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Bad Kissingen
Aufführung im Kurtheater: Innere Kämpfe und Feindschaften
Die Bühnenfassung von Dörte Hansens Romanbestseller „Altes Land“ hat das Hamburger Ohnsorg-Theater im Kurtheater aufgeführt – welche Abstriche man im Vergleich zum Buch machen muss.
Erst müssen alle die alten Flüchtlingsgefühle überwinden, bevor sie schließlich zu einer Wohngemeinschaft zusammenfinden.       -  Erst müssen alle die alten Flüchtlingsgefühle überwinden, bevor sie schließlich zu einer Wohngemeinschaft zusammenfinden.
Foto: Thomas Ahnert | Erst müssen alle die alten Flüchtlingsgefühle überwinden, bevor sie schließlich zu einer Wohngemeinschaft zusammenfinden.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 01.12.2024 02:29 Uhr

Als die Husumerin Dörte Hansen 2015 ihren Roman „Altes Land“ herausbrachte, war er auf Anhieb ein Bestseller. Er wurde 2020 als Zweiteiler für das ZDF verfilmt und ausgestrahlt. 2022 fertigten Julia Bardosch und Cornelia Ehlers eine Bühnenfassung für das Hamburger Ohnsorg-Theater , mit der die Truppe jetzt beim Kissinger Theaterring im Kurtheater gastierte.

„Altes Land“ ist ein Flüchtlingsdrama , das im ersten Teil 1945 in dem großen Obstanbaugebiet südlich von Hamburg spielt. Als die Gutsbesitzerin Hildegard von Kamcke mit ihrer kleinen Tochter Vera auf ihrer Flucht aus Ostpreußen auf dem Bauernhof von Ida Eckhoff landet, ist sie zwar erst einmal untergekommen, aber keineswegs angekommen.

Keine „Willkommenskultur“

Denn damals gab es noch keine durchorganisierten Staatshilfen für Flüchtlinge, der Begriff der „Willkommenskultur“ war noch lange nicht erfunden und auch nicht der Begriff der „Integration“. Die Probleme mussten auf der untersten Ebene, beispielsweise über Einquartierungen, gelöst werden. Die beiden Seiten, die Alteingesessenen und die Flüchtlinge, standen sich misstrauisch bis feindselig gegenüber.

Ein Vorteil gegenüber der heutigen Situation: Man konnte sich zumindest sprachlich verständigen.

Das feindliche Verhältnis zwischen Hildegard und Ida wird nicht besser, als Idas Sohn Karl zwei Jahre später als hochtraumatisierter Kriegsversehrter auf den Hof zurückkommt und schließlich Hildegard heiratet. Die setzt sich ab nach Hamburg und lässt ihre Tochter zurück. Und dann hängt sich auch noch Ida in der Scheune auf.

Flucht vor Stadt und Schickeria

Der zweite Teil spielt gefühlte 30 Jahre später. Vera, das Kind, ist als approbierte Zahnärztin an die Stätte ihrer Kindheit zurückgekehrt und bekommt es jetzt plötzlich auch mit Flüchtlingen zu tun – allerdings einer ganz anderen Sorte.

Anne, eine Nichte von Vera, und ihr Sohn Leon tauchen plötzlich auf, aber nicht, um der Not zu entkommen, sondern, sondern um der penetranten, nervenden „Musikalischen Früherziehungsgruppe“ der Schickeria des Hamburger Nobelvororts Ottensen zu entkommen.

Dazu gesellt sich auch noch Veras Stiefschwester Marlene, Hildegards Tochter aus der nächsten Ehe, die des Stadtlebens überdrüssig ist.

Akute Not leidet von ihnen niemand. Und trotzdem müssen sie erst die alten Flüchtlingsgefühle überwinden, bevor sie sich schließlich zu einer Wohngemeinschaft zusammenfinden.

Viel Stoff, viel Emotion, die da zu gestalten waren. Und das war eigentlich auch ausgezeichnet gelungen.

Julia Bardosch hatte in ihrer Inszenierung großen Wert auf die Darstellung der Gefühle, der inneren Kämpfe und offenen oder verdeckten Feindschaften gelegt. Und ihr Schauspielerquartett mit Kerstin Hilbig, Ruth Marie Kröger, Kristina Nadj und Florian Miro setzte dieses Konzept höchst konzentriert und genau um. Selbst an warmen Sommertagen herrschte da im Alten Land ein frostiges Klima.

Und doch hatte man als Zuschauer ein Problem: die Zuordnung der Personen. Die Rollen waren ungleich verteilt: Florian Miro war der Karl mit seinem Akkordeon. Das war klar, den erkannte man sofort.

Drei Frauen, sieben Rollen

Aber die anderen sieben Rollen teilten sich Kerstin Hilbig, Ruth Marie Kröger und Kristina Nadj, und sie machten das ausgezeichnet. Schließlich mussten sie nicht nur in Frauen aus drei Generationen und in zwei Altersstufen wechseln, sondern auch den Nachbarsbuben Hinni (später Hinnerk) Lührs verkörpern. Das wäre an sich nicht so schlimm gewesen.

Das Problem war, dass Julia Bardosch das Stück durch ihre Bearbeitung vielleicht zu gut kannte, dass ihr die Personen zu vertraut waren. Für die Zuschauer wäre es schön gewesen, wenn die Frauen klarer als Person und in ihrer familiären Zuordnung erkennbar geworden wären. Da konnten die Kostüme nicht alles übernehmen.

Und auch manche Verdeutlichung wäre schön gewesen. Wenn beispielsweise auf einem Bauernhof ein Kälberstrick mit einer Schlinge über die Bühne getragen wird, ist das noch keine Metapher für einen Selbstmord. Es erwies sich als Vorteil, das Buch bereits zu kennen.

Wobei sich die beiden Teile zwangsläufig unterschieden. Der zweite Teil war deutlich unterhaltsamer und lockerer, denn alleine schon das Leben der Ottensener Schickeria lässt sich wunderbar karikieren und die Flüchtlinge stehen nicht unter einem elementaren Leidensdruck, Aber der erste Teil hätte etwas mehr Leben vertragen können.

Natürlich wird hier eine Situation verhandelt, die mit ihren Konflikten nicht nur offen, sondern sehr viel auch in inneren Monologen getragen wird. Das macht es nicht einfach. Und die Hamburger Inszenierung geriet so im ersten Teil in den Bereich eines „szenischen Hörspiels“.

Aber es ging gut aus. Nicht nur im Alten Land gab es ein Happy End. Das Publikum im Kurtheater klatschte lang und heftig.

 
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