zurück
Bad Kissingen
Interview mit einem Schneemann
Thomas Ahnert, Kulturkritiker der Saale-Zeitung, ist eingeschneit. Mit Romantik hat es wenig zu tun, wenn über einem 80 Tonnen Schnee liegen.
Fast hüfthoch lag der Schnee vor der Hütte von Thomas und Gerhild Ahnert am Dienstag. Das ist Schnee von gestern: Mittlerweile kamen noch ordentlich Flocken dazu. Das Foto zeigt Thomas Ahnert beim Früh-, Mittag-, Nachmittag-, Abend- und Nachtsport: Schneeschippen. Foto: Gerhild Ahnert       -  Fast hüfthoch lag der Schnee vor der Hütte von Thomas und Gerhild Ahnert am Dienstag. Das ist Schnee von gestern: Mittlerweile kamen noch ordentlich Flocken dazu. Das Foto zeigt Thomas Ahnert beim Früh-, Mittag-, Nachmittag-, Abend- und Nachtsport: Schneeschippen. Foto: Gerhild Ahnert
| Fast hüfthoch lag der Schnee vor der Hütte von Thomas und Gerhild Ahnert am Dienstag. Das ist Schnee von gestern: Mittlerweile kamen noch ordentlich Flocken dazu.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 18.08.2022 13:00 Uhr

Thomas Ahnert ist zwar im Ruhestand, aber vom Schreiben kann er glücklicherweise nicht lassen: Der Ex-Redakteur der Saale-Zeitung kümmert sich weiter um die Kultur in der Saale-Zeitung. Er hatte einen anstrengenden Winter hinter sich: Er hat den Kissinger Winterzauber nach ziemlich vielen Konzertbesprechungen für sich abgeschlossen und war am 27. Dezember in die Winterferien gefahren. Was er zusammen mit seiner Frau suchte: Entspannung im Ferienhaus in Inzell und Zeit zum Lesen. Jetzt ist er eingeschneit. Ein Telefoninterview mit einem, der auszog, um Ruhe zu finden und der jetzt ziemlich die Schnauze voll hat von Schnee , Schnee , Schnee .

Hallo Tom, heute schon geschippt?

Thomas Ahnert: Hör mir auf.

Okay, falsche Frage. Was liest man denn so, wenn man eingeschneit ist? "Fräulein Smillas Gespür für Schnee "? "Wolfsblut" von Jack London ?

Das ist nicht witzig.

Ihr könnt ihn also nicht mehr sehen, den Schnee .

Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber es ist egal, wo du hinschaust: Überall weiß. Weiße Berge. Über Dächern, über Zäunen, über Autos.

Seid ihr wirklich richtig eingeschneit?

Sagen wir es so: Wir konnten am Dienstag zum ersten Mal seit fünf Tagen zum Einkaufen fahren. Die Vorräte haben sich schon geneigt. Zwar haben wir in 400 Metern Entfernung ein wunderbares Wirtshaus, aber es ist viel zu anstrengend, sich durch die Schneemassen zu wühlen.

Wie war es denn im Supermarkt? Gab es da Notstand?

Nicht mehr als sonst auch. Aber es hat gedauert, bis wir dort waren.

Weil die Straßen gesperrt waren?

Nein, weil wir uns erst einen Pfad zum Auto schaufeln mussten. Aber ich hatte Glück und habe das Auto sofort gefunden: Unser Auto war das einzige auf dem Parkplatz. Ich habe also nicht erst ein Fremdes freigeschaufelt. Es stand da einsam als weißer Pickel auf einer weißen Fläche. Ein zweieinhalb Meter hoher Pickel allerdings.

Ihr habt das Ferienhaus seit 1970. Hast du jemals so eine Menge Schnee dort gesehen?

Ja, das schon. Aber nicht in der Kürze der Zeit und es soll ja noch mehr Schnee geben. Das Ferienhaus haben wir übrigens gefunden, weil ich mich verfahren habe.

Das solltest du erklären.

Mein Vater wollte sich eins bei Siegsdorf ansehen. Ich chauffierte ihn dorthin, aber wir fanden den Weg zur Baustelle der Ferienhäuser nicht. Auf dem Irrweg sind wir irgendwann links abgebogen und standen vor dem großartigen Forsthaus Adlgaß und haben erst mal was gegessen. Dann haben wir im Gasthaus den Tipp bekommen, dass in Inzell, ganz in der Nähe, Ferienhäuser zum Verkauf stehen. So sind wir hier her gekommen.

