Zwei Koffer. Das ist alles, was Sahar und Mohammed aus ihrem Leben im Iran übrighaben. Sie waren gerade auf einer Messe für Bauingenieure in Berlin, als sie erfuhren, dass die iranische Polizei ihr Haus im Heimatland durchsucht. Der Grund: Sie sind einige Jahre zuvor vom Islam zum Christentum konvertiert. Heimlich hatte sich die christliche Gemeinde in ihrem Haus getroffen, um zusammen zu beten. Das wird im Iran als schwerwiegendes Verbrechen geahndet, Christen werden dort verfolgt, oft verhaftet oder sogar gefoltert.
Seit drei Jahren sind Sahar und Mohammed nun in Münnerstadt, seit drei Jahren haben sie ihre Eltern, Geschwister und Freunde nicht gesehen. Inzwischen ist das Paar Eltern eines kleinen Jungen geworden, die Sorge um ihre Heimat ist geblieben. "Dem Mullah-Regime ist es egal, was die Menschen wollen. Nur ihre eigene Meinung zählt", sagt Sahar, die sich per You-Tube-Videos selbst ein wenig Deutsch beigebracht hat. "Den Menschen im Iran geht es aber um Freiheit, Gerechtigkeit und Würde."
Kontaktaufnahme nach Hause ist schwierig
Der Kontakt zu Familie und Freunden in der Heimat ist schwierig, da es im Iran oft kein Internet gibt. Nur über VPN (Virtual Private Network, verschlüsselt den privaten Internetverkehr in ungesicherten Netzwerken, Anm. d. Redaktion) sind kurze Telefonate oder Nachrichten mit den Eltern möglich. Sahar macht sich jeden Tag große Sorgen. Vor allem wenn sie die Videos von den Protesten in Teheran sieht, wo junge Menschen auf offener Straße von der Polizei erschossen werden.
Denn auch ihre Eltern und ihr Bruder beteiligen sich an den Protesten: "Trotz der Gefahr, aber sie möchten ihre Freiheit wieder haben", erklärt die 28-Jährige. Ihr Vater führt einen Süßigkeitenladen, den er aus Empörung zurzeit geschlossen hält. Ihr Bruder studiert und arbeitet nebenher, doch immer wenn es ihm möglich ist, geht er auf die Straße. "Ich weine jede Nacht, weil ich Angst um sie habe und wir nicht wissen, was passiert", sagt Sahar ernst und blickt in die Ferne.
Festnahmen sind normal
Auch Sahar wurde einmal von "Gasht-e Ershad", der iranischen Sittenpolizei verhaftet, weil ihr "Hidschab", ihr Kopftuch verrutscht war: "Das ist ganz normal, verhaftet zu werden", sagt Sahar lapidar, trotzdem hatte sie große Angst. Sie musste eine Verpflichtung unterschreiben, nie wieder das Kopftuch falsch zu tragen, dabei gibt es keine klaren Regeln, wie viel Haaransatz zu sehen sein darf. "Das ist einfach Willkür", lässt Ehemann Mohammed übersetzen und winkt ab. Auch er ging vor drei Jahren gegen die Regierung auf die Straße. Die Polizei setzte Tränengas ein und prügelte mit Stöcken auf die Menschen. Mohammed kam mit blauen Flecken an Rücken und Beinen heim.
Obwohl es damals schon Proteste gab, ist der Alltag in Teheran seit September ganz anders, berichten Sahars Eltern. Mitte September starb die 22-jährige Mahsa Amini während ihrer Inhaftierung durch die iranische Sittenpolizei . "Seitdem ist immer Polizei auf den Straßen, in den Universitäten und sogar in den Schulen. Meine Eltern leben ständig in Angst."
Sahar wünscht sich mehr Unterstützung durch westliche Politiker: "Die Regierung muss weg. Doch das Einzige, was die Menschen tun können, ist protestieren." Könnten sie zurück in ihre Heimat, würden auch sie sich beteiligen: "Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit. Wir wollen selbst entscheiden, wie wir unser Leben führen", erklärt Mohammed und Sahar ergänzt: "Wir wollen einfach normal leben!"
Angst vor Verfolgung
Nazanin war Grundschullehrerin in Ahvaz, nahe der Grenze zum Irak. Jetzt lebt sie in Münnerstadt. Als sie mit ihren Schülern über Freiheit und Menschenrechte gesprochen hat, bekam sie Probleme mit der Sittenpolizei . So sehr, dass sie und ihr Ehemann sich entschlossen haben zu fliehen, nachdem sie sich zwei Monate versteckt halten mussten.
Auf Englisch erklärt sie, dass ein normales Leben im Iran nicht möglich ist: "Mein Cousin ist seit 50 Tagen im Gefängnis, weil er sich an den Protesten beteiligt hat. Meine Familie darf nicht mit ihm reden, er bekommt keinen Anwalt, und niemand gibt ihnen Auskunft, wie es ihm geht."
Ihre zwei Schwestern gehen trotzdem jeden Tag auf die Straße. Mit ihrer Mutter kann Nazanin am Telefon aber nicht offen darüber sprechen, weil sie befürchten müssen, abgehört zu werden, "deshalb haben wir uns eine Art Geheimsprache ausgedacht", erzählt die 34-Jährige. "Ich bete jeden Tag für mein Land und für mein Volk. Die Menschen kämpfen dort mit leeren Händen."
74-Jährige: Traurig über die Bilder aus dem Heimatland
Mainjeh lebt schon sein 35 Jahren in Deutschland. Sie musste damals allein mit zwei kleinen Kindern aus ihrem Land fliehen, weil sie Proteste gegen das damalige Staatsoberhaupt Ayatollah Khomeini finanziell unterstützt hat. Seitdem war sie nicht mehr in ihrer Heimat, denn als Christin hat sie Angst vor Verfolgung. Der Kontakt zu Verwandten ist der Bad Kissingerin zurzeit nicht möglich. "Ich bin sehr traurig, wenn ich die Bilder aus meinem Heimatland sehe. Die Leute werden dort vernichtet, aber sie sind unsere Zukunft", sagt die 74-Jährige. "Ich wünsche mir, dass die Regierung verschwindet. Aber das wird nicht so schnell passieren. Es wird dauern, bis Iran wieder Iran ist."