Volkersberg
"Ich schäme mich"
Volkersberg: Christoph Sorge war zehn Jahre lang Nazi. Er stieg aus, klärt jetzt über die Szene auf - und möchte sich entschuldigen.
Die Katholische Landjugend in Bayern hat sich am vergangenen Freitag auf dem Volkersberg bei Bad Brückenau getroffen. Ein besonderer Programmpunkt war der Auftritt von Christoph Sorge. Der 30-jährige aus Dresden war zehn Jahre lang in der rechten Szene aktiv. Vor einigen Jahren stieg er aus und klärt seit dem junge Menschen über die Gefahren des Nationalsozialismus auf.
Wie empfanden Sie die Veranstaltung auf dem Volkersberg?
Christoph Sorge: Es gibt große Unterschiede zwischen meinen Vorträgen in Sachsen und in Bayern. Wenn ich in Sachsen Schüler frage, ob es ein Problem mit Rechtsradikalismus gibt, dann wird die Frage immer verneint. In Bayern stehen die Schulen, die Lehrer und die Schüler dem Problem offener gegenüber.
Offen genug?
Für meinen Geschmack noch nicht offen genug. So habe ich vermisst, dass bei den Politikern, die die Veranstaltung besuchten, die AfD nicht präsent war. Natürlich kann man über die AfD reden, es ist aber besser, sie selbst reden zu lassen, damit sie sich entlarvt.
Wann sind Sie selbst rechten Rednern auf den Leim gegangen?
Ziemlich früh, etwa mit 14. Ich habe das selbst aber gar nicht so bemerkt. Ich bin in einem sehr warmen, liebevollen Elternhaus großgeworden, allerdings haben mir die Strukturen gefehlt. Ich wollte Disziplin. So bin ich empfänglich gegenüber dem NS geworden.
NS?
Nationalsozialismus.
Den wollten Sie wieder haben? Ernsthaft?
Ja. Ernsthaft. Ich habe mich bewusst entschieden, Nationalsozialist zu werden. Mir war bewusst, dass diese Ideologie sehr aggressiv ist und letztendlich die Abschaffung des Grundgesetzes und des demokratischen Rechtsstaates will. Wir waren europaweit vernetzt.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir hatten klare Strukturen, rekrutierten weitere Mitglieder. Kritik an Führungskräften gab es nicht. Entweder führten die Mitglieder oder sie folgten - oder sie mussten gehen. Ich selbst wollte ein klares Führerprinzip haben.
Wer waren Ihre Feinde?
Israel, der Zionismus und die Linken.
Waren Sie gewalttätig?
Ja, Antifaschisten gegenüber. Da habe ich mitgeprügelt. Aber letztendlich wurde ich nie bestraft. Wir arbeiteten auch eher politisch, weil uns klar war, dass uns Kameraden im Knast nichts nutzten.
Warum sind Sie ausgestiegen?
In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2012, das war drei Tage nach einem von uns organisierten Großaufmarsch in Dresden. Da ging es am Stammtisch darum, was wir mit politischen Feinden am Tag X, an unserem Endziel, machen wollten. Und die klare Definition war: verfolgen und umbringen. Das war so eiskalt und krass, das war mir einfach nur zuwider, denn das wollte ich nicht. Bis dahin war mein Leitspruch: die Ideologie des Nationalsozialismus fordern, fördern und schützen. Aber nicht töten. Ich begann, mich zu distanzieren. Da war ich allerdings der einzige, obwohl ich umgeben war von intelligenten Menschen, auch von Studenten.
War der Ausstieg schwer?
Ja, denn ich musste mich komplett neu erfinden - bis hin zu einem Demokrativerständnis. Geholfen hat mir dabei der Verein "ad acta". Da bin ich heute noch aktiv.
Wie hat die Szene auf Ihren Ausstieg reagiert?
Anfangs verhalten, ich wurde nicht bedroht, da hatte ich Glück. Im Internet versucht man, mich mit Lügen zu diskreditieren, aber damit kann ich leben.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr von rechts ein?
Sehr hoch. Schon damals, als ich dabei war, hätte ich gesagt, dass etwa 30 Prozent gewaltbereit sind. Doch der Nährboden ist heute dichter geworden - und da hat die AfD ein leichtes Spiel. Die AfD sehe ich als größte Gefahr. Sie hat es geschafft, frustrierte Bürger zu vereinen - und die AfD ist klüger, als es die NPD damals war. Auch kriminelle Organisationen wie den NSU könnten theoretisch wieder funktionieren.
Weil die Polizei schläft?
Die Gesellschaft schläft. NS-Strukturen aufzudecken und zu bekämpfen ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
Schämen Sie sich eigentlich?
Ja. Für alles. Die wichtigste Ressource im Leben ist Zeit und ich habe über zehn Jahre verschwendet. Ich bin Täter, kein Opfer. Jetzt nutze ich die Erfahrungen, meiner Schuld und meiner Verantwortung gerecht zu werden.
Möchten Sie sich bei jemandem entschuldigen?
