Weder Geheimbund noch Loge
Aber wer sind die Schlaraffen eigentlich? Definieren lassen sie sich am besten darüber, was sie nicht sind: Weder Geheimbund, noch Loge, noch Kunstverein und schon gar keine Karnevalsgesellschaft. "Lautstarke Narretei liegt absolut nicht in unserem Sinn", gibt Hans-Peter Kreutzberg, seines Zeichens Kanzler der Kissinger Schlaraffen und dort besser bekannt als Ben Barba, zu bedenken.
Wer Schlaraffia beitritt, sei nicht länger Pfarrer, Ingenieur oder Arzt. "Mit der Aufnahme legt der Schlaraffe alle bürgerlichen Titel ab", erklärt Kreutzberg. Und das sei eines der Ziele der reinen Herrengemeinschaft: Die Gleichheit der Verschiedenen. Da ist der Graf nicht länger Graf, sondern Schlaraffe Rübezahl, der Mediziner sitzt neben dem Metzger und manchmal müssen die Schlaraffen sogar scharf nachdenken, damit ihnen der weltliche Name ihres Gegenübers einfällt.
Kunst, Humor und Toleranz
"Wir sind eine Gemeinschaft von Männern, die die Werte der Freundschaft, der Kunst, des Humors und der Toleranz pflegen", sagt Gerd Brodesser, für die Außenwelt Vorsitzender des Vereins. Intern, in ihrem "Spiel", wie er es formuliert, folgt die Gemeinschaft einer eigenen Struktur. Da gibt es die drei Oberschlaraffen des Inneren, des Äußeren und der Kunst, Ritter, Junker, Knappen, Prüflinge und Pilger.
Doch prüfe, wer sich ewig bindet: Lebenslänglich ist nämlich die Mitgliedschaft, sofern einmal erworben. Allerdings gibt es auch genügend Bedenkzeit, denn bis Einer vom Pilger zum vollwertigen Mitglied wird, kann durchaus etwas Zeit vergehen.
Ob in Bad Kissingen, Wien, Chicago oder São Paulo - "eines verbindet die Schlaraffen über ihre Ideale hinaus und das ist die deutsche Sprache", sagt der Kissinger Oberschlaraffe Thomas Lotter, als Optiker im weltlichen Leben bezeichnenderweise mit dem Namen Brillofix, der Linsenspitzer ausgestattet.
Bei ihren wöchentlichen Sippungen in der Winterhalbzeit halten die Schlaraffen Vorträge in Wort und Gesang. Keiner muss, aber jeder darf sich in Reime oder Prosa ergießen, sein Instrument zum Erklingen bringen und die Zuhörer mit Geist und Witz erfreuen. Ausdrücklich nicht erlaubt: Religion und Politik.
Unter den Augen des Uhus, der als Wappentier im Burgsaal aus jeder Ecke blinzelt, findet so manch erheiterndes Schauspiel statt. In Front der gemeinen Schlaraffen thronen die Oberschlaraffen Brillofix (Thomas Lotter), Don Aristos (der ehemalige evangelische Stadtpfarrer Hermann Schröter) und Walter Gerlach, dessen selbst redender Name Tubadore con Rumore schon erahnen lässt: Wenn er vom Thron steigt, versucht er sich auch gerne an der Tuba, in der schlaraffeneigenen Musikgruppe versteht sich.
Mit den Insignien der Macht, der Uhu-Kette und dem Thronstab leiten die Oberschlaraffen das Geschehen bei den Sippungen. Dabei kann es durchaus zum Duell kommen, fühlt sich einer der Schlaraffen geschmäht. Mit Worthieben wird solch ein Kampf ausgefochten, nachdem man dem Widersacher den aufgewärmten Federhandschuh vor die Füße geworfen hat. Ein dreifach-donnerndes Lulu erklingt dabei in Schlaraffenreihen.
Überhaupt zeugt das Vereinshaus, pardon, die Burg, von einem zeremoniellen Vereinsleben, pardon, einer ritterlichen Zusammenkunft, wie man sie selten findet. Mitgliedswappen zieren die Wände, die ein jeder Schlaraffe für sich selbst entworfen und künstlerisch mit seinem Namen gestaltet hat. Ein Arzt tauft sich in Pillobär, ein dem Bier nicht ganz Abgeneigter in Quell-Fidel.
In der Eingangshalle wacht ein Ritter neben der Tür, die Fenster scheinen mittelalterlich mit Wandmalereien verziert und in Haltevorrichtungen warten Holzschwerter auf ihren nächsten Einsatz. "Kommt Besuch, dann stehen wir mit Schwertern Spalier und der Zeremonienmeister führt die Gäste hindurch", erklärt Gerlach.
Ausritte auf der Tagesordnung
Einsamkeit im Alter, das sei für die Schlaraffen ein Fremdwort: "Ausritte" zu anderen Vereinen seien an der Tagesordnung. "Kommt ein Geschäftsmann, der Schlaraffe ist, nach Bad Kissingen, dann legt er seine Termine oft so, dass er uns besuchen kann", erklärt Lotter. Selbst Besuch aus Amerika habe man schon mit Schwertspalier begrüßt - und den Gegenbesuch natürlich gleich angeschlossen.
Ihre Burg, die die Schlaraffen Rákóczi-Burg getauft haben, haben sie übrigens in den siebziger Jahren selbst gebaut. "Das Grundstück hatte uns damals ein Mitglied geschenkt", erzählt Gerlach. An den Wänden findet man hier neben Schwertern und Wappen auch Hinweise auf die Tochtervereine: Seit 40 Jahren gibt es nun die Schlaraffia Castrum Locarnense in Locarno, seit zehn Jahren die Meining'a in Meiningen. Beide Vereine haben die Kissinger mit aufgebaut.
"Damit feiern wir heuer also unseren 100. Geburtstag", grinst Tubadore Gerlach verschmitzt. Typisch für die Schlaraffen: Auch bei der Zusammenrechnung ihrer Jubiläumsjahre machen die grenzenlosen Möglichkeiten eines geistigen Schlaraffenlandes aus 50 kurzerhand 100.