
Es ist reiner Zufall, dass in zwei aktuellen Romanen das historische Bad Kissingen auf jeweils mehreren Seiten als Nebenschauplatz erscheint. Andererseits ist es auch wiederum nicht verwunderlich, galt doch der „bekannteste Kurort Deutschlands“ seit jeher als sommerlicher Treffpunkt des europäischen Adels und der reichen Bürgerschaft. Doch was ist Fakt und was Fiktion in den Romanen? Wir haben beide Autorinnen gefragt.
Im November erschien der historische Roman „Unsereins“ (Rowohlt Verlag) von Inger-Maria Mahlke, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2018, über das Leben der fiktiven Lübecker Patrizierfamilie Lindhorst und deren Umfeld in den Jahren zwischen 1890 und 1906. Eine der Nebenfiguren, Henriette, können wir auf zehn Seiten bei ihrem Aufenthalt im Jahr 1897 in Bad Kissingen begleiten (Seiten 312 – 321).
Kindheitserinnerungen an die Großeltern
Die Wahl Bad Kissingens beruht auf Mahlkes eigenen Kindheitserinnerungen: „Wir haben meine Großeltern besucht, die jedes Jahr im Frühjahr dorthin ’auf Kur’ gingen.“ Das im Roman genannte Hotel „Russischer Hof“ der Familie Panizza (heute DRV-Klinik „Am Kurpark“, Kurhausstraße) wurde ebenfalls bewusst gewählt, da einige Seiten zuvor der Skandal um den Hotelierssohn und Schriftsteller Oskar Panizza (1853-1921) ein Thema ist, dessen Syphilis-Drama „Das Liebeskonzil“ (1895) kurz nach Erscheinen verboten worden war. Mahlke: „Mir machen solche Querverbindungen Spaß.“
Über die Kuranwendungen ihrer Romanfigur ist zu lesen: „Die drei Kissinger Quellen trinkt sie einfach reihum, Rakoczy ist heute dran.“ Einmal springt Henriette so eilig von ihrer Liege auf der Hotelwiese, dass einige Damen bei ihrer Rückkehr mitfühlend „Zu viel Bitterwasser?“ fragen. Um die Molke-Stände macht sie grundsätzlich einen Bogen. „Die Gradir-Luft-Inhalationen hat Henriette nach einer Sitzung aufgegeben.“ Stattdessen liegt sie gern in einer Wanne des damaligen Salinenbads (1965 abgerissen) an der Unteren Saline, wo auch Bismarck bis 1896 seine Bäder genommen hatte.
Das Heilwasser habe sie bei ihrem Kindheitsbesuch wohl probiert, antwortet die Schriftstellerin auf Nachfrage. Doch ihre Erinnerungen sind längst verblasst, weshalb sie sich in der damals gängigen Fachliteratur informierte wie dem Bäder-Almanach (1895) und dem Buch „Die Kurmittel Kissingen’s ...“ (1879) von Wendelin Dietz.
Fakt oder Fiktion?
Während es sich in „Unsereins“ bei Henriette also um eine fiktive Figur, bei Bad Kissingen aber um einen realen Schauplatz handelt, ist es in dem Anfang Februar erschienenen Romandebüt „Das Lächeln der Königin“ (Galiani Verlag) von Stefanie Gerhold genau umgekehrt: Hier wurde die reale Person des Berliner Kaufmanns und Kunstmäzens James Simon (1851-1932), dem Berlin den Besitz der Nofrete-Büste zu verdanken hat, zur Hauptfigur, während Bad Kissingen nur ein fiktiver Schauplatz ist.
Zwar wissen wir aus den Kurlisten, dass der Berliner Kunstförderer tatsächlich zwischen 1919 und 1931 mehrmals im Sanatorium Carl von Dapper (Menzelstraße) logierte. Aber war er schon 1913 in Bad Kissingen , wie im Roman beschrieben?
War James Simon damals Gast?
Für die Autorin war dieser Punkt unerheblich. Sie hat das Jahr 1913 als fiktives Datum gewählt, betont sie auf Nachfrage, denn es dient nur als literarisches Spannungsmoment: Simons Kur in Bad Kissingen sollte 1913 zeitgleich mit dem Transport der Nofretete nach Berlin stattfinden.
Fakt ist andererseits, dass in der Kurliste vom 7. Juni 1913 tatsächlich ein Dr. jur. James Simon aus Berlin als Gast im Sanatorium Carl von Dapper aufgeführt ist. Allerdings hatte der Kunstmäzen James Simon niemals studiert. Ihm war lediglich 1910 von der philophischen Fakultät Berlins ein Ehrendoktor-Titel verliehen worden. Ist es dennoch dieselbe Person? Wird hier aus Fiktion ganz zufällig Fakt?
Auch in „Das Lächeln der Königin“ lesen wir auf acht Seiten (Seiten 118 - 125) über das Kurgeschehen und verschiedene Kuranwendungen, die allerdings nur „im Gefüge meines Romans ihre jeweils eigene Funktion haben“, sagt die Autorin, also fiktiv zu verstehen sind. So schenkt das Solebad ihrem Simon eine gewisse Schwerelosigkeit als Gegenpol zu seinen Sorgen um den Transport der Nofretete-Büste, über den er nun keine Kontrolle hat. Der Nervosität ihres Protagonisten stellt die Autorin „die besänftigende Wirkung der Routine“ der Bad Kissinger Kur entgegen.
Folgt ein dritter Roman aus der Kurstadt?
Weiter erfahren wir von der „warmen Luft der Brunnenhalle“ und von Simons Runden inmitten von „Damen mit großen Hüten “ in der Wandelhalle. Doch auch dies – die Bad Kissinger Bauwerke waren gerade 1911 eröffnet worden – ist nach Aussage der Autorin, die beides selbst noch nie besucht hat, nur ein literarisches Stilmittel: Bei seinen Runden in der Wartehalle sei der Kunstmäzen „im Warten gefangen, er kann selbst keine Richtung vorgeben“.
Letztlich bricht Gerholds Protagonist seinen Kuraufenthalt in Bad Kissingen ab: „Die kalten Güsse, die Massagen wirkten nicht mehr. … James überstand seine Kur.“Zwei jüngst erschienene Romane, in denen das historische Bad Kissingen ein Nebenschauplatz ist.
Kommt unser Staatsbad in der aktuellen Belletristik jetzt in Mode? Denn auch Schriftstellerin Petra Durst-Benning, Autorin historischer Bestseller, hat sich bereits zum Recherche-Besuch angemeldet. Ob es also irgendwann einen weiteren Roman geben wird, in dem das traditionsreiche Unesco-Welterbe-Bad Kissingen als Schauplatz vorkommen wird? Wir dürfen gespannt sein.
Informationen zu den Büchern

Inger-Maria Mahlke: „Unsereins“, Rowohlt Buchverlag , gebunden, 496 Seiten, Preis: 26 Euro, ISBN 978-3498001810

Stefanie Gerhold: „Das Lächeln der Königin“, Galiani Verlag, gebunden, 288 Seiten, Preis: 23 Euro, ISBN 978-3869712987
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