Gerald Kleinhenz blutet das Herz. Der 57-jährige Kothener ist als Stöpsel zwischen den noch zarten Fichten-Bäumchen hin- und hergesprungen, wuchs mit ihnen quasi auf. Jetzt liegen die Bäume „auf Polter" wenige Meter neben der Fläche, auf der sie einst standen, Stamm an Stamm, ein langer Stapel. Der Borkenkäfer hat sie zerfressen; deswegen wurden sie auf 1,4 Hektar seiner Fläche gefällt. Kleinhenz ist einer von vielen Waldbesitzern, die das zuletzt erleben mussten.
Sein Waldbesitz liegt oberhalb des alten Sportplatzes der DJK Kothen, nahe der Einfahrt West zum Truppenübungsplatz und zum Maria Ehrenberg. Wie andere Kothener Eigentümer hat er sich für einen Termin zum Thema Borkenkäfer zur Verfügung gestellt.
Buchdrucker und Kupferstecher vermehren sich dramatisch
Laut Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bad Neustadt (AELF) soll dabei an einer „Echtfläche“ exemplarisch das Bekämpfungs-Prozedere bei einem Befall mit dem Schädling gezeigt werden. Dazu sind neben Vertretern des AELF auch welche der Forstbetriebsgemeinschaft Rhön-Saale (FBG), Regierungspräsident Eugen Ehmann und Peter Pröbstle als Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising angereist.
Er kenne „keine andere Käferart, die sich so dramatisch vermehren kann" wie der große und der kleine Borkenkäfer - auch als Buchdrucker und Kupferstecher bekannt, sagt Pröbstle. Aus einer befallenen Fichte am Anfang eines Jahres könnten bis zu 20.000 Borkenkäfer entfleuchen, die - wenn es für sie optimal läuft - bis zum Jahresende bis zu 800 weitere Bäume infizieren. Deswegen sei seine große Botschaft: den ersten befallenen Baum erwischen.
Waldbesitzer fühlen sich machtlos
Bei Gerald Kleinhenz fing es Ende August 2023 an. Da entdeckte der Kothener bei einem Spaziergang mit Hund das für den Käfer so typische Borkenmehl. Er versuchte, die befallenen Bäume selbst zu entfernen, holte sich auch einen Experten der FBG hinzu. Nur um zu erfahren, dass es bereits zu spät war.
Auch angrenzender Fichtenwald war befallen. So holte Nachbarbesitzer Manuel Vogler selbst 20 Festmeter Holz raus und pflanzte neu an. In anderen Wäldern, die ihm gehören, waren es 80 Festmeter. „So schnell wie 2023 ging es mit dem Borkenkäfer noch nie. Das ist nicht allein zu bewältigen", sagt Vogler.
2023 bisher dramatischstes Käferjahr
Peter Pröbstle zufolge war 2023 das bisher dramatischste Borkenkäfer-Jahr. Mehr als sechs Millionen Festmeter Fichte seien dem Schädling in Bayern zum Opfer gefallen. Zum Vergleich: Im Freistaat liegt der gesamte Einschlag bei 19 bis 20 Millionen Festmeter.
Und die Dynamik ändert sich. Breitete sich der Borkenkäfer früher meist nach Stürmen wie Kyrill 2007 aus und zog sich wieder zurück, liegt der Befall seit 2017 auf anhaltend hohem Niveau. Vor allem Nordbayern und Nordfranken hätten die größten Schäden. „Das ist klimagetrieben", blickt der Fachmann auf viel zu trockene Jahre.
Jürgen Hahn, beim AELF Bad Neustadt Bereichsleiter Forsten, ergänzt, dass im Landkreis Bad Kissingen vor allem die Gegend um Bad Brückenau, also Vorrhön und Rhön, Fichten-Schwerpunkt sei - und damit Borkenkäfer-Hotspot. Fabian Menzel von der FBG bestätigt das.
