Vielfältig sind die Formen des Theaters, und in ihrer Unterschiedlichkeit sorgen sie für immer neue Ausdrucksmöglichkeiten für die menschlichen Kernprobleme Liebe, Zusammenleben, Feindschaft, Tod. War in Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" die nach großen Hindernissen mit dem Segen eines Engels errungene Hochzeit der Liebenden ein abendfüllendes Thema mit Happy End, lieferte der kanadische Autor Bernard Slade in seinem Welthit "Nächstes Jahr, gleiche Zeit" 1975 nichts so wirklich Anständiges für seine braven und prüden amerikanischen Nachbarn. Vielmehr so etwas Degoutantes wie Serienseitensprung im Jahresrhythmus! Das jeweils anderweitig verheiratete Paar Doris und George trifft sich von 1951 bis 1975 jährlich in demselben Hotel in Kalifornien, weil beide beides wollen: ihre Liebe wenigstens für ein Wochenende pro Jahr ausleben und ihre Ehepartner und Familien daheim nicht verlieren.
42. Jahr der außerehelichen Beziehung
1998/99 inszenierte es die Theater- und Fernsehschauspielerin Heidelinde Weis mit Dominique Lorenz und Heiner Lauterbach für die Münchner " Komödie im Bayerischen Hof " mit großem Erfolg. Als Slade seine Fortsetzung "Jahre später, gleiche Zeit" über die Jahre 1976 und 1993 lieferte, holte Weis ihr erfolgreiches Schauspieler-Duo 20 Jahre später noch einmal auf die Münchner Komödienbühne.
Skepsis war da natürlich angebracht: Ließ sich die turbulente Geschichte zweier junger Liebender so einfach fortsetzen bis ins 42. Jahr ihrer außerehelichen Beziehung? Würde ein eigenständiges Stück entstehen, die Lebensgeschichte noch immer von zwei rundum spannenden Charakteren getragen werden, die Dialoge immer noch ebenso witzig wie feinfühlig wie ernsthaft und traurig sein?
Power-Geschäftsfrau mit Problemkindern
Erstaunlicherweise kann man all dies bejahen. Sowohl Autor Bernard Slade, als auch die deutsche Textbearbeiterin und Regisseurin Heidelinde Weis haben die Charaktere sich rundum schlüssig weiterentwickeln lassen. Doris wird dabei aus ihrer Heimchen-am-Herd-Rolle, die sie immer mehr hasste, befreit und zur Power-Geschäftsfrau. Und sie hat die typischen Problemkinder der 1980er Jahre: Beinahe-Drogentod der Tochter und für die Mutter nicht sonderlich überraschendes Coming Out des Sohnes. George betrauert mit Doris den Tod seiner Ehefrau, verliert seinen Job, verliebt sich in eine selbstsüchtige Kindfrau, die ihn wieder in die Wüste schickt, und übernimmt klaglos die Rolle des windelwechselnden Vaters, wofür er früher nur beißenden Spott übrighatte.
Es sind wieder unzählige familiäre und gesellschaftliche Veränderungen, die von außen hineinleuchten in die Treffen der beiden, ihre Lebensumstände beeinträchtigen. Aber das zentrale Thema ist vor allem auch das Altern, sind die Beeinträchtigungen, Krankheiten und Ängste, unter denen sie beide leiden.
Nur dezente Veränderungen
Wie sehr Regisseurin Weis diese Geschichte am Herzen liegt, zeigt der von ihr getextete und komponierte Song "Wie jedes Jahr", den George 1976, als die Geschichte weitergeht, für Doris singt, und der das Wunder (ganz ohne Engel wie bei Kleist) der so lange währenden Liebe mit Hindernissen sinnfällig macht. Und es zeigt auch die minutiöse, in unendlich vielen Kleinigkeiten stimmige Personenregie, mit der sie und ihre Mitstreiter ihre beiden hochkarätigen Schauspieler geführt haben. Thomas Pekny ließ als Ausstatter das schäbige, einstmals moderne Hotelzimmer der 1950er Jahre mit Flügel und Kühlschrank im Wesentlichen unverändert, kleine Accessoires wie Telefone und Radio/ Fernseher machten die technischen Veränderungen erkennbar. Doch blieben sie dezent, wodurch die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Personen, zunächst einmal ihre Kleidung (Ulrike Schuler/ Christl Stützinger) gelenkt wurde, die bei jedem Szenenneuanfang auf die finanzielle und psychische Verfassung der beiden hindeutete und die jeweiligen ersten Auftritte in der neuen Szene, mal des einen, mal des anderen, spannend machte.
Feine, sehr einfühlsame Schauspielkunst
Aber was absolut staunenswert war, war der von dem Geschick und Einfallsreichtum in jeder der sechs Szenen von der Maskenbildnerin (Alexandra Waibl) neu geschaffene und von den Darstellern mit dezent weiterentwickelter Mimik und Körpersprache vollkommen unprätentiös und natürlich wirkende Alterungsprozess. Da gab es keine Boulevard-Grellheiten, sondern eine sehr feine, sehr einfühlsame, für Altersgenossen wiedererkennbare (und mit Gelächter quittierte) und zum Teil sehr anrührende Schauspielkunst vom Feinsten. Und so ließ die Aufführung das Publikum nicht nur immer wieder in lautes und fröhliches Gelächter über Allzumenschliches ausbrechen, sondern auch angesichts der Einblicke in die Fragilität, Leidensfähigkeit und den dennoch obsiegenden Lebensmut auch ganz plötzlich absolut verstummen. Das Publikum im praktisch ausverkauften Haus dankte den Darstellern und den Münchner Machern der Inszenierung am Ende mit langem, warmem und kräftigem Beifall.