Wünschst du dir gerade, ihr wärt damals rechts abgebogen?

Nein, überhaupt nicht. Inzell ist in gewisser Weise ein Traum. Aber momentan ist das Schlimme, dass du den Schnee ja nirgendwo abstellen kannst. Das schneit einfach weiter und nimmt auf alte Knochen keine Rücksicht: Du musst raus und schippen.

Gibt es unter Nachbarn noch andere Gesprächsthemen als das Wetter?

Wir haben aktuell keine Nachbarn mehr. Die sind alle rechtzeitig abgereist. Wir sind allein auf weiter Flur, deshalb interessiert sich der Straßendienst ja auch nicht für uns.

Werden 24 Stunden mehrere Tage am Stück mit dem Partner irgendwann schwierig?

Nö. Wir haben ja Bücher dabei.

Albert Stifters "Bergkristall"?

Ha.Ha.Ha.

Okay, im Ernst. Hattet ihr Angst?

Nein. Aber man kriegt ein mulmiges Gefühl, wenn man nachrechnet, dass so ein Dach 80 Quadratmeter hat. Und wenn da 1,20 Meter fester Schnee draufliegen, dann macht das locker 80 Tonnen aus. Zwei Nachbarn haben deshalb Männer bestellt, die ihre Dächer abräumen.

Kommt man in der Einsamkeit und Stille auf andere Gedanken, die ihr vielleicht in der schneefreien Kurstadt nicht denken würdet?

Sowieso. Aber man fühlt sich nicht endlicher oder kleiner ob der Naturgewalten. Man nimmt es zur Kenntnis und ärgert sich ein wenig, dass man keine Ausflüge machen kann, Dann wird es irgendwann langweilig. Und Wintersport ist ja auch nicht mehr möglich. Die Lifte sind alle gesperrt, keine Loipen gespurt, weil der Schnee zu weich ist.

Das heißt, du freust dich jetzt aufs Langlaufen in der Rhön?

Das würde ich, wenn ich langlaufen täte. Mein Problem ist: Ich kann gut hinfallen, aber das Aufstehen bereitet meinen alten Knochen Schwierigkeiten.

Dann wünsche ich dir, dass du beim Schippen weiterhin auf den Beinen bleibst!

Ich versuch's. Am Sonntag will ich ins Maßbacher Theater zu Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter", ich hoffe, dass wir am Freitag raus- und durchkommen.

Oh, der Brandstifter. Ist die Sehnsucht nach Wärme, nach Feuer so groß?

Sehr witzig. Aber es stimmt: Die wird groß, wenn du von einer Elektroheizung abhängig bist und der Strom immer mal wieder aussetzt. Ich muss jetzt auch aufhören. Der Pfad ist wieder zugeschneit. Der ist nur schneeschippenbreit. Morgen kommt einer mit der Schneefräse, damit wir beim Auszug aus unserem Haus die Koffer voller Bücher nicht über dem Kopf tragen müssen.

Kleiner Tipp: Die Koffer werden leichter, wenn ihr die Bücher zum Thema Schnee in der Hütte lasst. Gute Reise!

Na toll. Vielen Dank! Das Interview führte Susanne Will.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Kissingen
Bücher
Ferienhäuser
Interviews
Jack London
Koffer
Max Frisch
Nachbarn
Romantik
Schnee
Schneemänner
Witze und Witzigkeit
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • lbs
    @ttt
    Ich schätze Thomas Ahnert sehr. Ein hervorragender Kissinger Sommer Journalist. Bemerkenswert, dass dieser Bericht über einesn Saale Zeitung Mitarbeiter in der Main Post zu lesen ist, gell❓❓Es ist in der MainPost auf den Gemeindeseiten ohnehin sehr selten oder überhaupt nichts, außer von Herrn Farkas, von den anderen Redakteuren zu lesen. Ja, da sitzen tatsächlich noch andere gut bezahlte Mitarbeiter an den Schreibtischen. 😅
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Funkenstern
    was für ein Pausenfüller. Dafür zahlt man via online Abo auch noch Geld. Danke MP!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten