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Elfershausen: An Einzelschicksale erinnern statt anonyme Rituale feiern
Seit dem Jahr 1952 wird zwei Wochen vor dem ersten Advent an die Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen gedacht. Ingrid Mützel aus Machtilshausen schlägt eine persönlichere Erinnerungskultur vor.
Ein kleines Büchlein aus Birkenrinde (im Vordergrund) hat sich Ewald Zier in der russischen Kriegsgefangenschaft gebastelt. Ende 1945 kam er zurück nach Machtilshausen, drei Monate später starb er. Angehörige haben Ingrid Mützel das Büchlein überg...       -  Ein kleines Büchlein aus Birkenrinde (im Vordergrund) hat sich Ewald Zier in der russischen Kriegsgefangenschaft gebastelt. Ende 1945 kam er zurück nach Machtilshausen, drei Monate später starb er. Angehörige haben Ingrid Mützel das Büchlein übergeben, sie hat die Lebensgeschichte Ziers rekonstruiert.
Foto: Ralf Ruppert | Ein kleines Büchlein aus Birkenrinde (im Vordergrund) hat sich Ewald Zier in der russischen Kriegsgefangenschaft gebastelt. Ende 1945 kam er zurück nach Machtilshausen, drei Monate später starb er.
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 25.11.2023 03:09 Uhr

Der November steht alljährlich im Zeichen von Tod und Trauer, beginnend mit dem katholischen Allerheiligenfest am 1. November bis zum evangelischen Totensonntag eine Woche vor dem ersten Advent. Im Jahr 1952 wurde in der Bundesrepublik zusätzlich eine Woche vor dem Totensonntag der Volkstrauertag als staatlicher Gedenktag für Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen eingeführt.

In vielen Orten steht an dem Tag eine Gedenkfeier am Kriegerdenkmal an, auch in Machtilshausen.

Diskussion um Ablauf

„Es werden immer weniger, die an der Feier teilnehmen“, berichtet Ingrid Mützel . Gerade jüngere Menschen hätten keinen Bezug mehr zu dem Thema. Auch mit ihren eigenen Kindern habe sie bereits diskutiert, ob das Ritual mit Marsch-Musik und anonymen Reden noch zeitgemäß sei.

„Dabei ist es so wichtig, die Erinnerung an das Leid so vieler Menschen wach zu halten“, sagt Mützel und schlägt neue Wege vor.

Bei den Großeltern aufgewachsen

Ingrid Mützel interessiert sich schon seit ihrer Kindheit für geschichtliche Themen. Als Kind sei sie bei den Großeltern aufgewachsen, Erzählungen über die beiden Weltkriege hätten sich bei ihr eingebrannt, berichtet die 66-Jährige.

„Deshalb schockiert mich auch, dass der Krieg jetzt wieder so nah ist.“ Sie leide mit jedem einzelnen Menschen, der getötet, verletzt oder vertrieben werde, völlig unabhängig von Nationalität oder Religion: „Das Leid der einzelnen Personen geht leider oft unter“, bedauert sie.

Rund 50 Männer gefallen

Auch deshalb beschäftige sie sich seit Jahren mit dem Schicksal der Kriegsteilnehmer aus Machtilshausen. Alleine im Zweiten Weltkrieg seien von rund 500 Einwohnern rund 100 Männer in den Krieg gezogen.

„Die Hälfte von ihnen ist gefallen, galt als vermisst oder ist kurz nach dem Krieg an den Folgen gestorben“, weiß Ingrid Mützel . Die meisten seien auf dem Kriegerdenkmal im Ort verewigt, auf dem auch des Kriegs 1870/71 und des Ersten Weltkrieges gedacht wird. Aber nicht alle: Der Name von Ewald Zier zum Beispiel fehle.

Mit 19 Jahren in Gefangenschaft geraten

Zier wurde am 1. September 1925 geboren. Er habe in der früheren Eselsgasse, der heutigen Weinbergstraße, ganz in ihrer Nähe gewohnt. Nach ihm wurde sein Neffe benannt. „Die Menschen haben ihren Kindern den Namen von gefallenen Angehörigen gegeben, damit sie nicht vergessen werden“, erzählt Ingrid Mützel .

Der Neffe Ewald Zier kam im April auf sie zu und schenkte ihr ein kleines Büchlein seines Onkels aus Birkenrinde. Die einzelnen Seiten sind mit einem Faden vernäht, dabei wurde auch ein Metallknopf eingefügt.

In Bobuisk in Gefangenschaft geraten

„Am 28. Juni 1944 früh um 3 Uhr bei Bobuisk in Gefangenschaft geraten“ lautet der erste Eintrag des damals 19-Jährigen, den Ingrid Mützel entziffern konnte. Ewald Zier listet weitere Stationen seiner Reise auf, unter anderem war er wohl einer von rund 57.600 deutschen Kriegsgefangenen , die am 17. Juli 1944 durch die Straßen von Moskau marschieren mussten.

Thema Kreisheimatpfleger

„Meine Generation ist noch aufgewachsen in einem Umfeld, in dem Verfolgung, Vertreibung, Krieg für die durch zwei Weltkriege traumatisierten Mütter, Väter, Großeltern und Nachbarn spürbar war, selbst für uns Kinder“, sagt auch Kreisheimatpfleger Roland Heinlein.

Leider sei zu wenig darüber geredet worden. „Geschichte an Einzelschicksalen darzustellen, ist sinnvoll“, begrüßt der 69-Jährige den Vorschlag von Ingrid Mützel , am Volkstrauertag neue Wege zu gehen.

Vorbereitung zum Dorfjubiläum

Das Schicksal von Ewald Zier ist nur eine von vielen Familiengeschichten, die Ingrid Mützel in den vergangenen Jahren erforscht hat. Die 66-Jährige sammelt seit Jahrzehnten Sterbebilder und Dokumente, kennt sich in der Geschichte ihres Heimatortes aus wie kaum sonst jemand.

Ihr Wissen bringt sie auch bei den Vorbereitungstreffen zum großen Dorfjubiläum ein: Machtilshausen wurde im Jahr 824 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Voraussichtlich im Juli 2024 soll es ein großes Fest zum 1200-jährigen Bestehen geben.

Treffen im Schreinersch Haus

Ob auch eine Chronik zur Geschichte des Dorfes aufgelegt wird, sei noch offen: „Es gibt nur eine Chronik aus den 1920er Jahren, die zuletzt 1935 überarbeitet wurde“, erzählt Ingrid Mützel . Aktuell suche sie noch geschichtsinteressierte Mitstreiter. Ein gut besuchtes Treffen mit Kreisheimatpfleger Roland Heinlein habe es bereits im Sommer gegeben.

Heinlein und Bernd Marquardt vom archäologischen Arbeitskreis mittleres Saaletal informierten dabei über die vor- und frühgeschichtlichen Fundstellen um Machtilshausen, die Quellen und Überlieferung der ersten urkundlichen Erwähnung und die Frage, wo das Klösterchen Mattencella lag, das wie Mahtolfeshus 824 am gleichen Tag und Ort urkundlich erwähnt wird.

„Sammlerin und Bewahrerin“

„Ich sehe mich als Sammlerin und Bewahrerin“, sagt Ingrid Mützel . Ihr Schwerpunkt sei die Familienforschung . „Hinter jedem Namen steckt ein Schicksal“, fasst sie ihre vielen Ergebnisse zusammen. So wie das von Ewald Zier, der am 2. September 1924 geboren wurde. Die Eltern hießen Heinrich Zier und Klara Mützel .

„In seiner Jugend lernte er die ganze Härte des Krieges kennen“, fasst Ingrid Mützel sein kurzes Leben zusammen. Ende 1945 sei er zwar aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück nach Machtilshausen gekommen, aber: „Er starb am 1. März 1946 mit nur 22 Jahren.“

An Folgen der Gefangenschaft gestorben

Über die genaue Todesursache weiß Mützel wenig, aber sie ist sich sicher, dass Ewald Zier an den Folgen der Gefangenschaft starb. „Zuerst wurden die Schwachen, Kranken und Arbeitsunfähigen aus der Gefangenschaft entlassen“, berichtet Ingrid Mützel . Sie seien als Arbeiter wertlos gewesen, andere kehrten zum Teil erst in den 1950er Jahren aus Russland zurück.

Nach Ziers Aufzeichnungen kam Ewald Zier im Juni 1944 in Bobruisk in Gefangenschaft. Die Wehrmacht hatte die Stadt im heutigen Belarus 1941 besetzt, 1944 wurde sie zurückerobert. Dabei starben rund 16.000 Wehrmachtssoldaten, weitere 18.000 gerieten in Gefangenschaft. Nach dem Marsch durch Moskau am 17. Juli 1944 ging es für Zier in ein Lager bei Tambow, 550 Kilometer südlich von Moskau.

Im September ging es weiter ins Lager Wolsk an der Wolga , laut Ingrid Mützel ein Lager mit Steinbrüchen und Zementproduktion. Am 20. März 1945 schreibt Ewald Zier in seinem Büchlein aus Birkenrinde etwas von „Totschlägern“, vermutlich im Juli verlässt er das Lager. Wie es danach weiterging, hat Ingrid Mützel nicht herausgefunden.

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  • Wolfgang Schöller
    Erinnerunen an diese Schicksale und vorallem den Menschen müssen wachgehalten werden - eine Mahnung an alle. Dafür ein DANKE! Schade, dass Frau Mützel gleichzeitig die Organisation des evangelikal-fundamentalistischen Herrn Billy Graham unterstützt. Dieser ist nachweislich einer der größten Kriegstreiber der USA gewesen (Korea, Irak, Atombomben über Japan). Er trägt meiner Meinung nach Mitverantwortung für Hundertausende von Kriegsopfern. Nicht nur bei den von Amerika angegriffenen Völkern, sondern auch für amerikanische Soldaten, die ihr Leben ließen für die Kriege, für die Amerika verantwortlich ist. Dass sie die von Billy Graham ins Leben gerufene Kindermissionsveranstaltung "Weihnachten im Schuhkarton" unterstützt, und Kinder dadurch dem engstirnigen Weltbild von Billy Graham nahebringt (Sündhaftigkeit des Menschen, antiislamistisch und antijüdisch, homophob, usw) ist eigentlich gegen die begrüßenswerte Intention, Mahnmal und Ruferin gegen das Vergessen zu sein.
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