Forstbetriebsgemeinschaft hilft Waldeigentümern
Die gefällten Fichtenstämme aus dem Wald von Gerald Kleinhenz und Manuel Vogler - sie liegen in langen Reihen links und rechts des Weges, der zum alten Sportplatz runterführt. Kleinhenz hätte die Bäume noch gerne 15 bis 20 Jahre stehen lassen; viele von ihnen waren nicht erntereif. Der Borkenkäfer macht das unmöglich.
Die FBG Rhön-Saale berät die beiden privaten Waldbesitzer nicht nur. Sie unterstützte auch dabei, einen Unternehmer fürs großflächige Fällen der Fichten zu finden. Der kam im September.
Auch kümmerte sich die Vereinigung, die laut Menzel und ihrem Vorsitzenden Mario Götz 450 Mitglieder mit insgesamt 10.000 Hektar Fläche - 3000 davon Privatwald - betreut, um einen Käufer. Der erzielte Preis schmeckte Kleinhenz zwar nicht, auch wenn er nach eigenen Worten „nicht drauflegt". Schuld war das Überangebot an Fichte im Herbst 2023, nicht die FBG.
Käferholz kann noch verarbeitet werden
Käferholz ist für die Weiterverwendung nicht verloren. Zum Verbrennen ist es zu schade. Bretter und Paletten können daraus entstehen; schlechter erhaltene Stämme werden zu Papier verarbeitet. Für die Möbelproduktion eignet sich das Holz kaum.
Gerald Kleinhenz steht auf der gerodeten Fläche neben einem Buchen-Bäumchen: ein Spross voller Hoffnung. Vor fünf Jahren hat er seinen Fichtenwald mit der nächsten Baumgeneration unterpflanzt. „Voranbau" nennt Joachim Dahmer, für den Bereich Bad Brückenau tätiger Revierleiter des AELF, das. Nun könne man Ergänzungspflanzungen, zum Beispiel mit Roteiche, Edelkastanie, Douglasie oder Wildkirsche angehen.
Peter Pröbstle hält das für „die allerbeste Entscheidung. Anderswo passiert gar nichts." Er gibt der Fichte nach dem großflächigen Sterben dieser Baumart eine Zukunft - als Einzelbaum im Mischwald.
Vielfach Probleme mit Besitzverhältnissen und schmalen Waldstücken
Nicht überall laufen Borkenkäfer-Bekämpfung und Wiederaufforstung so optimal wie hier bei Kothen. Vielfach gibt es auch in Unterfranken schwierige Besitzverhältnisse. Erbengemeinschaften und Eigentümer, die schwer aufzufinden seien oder nichts davon wissen, dass sie Waldbesitzer sind. Manche Waldstücke bestehen aus nur wenige Meter breiten, langen Streifen, die nur schwer zu bearbeiten sind.
Die „Ersatzvornahme", also das behördlich angeordnete Fällen von befallenen Bäume als Schutz für Nachbarn und die Gesellschaft, ist laut Regierungspräsident Ehmann aber das letzte Mittel und kommt „sehr selten" vor. Man setze auf Überzeugung und Beratung. „Das freiwillige Tätigwerden der Waldbesitzer ist der Regelfall."
Große Feuchtigkeit hilft nur den Sprösslingen
Die große Feuchtigkeit des Winters, glaubt Jürgen Hahn vom AELF, verschafft Kleinhenz' Bäumchen gute Wachstumschancen, auch wenn Wildverbiss und Verbuschung durch die Brombeere drohen. Für die umstehenden Fichten sieht der Forstfachmann schwarz. Die Trockenheit der vergangenen Jahre habe ihr Wurzelwerk sicher stark geschädigt; einige zeigen Zeichen des Borkenkäfers an der Rinde.
Auch dieser Wald wird früher oder später fallen und Hahn ist überzeugt: „Auch 2024 wird wieder ein Borkenkäfer-Jahr."