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LKR Bad Kissingen
Vize-Landrat Müller: „Pflege ist kein Wohlfühlthema“
Deutschland und der Pflegekollaps: Emil Müller im Interview über die Missstände, die Nachfrage nach Beratung im Landkreis und ausländische Fachkräfte.
Beim Thema Pflege würde unserer Gesellschaft Selbstreflektion gut tun, sagt Emil Müller.       -  Beim Thema Pflege würde unserer Gesellschaft Selbstreflexion guttun, sagt Emil Müller.
Foto: MQ-Illustrations - stock.adobe | Beim Thema Pflege würde unserer Gesellschaft Selbstreflexion guttun, sagt Emil Müller.
Angelika Despang
 |  aktualisiert: 11.07.2024 17:00 Uhr

Emil Müller , stellvertretender Landrat im Landkreis Bad Kissingen, war Anfang Juni zu Gast beim Vortrag von Pflegekritiker Claus Fussek, den die Saale-Zeitung in die Kurstadt eingeladen hatte. Vor seiner Tätigkeit als Landrat war er 18 Jahre lang Bürgermeister von Burkardroth und 27 Jahre Vorsitzender des Caritasverbands für den Landkreis Bad Kissingen. Seine Ehefrau hat Angehörige gepflegt.

Wir haben ihn gefragt, wie er den Landkreis in Sachen Pflege aufgestellt sieht.

Emil Müller       -  Emil Müller
Foto: Angelika Despang | Emil Müller

Herr Müller, nach dem Vortrag von Claus Fussek sagten Sie: „Wir diskutieren unser eigenes Unvermögen mit Leidenschaft“ – was muss getan werden, dass die Gesellschaft und wir im Landkreis Bad Kissingen fähig beim Thema Pflege werden?

Emil Müller : Wenn es dafür ein Patentrezept geben würde, wäre vieles einfacher. Als Vorsitzender des Caritas-Kreisverbandes habe ich viel erlebt. In den Jahren nach der Einführung der Pflegeversicherung und mit der Entwicklung des staatlichen Fürsorgedenkens habe ich gemerkt, dass der Einzelne in der Gesellschaft immer weniger nach den eigenen Ressourcen schaut, sondern danach fragt, was der Staat ihm bietet.

Nur noch wenige sehen die eigenen Möglichkeiten, sondern es ist das Denken entstanden: Was kann die Allgemeinheit für mich tun? Das meinte ich mit: Wir beklagen unser eigenes Unvermögen. Es ist das Ergebnis unseres Verhaltens als Gesellschaft .

Wie sehen Sie den Landkreis beim Thema Pflege aufgestellt?

Ich glaube, die Pflegesituation hierzulande gut zu kennen und natürlich kenne ich alle Pflegeeinrichtungen im Landkreis, besonders natürliche die kreiseigenen. Was ich sehe, ist, dass unter den gesetzlichen Rahmenbedingen gute Pflege geleistet wird.

Dennoch fällt das Schlechtreden des Berufs auf, Pflegeberufe haben nicht die Reputation, wie wir sie wünschen. Zudem ist Pflege kein Wohlfühlthema, sie ist nicht hip. Aber davon ist der Stellenwert in der Gesellschaft abhängig. Wir müssten unseren alten Mitbürgern und Mitbürgerinnen die gleiche Wertschätzung entgegenbringen, wie den Kindern gegenüber.

Auch der Zusammenhalt in der Gesellschaft ist ein anderer geworden, es gibt weniger Mehrgenerationen-Haushalte, dadurch herrscht die Frage vor, wo man pflegebedürftige Angehörige unterbringen kann und nicht, was man selbst tun kann. Doch alle Bedürfnisse über öffentliche Strukturen abzubilden, kann eine Gesellschaft nicht leisten.

Mit den Pflegeeinrichtungen der kreiseigenen kommunalen Carl von Heß Stiftung und Anlaufstellen wie dem Pflegestützpunkt und dem „Kompetenznetzwerk Demenz und Pflege “ ist das Landratsamt mitten im Geschehen – tut der Landkreis genug für die Alten?

