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Bad Kissingen
Junge, ambitionierte Leute aus Estland
Kissinger Sommer trat mit Baltic Sea Philharmonic ein erfreulich junges Orchester auf.
Die drei von der Uraufführung: der Geiger David Nebel, der Komponist Gediminas Gelgotas und der Dirigent Kristjan Järvi. Gerhild Ahnert       -  Die drei von der Uraufführung: der Geiger David Nebel, der Komponist Gediminas Gelgotas und der Dirigent Kristjan Järvi. Gerhild Ahnert
| Die drei von der Uraufführung: der Geiger David Nebel, der Komponist Gediminas Gelgotas und der Dirigent Kristjan Järvi. Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 18.08.2022 19:50 Uhr
Es ist kein Jugendorchester, aber es ist ein erfreulich junges Orchester , das Baltic Sea Philharmonic, das vor zehn Jahren gegründet wurde und das Kristjan Järvi jetzt in den Regentenbau brachte (bevor die Frage erst auftaucht: Kristjan Järvi ist der zehn Jahre jüngere Bruder von Paavo Järvi). Das sind junge Leute, die noch etwas wollen und entsprechend engagiert musizieren.
Und das konnten sie auch: bei Kristjan Järvis kurzer Sinfonischen Dichtung "Aurora", einer Kombination von Debussys Impressionismus in dessen "La mer" und dem Minimalismus des Amerikaners Philipp Glass: eine Musik, die die ständige Wellenbewegung als Grundrhythmus mit dem anhaltenden Crescendo eines aufkommenden Tages kombiniert, und die nicht nur reichlich spannende Klänge produziert, sondern auch schöne solistische Auftritte. Mit einer gewissen Spannung wurde die Uraufführung eines Violinkonzerts des Litauers Gediminas Gelgotas erwartet. Aber was dann zu hören war ... naja.
Gelgotas bezeichnet sich als Individualminimalisten, aber der Minimalist war vor allem an den ausgebliebenen Ideen abzulesen. Er scheint Probleme zu haben, ein Orchester und einen Solisten so zusammenzubringen, dass Interaktion entsteht, bei der am Ende etwas herauskommt. Kurz: Das Orchester überfällt immer mal den Solisten, der sich mit langen Doppelgriffen dagegen wehrt. Das ist nicht mal virtuos besonders anspruchsvoll. Selten hat man bei der Uraufführung eines Violinkonzerts einen derart unterforderten Geiger erlebt wie den 22-jährigen David Nebel aus Zürich. Wer ihn anderweitig erlebt oder gehört hat, weiß, dass es erheblich mehr braucht, um ihn unter virtuosen Druck zu setzen. Auch klanglich hätte die Musik überraschender ein können. Das Kratzen des Bogens auf den Saiten wirkte wie aus einer Zeit, in der man mit Pubertät noch provozieren konnte. Das neue Konzert wird vielleicht nicht im Pflichtkanon der Virtuosen Einzug halten.
Der zweite Teil des Abends ging an Peter Tschaikowsky und seine "Dornröschen"-Suite op. 66a, die Kristjan Järvi bearbeitet und auch etwas modernisiert hat. Da konnte das Orchester dann wirklich zeigen, was es kann, wie gut junge Profis in kurzer Zeit zu einem absolut homogenen Klangkörper zusammenwachsen können und trotzdem, was freilich nur die Bläser als "ewige Solisten" betrifft, sich eine starke Eigenständigkeit bewahren können.
Das Problem bei der Sache war das Stück, beziehungsweise seine Länge. Es machte ja Spaß, diese Musik von Tschaikowsky, die durchaus auf Sogwirkung zielt, zu hören, innerlich mitzugehen. Aber nach einiger Zeit nutzten sich die Walzereien und die berechenbaren Crescendi und Ritardandi ab. Aber man musste erst noch zehn (in Worten: zehn) Scheinschlüsse überstehen, bis Dornröschen ihren Prinzen endlich hatte (oder umgekehrt). Da machte sich bei aller Bewunderung auch ein bisschen Erleichterung breit.
Die Zugabe war ein köstlicher Klamauk: die "Viljandi Suite", die der St. Petersburger Gene Pritsker aus estnischer Volksmusik arrangiert hat. Das war ein deftiger Spaß zum Mitklatschen und ein bisschen wie Haydns "Abschiedssinfonie". Denn allmählich standen alle Musiker auf, um zu gehen. Den Beifall haben sie freilich noch abgewartet.
Heute Abend ist das Orchester noch einmal zu erleben.
 
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