht haben und Recht bekommen sind zwei paar Schuhe.
Das ist natürlich möglich. Sie können objektiv Recht haben, es geling Ihnen aber nicht, das zu beweisen. Beispielsweise kaufen Sie ein Auto, damit passt aber etwas nicht, nur haben Sie keinen schriftlichen Vertrag. Wenn Sie eine schlechte Beweislage haben, kann es sein, dass Sie kein Recht bekommen. Sie kennen sicher auch den Grundsatz: "In dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten), da ist es ja ähnlich: Da hat womöglich einer eine Straftat begangen, aber es gelingt nicht, mit den zulässigen Beweismitteln den Tatnachweis zu führen.
Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede / Man muss sie billig hören beede (Man muss sie beide hören), ist ein mittelalterliches Gesetz. Die lateinische Form dazu wäre: audiatur et altera pars.
Man muss sich wirklich beide Seiten anhören, das ist wichtig. Und es ist unsagbar spannend: Beispielsweise wenn man eine Akte über zwei Personen liest, die einen Kaufvertrag geschlossen haben. Erst die Anklage, was sich zugetragen hat. Und dann kommt der Gegner - und der schildert den Sachverhalt komplett anders. Da denkt man sich, wie kann denn das sein? Wie können die beiden denn überhaupt miteinander zu tun gehabt haben? Das kommt nicht selten vor. Das gibt es im Strafrecht wie im Zivilrecht. Das macht sie Sache zwar nicht einfach, aber spannend.
Konrad Adenauer sagte: Natürlich achte ich das Recht, aber mit dem Recht darf man nicht so pingelig sein.
(lacht) Das ist in der Hinsicht gemeint, dass man nicht so erbsenzählerisch sein soll. Dass man irgendwo auch einen größeren Rahmen sehen muss. Es kann aber auch so rüberkommen wie "ich kann es mir schon so drehen, wie ich es möchte". Man muss den Mittelweg finden. Stellen Sich vor, Sie haben einen Nachbarn, der immer auf sein Recht pocht. Immer überzieht er Sie mit einer Klage , weil sie gegrillt haben, oder die Musik war zu laut. Das kann keiner wollen.
Benjamin Franklin sagte: Zu weiche Gesetze werden selten befolgt, zu strenge selten vollzogen.
Das ist ein guter Ausspruch. Wenn ein Gesetz zu streng ist, beispielsweise jeder Diebstahl mit zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden muss. Das wäre total überzogen, das würde niemand umsetzen wollen. Was zu weichen Gesetze betrifft: Aus der Realität kenne ich da nichts. Unsere Strafrahmen sind da schon sehr gut.
Ihr Vorgänger Herr Oberndorfer hat gesagt: "Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind immer problematisch."
Ja, als Richter sollte man nicht aus dem Bauch heraus urteilen. Wir sind darauf angewiesen, den Sachverhalt zu erkunden, darüber nachzudenken und abzuwägen. Man will ja eine Entscheidung haben, die auf einem Gesetz beruht, die begründet ist, die so formuliert ist, dass ich sie verstehe und wo ich weiß, der hat da nicht irgendwas entschieden, was ihm gerade in den Kopf gekommen ist. Das ist wichtig, das ist unsere Aufgabe.
Das Gespräch führte Ellen Mützel.