
Mit dem israelischen Autor und Theaterwissenschaftler Gad Kaynar-Kissinger (77) aus Tel Aviv gab es einen besonders gelungenen Auftakt der diesjährigen Veranstaltungsreihe aus Lesungen, Konzerten, Besichtigungen und Führungen zu jüdischen Kulturstätten im Landkreis.
Der Nachkomme einer aus Bad Kissingen stammenden jüdischen Familie las aus seinem achten auf Hebräisch veröffentlichten Gedichtband „Höchste Gefahr“, dem ersten in deutscher Übersetzung (Liliane Meilinger).

Eine besondere Veranstaltung
Lesungen in Stuttgart und Wetzlar habe er bereits hinter sich, Berlin und Greifswald sollen noch folgen, begrüßte der Vortragsgast und emeritierte Professor der Universität Tel Aviv seine etwa 50 gespannt lauschenden Zuhörer. „Doch die heutige Veranstaltung in Bad Kissingen ist für mich eine ganz besondere.“
Schon mehrmals habe er die Heimatstadt seines 1934 nach Palästina emigrierten Vaters und seiner Vorfahren der Familie Kissinger besucht. Beim ersten Mal in den 1980er-Jahren, so erzählte er schmunzelnd, habe er sich stolz vor dem einstigen Herrenkonfektionsgeschäft seiner Großeltern am Kissinger Marktplatz fotografieren lassen. Doch zurück in Israel war die Enttäuschung groß: Als er das Foto seinem Vater zeigte, meinte dieser nur: „Das war das Nachbarhaus.“
Kaynars Gedichte
Seinen Sinn für Humor zeigte der 77-Jährige, der in Israel auch als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler bekannt ist, bei Vorstellung seiner ihn auf der Deutschlandreise begleitenden Ehefrau Ahuva Jablonka, ebenfalls Schauspielerin. Vor der Hochzeit (1971) hatten sich beide bei der Arbeit in einem Theaterstück kennengelernt, in dem es um Scheidung ging. „Wir hatten unsere Scheidung also schon vor der Hochzeit. Das war unsere Garantie für eine gute Ehe.“
Gegenseitige Achtung und Liebe bestimmen die Inhalte seiner Gedichte ebenso wie die Achtung des Alters sowie vielschichtige Erfahrungen und Erkenntnisse aus langem Leben, verbunden mit Verweisen auf die abendländische Kultur, antike Mythologien, die Heilige Schrift und die Kunst.
Kaynars Gedichte haben nicht die klassische Reim- und Versform, sondern sind kurze, poetisch formulierte Prosastücke, manchmal ernst bis tragisch, oft aber mit Humor und Ironie gewürzt, wenn nicht sogar mit Selbstironie.
Deutsch als „verbotene Sprache“
„Ich bin nur halbwegs ein deutscher Dichter“, gestand der 1947 in Tel Aviv geborene Lyriker, wo sich sein Vater Ernst Kissinger nach der Einwanderung – der Familientradition folgend – als Herrenschneider niedergelassen und 1943 die ebenfalls aus Deutschland emigrierte Oda Scheuer geheiratet hatte.
Vor allem die Mutter hatte vehement am deutschen Kulturgut und an der deutschen Sprache festgehalten. „Ich bin mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen, aber nur zu Hause“, erzählte Kaynar. Da Deutsch aber in den 1950er Jahren in Israel eine „verbotene Sprache“ war, kam es auch zu Reibereien zwischen dem Heranwachsenden und seiner Mutter, da sie sich auch in der Öffentlichkeit weigerte, auf Deutsch zu verzichten.
„Damals war allenfalls österreichisch erlaubt. Das war das koschere Deutsch “, machte Kaynar auf eine Widersinnigkeit aufmerksam, doch trotz dieses „Makels“ blieb die Liebe des Sohnes bis zum Tod der Mutter unverbrüchlich, weshalb er ihr auch einige seiner Gedichte widmete.
Die aktuelle politische Situation
Im zweiten Teil des Abends ging Gad Kaynar – „Gad heißt Glück und ist einer der zwölf Stämme Israels.“ – auf die aktuelle politische Situation seines Landes nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 ein – dies aber bezogen auf die Theaterszene.
Bis heute werden an etablierten Stadttheatern keine Aufführungen gespielt, die sich kritisch dem Massaker und dem Krieg Israels widmen. „Das Trauma ist noch zu stark. Es werden nur Lustspiele und Musicals gebracht.“ Allenfalls freie Theatergruppen und Festivals bemühen sich, „die Realität aus verschiedenen Sichtweisen zu zeigen“.
In Israel gibt es zwei Strömungen in der Bevölkerung, gab Kaynar seinen Eindruck wider: Die einen wollen zuerst alle Geiseln zurückhaben, die anderen wollen zuerst die Hamas vernichten. „Von Shalom, von Frieden, ist momentan nicht die Rede“, antwortete er auf die Frage eines Zuhörers. „Wir werden noch lange brauchen, um dieses Trauma zu verdauen. Bis alle Geiseln zurück sind, wird Israel eine kranke Gesellschaft bleiben.“
Kritik am Handeln der israelischen Regierung
Ob es unter den Israelis auch Mitgefühl für die zivilen Opfer im Gaza-Streifen gibt, wollte eine Zuhörerin wissen. „Wir leben in Tel Aviv, da ist Gaza eigentlich kein Thema“, vermied Gad Kaynar eine konkrete Antwort. „Da gibt es trotz der Nähe von vielleicht hundert Kilometern eine Denk-Kluft.“
Kritik am Handeln der israelischen Regierung gebe es im Land sehr wohl, bestätigte Kaynar dann doch. „Der Krieg wird sehr kritisch gesehen.“ Auf eine weitere politische Diskussion wollte sich der Theatermann und Lyriker aber lieber nicht einlassen: „Das ist ein sehr heikler Bereich.“
Informationen zum Buch: Gad Kaynar-Kissinger: „Höchste Gefahr“, Verlag PalmArtPress, gebunden, 90 Seiten, Preis: 22 Euro, ISBN 978-3962581657