Ja. Ich möchte in meinem Leben einmal nach Auschwitz und mich dort entschuldigen. Aber ich möchte nicht einfach dort hin, "Entschuldigung" sagen und wieder gehen. Am liebsten würde ich mich bei einem Holocaust-Überlebenden entschuldigen. Aber dafür braucht es Planung.
Wie empfanden Sie die Veranstaltung auf dem Volkersberg?
Christoph Sorge: Es gibt große Unterschiede zwischen meinen Vorträgen in Sachsen und in Bayern. Wenn ich in Sachsen Schüler frage, ob es ein Problem mit Rechtsradikalismus gibt, dann wird die Frage immer verneint. In Bayern stehen die Schulen, die Lehrer und die Schüler dem Problem offener gegenüber.
Offen genug?
Für meinen Geschmack noch nicht offen genug. So habe ich vermisst, dass bei den Politikern, die die Veranstaltung besuchten, die AfD nicht präsent war. Natürlich kann man über die AfD reden, es ist aber besser, sie selbst reden zu lassen, damit sie sich entlarvt.
Wann sind Sie selbst rechten Rednern auf den Leim gegangen?
Ziemlich früh, etwa mit 14. Ich habe das selbst aber gar nicht so bemerkt. Ich bin in einem sehr warmen, liebevollen Elternhaus großgeworden, allerdings haben mir die Strukturen gefehlt. Ich wollte Disziplin. So bin ich empfänglich gegenüber dem NS geworden.
NS?
Nationalsozialismus.
Den wollten Sie wieder haben? Ernsthaft?
Ja. Ernsthaft. Ich habe mich bewusst entschieden, Nationalsozialist zu werden. Mir war bewusst, dass diese Ideologie sehr aggressiv ist und letztendlich die Abschaffung des Grundgesetzes und des demokratischen Rechtsstaates will. Wir waren europaweit vernetzt.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir hatten klare Strukturen, rekrutierten weitere Mitglieder. Kritik an Führungskräften gab es nicht. Entweder führten die Mitglieder oder sie folgten - oder sie mussten gehen. Ich selbst wollte ein klares Führerprinzip haben.
Wer waren Ihre Feinde?
Israel, der Zionismus und die Linken.
Waren Sie gewalttätig?
Ja, Antifaschisten gegenüber. Da habe ich mitgeprügelt. Aber letztendlich wurde ich nie bestraft. Wir arbeiteten auch eher politisch, weil uns klar war, dass uns Kameraden im Knast nichts nutzten.
Warum sind Sie ausgestiegen?
In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2012, das war drei Tage nach einem von uns organisierten Großaufmarsch in Dresden. Da ging es am Stammtisch darum, was wir mit politischen Feinden am Tag X, an unserem Endziel, machen wollten. Und die klare Definition war: verfolgen und umbringen. Das war so eiskalt und krass, das war mir einfach nur zuwider, denn das wollte ich nicht. Bis dahin war mein Leitspruch: die Ideologie des Nationalsozialismus fordern, fördern und schützen. Aber nicht töten. Ich begann, mich zu distanzieren. Da war ich allerdings der einzige, obwohl ich umgeben war von intelligenten Menschen, auch von Studenten.
War der Ausstieg schwer?
Ja, denn ich musste mich komplett neu erfinden - bis hin zu einem Demokrativerständnis. Geholfen hat mir dabei der Verein "ad acta". Da bin ich heute noch aktiv.
Wie hat die Szene auf Ihren Ausstieg reagiert?
Anfangs verhalten, ich wurde nicht bedroht, da hatte ich Glück. Im Internet versucht man, mich mit Lügen zu diskreditieren, aber damit kann ich leben.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr von rechts ein?
Sehr hoch. Schon damals, als ich dabei war, hätte ich gesagt, dass etwa 30 Prozent gewaltbereit sind. Doch der Nährboden ist heute dichter geworden - und da hat die AfD ein leichtes Spiel. Die AfD sehe ich als größte Gefahr. Sie hat es geschafft, frustrierte Bürger zu vereinen - und die AfD ist klüger, als es die NPD damals war. Auch kriminelle Organisationen wie den NSU könnten theoretisch wieder funktionieren.
Weil die Polizei schläft?
Die Gesellschaft schläft. NS-Strukturen aufzudecken und zu bekämpfen ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
Schämen Sie sich eigentlich?
Ja. Für alles. Die wichtigste Ressource im Leben ist Zeit und ich habe über zehn Jahre verschwendet. Ich bin Täter, kein Opfer. Jetzt nutze ich die Erfahrungen, meiner Schuld und meiner Verantwortung gerecht zu werden.
Möchten Sie sich bei jemandem entschuldigen?
Ja. Ich möchte in meinem Leben einmal nach Auschwitz und mich dort entschuldigen. Aber ich möchte nicht einfach dort hin, "Entschuldigung" sagen und wieder gehen. Am liebsten würde ich mich bei einem Holocaust-Überlebenden entschuldigen. Aber dafür braucht es Planung.
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