Der Landkreis selbst macht relativ viel. Viele andere Landkreise haben keine Altenstiftung, wir haben sieben kreiseigene Einrichtungen, und der Pflegestützpunkt wird sehr gut angenommen. Das zeigt, dass der Bedarf da ist. Wichtige Fragen können hier geklärt werden. Seit der Gründung haben wir den Personaleinsatz schon erhöht, weil die Nachfrage so hoch ist. Der Stützpunkt wird zwar staatlich gefördert, aber er verlangt uns auch Mittel ab.

Da werden wir unserer Verantwortung schon gerecht. Wir können uns nicht vorhalten, dass wir hinten nachhinken. Hinzu kommt noch die neue Pflegeakademie in Maria Bildhausen, ein Zentrum für Pflege , Sozialberufe und Ehrenamt, die momentan noch in den Kinderschuhen steckt, mit der wir bayernweit aber Vorreiter sind.

Was haben Sie aus dem Vortrag von Claus Fussek für die Kommunalpolitik mitgenommen?

Ich kannte Herrn Fussek bisher nicht. Ich hörte zu viel beklagende Ansätze und zu wenig Lösungsansätze und Hinweise, wie man die Situation verbessern könnte. Das Thema beschäftigt uns natürlich als Landkreis.

Ich war erstaunt, dass viele Pflegekräfte ihren Namen nicht nennen wollen, wenn sie Kritik üben. In den kreiseigenen Einrichtungen kann jeder ohne Angst kritische Themen ansprechen.

Wo sehen Sie denn noch Baustellen beim Thema Pflege für den Landkreis?

Wir müssen schauen, dass sich Pflegeeinrichtungen am Markt halten können. Der Personalmangel macht auch bei uns nicht halt. Da sind wir wieder bei der gesellschaftlichen Reputation, die Leute müssen von sich aus den Pflegeberuf ergreifen, das Image des Berufs ist jetzt das Thema. Da tut uns ein bisschen Selbstreflexion als Gesellschaft gut.

Ein Vorschlag von Claus Fussek war, dass Ehrenamtliche sich um die ältere Bevölkerung kümmern könnten, sei es zum Vorlesen, beim Skatspielen oder wenn Schüler ein Seniorenfrühstück veranstalten – könnte sowas vom Landkreis organisiert werden?

Das passiert zum Teil, ich kenne in vielen Einrichtungen Fördervereine, die meist von Angehörigen gegründet wurden und von der Heimleitung unterstützt werden. Das ist von der Landkreisebene nicht zu erzwingen, das muss wachsen. Hier tut sich schon einiges.

Außenministerin Baerbock und Arbeitsminister Heil waren letzte Woche in Südamerika, um Pflegekräfte für Deutschland anzuwerben. Wenn die Mission erfolgreich ist – hätte der Landkreis überhaupt genug günstigen Wohnraum für die Anzahl an Pflegekräften, die hier nötig sind?

Wir haben in unseren Einrichtungen Erfahrung mit philippinischen Kräften. Das ist nicht immer einfach, die Menschen müssen auch außerhalb der Arbeitsstelle betreut werden, sie wollen oft eher in urbane Räume, es ist kostenaufwändig und es gibt ausländerrechtliche Hürden.

Da steht die Unterbringungsproblematik ganz weit hinten – daran wird es nicht scheitern. Natürlich muss man werben, aber es wäre ein Trugschluss zu glauben, mit Pflegekräften aus dem Ausland würde unser Problem gelöst. Sie sind aber ein Teil der Lösung.

Welche Unterstützung braucht der Landkreis von der Bundespolitik, um zukünftig in Sachen Pflege gut aufgestellt zu sein?

Ich würde mir wünschen, dass solche Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass die Betreiber von Pflegeeinrichtungen wirtschaftlich arbeiten können. Beim Caritas Kreisverband konnten wir früher nach dem Credo arbeiten, dass keine Pflegeanfrage abgelehnt werden musste. Das ist jetzt auch nicht mehr möglich, weil das Personal fehlt. Eine bessere finanzielle Ausstattung wäre wichtig – aber das bleibt wahrscheinlich ein frommer Wunsch.

Das Gespräch führte Angelika Despang.

 

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  • K. S.
    Von Männern halt, so wie der Fussek, die null Ahnung von Pflege haben, Hauptsache Frauen, die meist in der Pflege arbeiten maximal verheizen. Was anderes kann da keiner. An euch krankts schon lange
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  • K. S.
    Hallo!!! Das ist ein überhebliches Statement, wie es Seinesgleichen sucht.
    Einfach unglaublich
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