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"Ich bin jeden Tag gern ins Rathaus gegangen"
Das Gespräch führte Siegfried Farkas
 |  aktualisiert: 17.10.2017 15:31 Uhr
Der Mann ist die Idealbesetzung für die Spitze einer Stadtverwaltung. Er ist traditionsbewusst und doch für Neues aufgeschlossen. Er hat stets das bessere Argument und benutzt es nie für sich. Er könnte seinen Oberbürgermeister in den Schatten stellen und drängt sich doch nicht vor. Er hat nur einen Nachteil: Er geht in Ruhestand. Ein Gespräch mit Eberhard Gräf, dem Leitenden und jetzt scheidenden Rechtsdirektor der Stadt Bad Kissingen.

Frage: Weil mich das im Moment selbst am meisten beschäftigt, fange ich mit einer großen Sorge an: Wohin, Herr Gräf, führt der Weg Bad Kissingens als Staatsbad, wenn Sie Ihren Stuhl im Rathaus geräumt haben? Steigt der Freistaat bald aus der Kur aus?

Eberhard Gräf: Aus meiner Position in dieser Frage mache ich keinen Hehl: Wir dürfen, auch im Hinblick auf unsere finanzielle Lage, den Staat nicht aus der Verantwortung lassen. Natürlich macht der Staat dauernd deutlich, dass er den Betrieb von Staatsbädern nicht mehr als Kernaufgabe sieht. Das muss man auch ernst nehmen. Es ist uns ja bereits bei der Teilkommunalisierung gesagt worden. Deshalb haben wir damals auch auf einem Vertrag über 20 Jahre bestanden, obwohl der Staat eine kürzere Frist wollte.

Was heißt das zum Beispiel in Bezug auf die Kuranlagen und Gebäude?

Gräf: Es ist auf jeden Fall auszuschließen, dass wir als Stadt staatliche Liegenschaften übernehmen könnten. Das würde eine Stadt wie Bad Kissingen dramatisch überfordern. Das bayerische Königshaus hat Kissingen ausgestattet, wie es einem Staat entspricht, nicht wie es einer kleinen Stadt entspricht. München wird ja auch nicht das Schloss Herrenchiemsee der Marktgemeinde Prien anbieten. Wir haben einen Pachtvertrag, der die Aufteilung der Aufgaben von Stadt und Staat regelt. Wenn sich der verändern würde, wäre das für Bad Kissingen nicht zu verkraften.

Manchmal hat man aber doch den Eindruck, dass die Stadt mit Geheimniskrämerei unumkehrbare Schritte ansteuert und Kissingens Staatsbadstatus, das heißt, die enge Einbindung des Freistaats in die Verantwortung für die Kissinger Kur, leichtfertig aufgeben will.

Gräf: Das wäre in der Tat unumkehrbar. Wir müssten es deshalb schon ganz genau überlegen, zumal der Vertrag ja noch läuft. Eigentlich finde ich, man sollte das mal umgekehrt sehen. Der Staat hat jetzt mit hohem Aufwand das Staatsbad zumindest in seinen Kernbereichen hergerichtet und wendet sogar noch Geld für den Hochwasserschutz auf. Das lässt Bad Kissingen top dastehen, reicht aber noch nicht ganz. Der Freistaat sollte die Stadt also in den nächsten Jahre noch mit den gleichen Anteilen wie jetzt begleiten, damit wir die Wertschöpfung aus den hergerichteten Anlagen nutzen können. Daraus entstehen zum Beispiel im Tagungsgeschäft neue Chancen, die wir nutzen sollten. Einen solchen Vermarktungsschub mit Ehrgeiz brauchen wir auch für die andere große Investition, die KissSalis Therme. Deren Potenzial wird regional gut genutzt, national ist es aber noch nicht ausgeschöpft. Wenn wir die Staatsbad GmbH in ein paar Jahren so aufgestellt haben, dass wir auf der Ausgabenseite das Nötige getan haben und vor allem auch die Einnahmenseite verbessert, also für mehr Übernachtungen gesorgt haben, dann können wir über Veränderungen nachdenken. Dann haben wir die Situation, dass man sagen kann, wir sind zu einer Teilübernahme fähig.

Und bis dahin?

Gräf: Es hat keinen Sinn, Verbesserungen in der Struktur nur zur Defizitreduzierung zu verwenden. Das muss zum Beispiel ins Marketing fließen. Wir sollten auch ein altes Thema wieder anpacken und für mittlere und kleine Betriebe ein Modernisierungsprogramm auflegen. Die staatliche Förderung sollte dabei ergänzt werden durch Leistungen der Banken. Bei denen muss ja irgendwann die Wertberichtigung nach unten aufhören und der Wertaufbau beginnen. Ein Innovationsschub ist aber nötig. Nicht nur in Sachen Bettenmehrung, sondern auch in Bezug auf therapeutische Ergänzungen, zum Beispiel durch chinesische Medizin. In diesem Sinne ist auch die Deutsch-Chinesische Fußballakademie, ist Auslandsakquise überhaupt ein total wichtiger Ansatz.

Was muss Kissingen sich bewahren, um seinen Platz in der Spitze des deutschen Bäderwesens zu behaupten?

Gräf: Auf jeden Fall unsere Anlagen. Die müssen baulich und gärtnerisch top sein. Und wir müssen uns darüber klar sein, dass Kultur bei uns nicht irgendein Haushaltsposten ist, bei dem man rumstreichen kann. Was günstiger gelegene Orte durch Berge oder das Meer haben, müssen wir uns eben auf anderem Wege schaffen. Unser Kulturangebot sind praktisch die Heilquellen von früher. Und dann müssen wir natürlich auch in der Lage sein, dem Markt der Selbstzahler das Angemessene zu bieten. Das beeinflusst dann auch die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger.

Und wo muss die Kurstadt sich erneuern?

Gräf: Wir müssen im privaten Bereich manches modernisieren und in der Qualität verbessern. Der Markt ist schärfer geworden. In einem Traditionsbad ist das eine größere Herausforderung als in manchem neu aufgebauten Fremdenverkehrsort.

Von der Zukunft Bad Kissingens zur Anfangszeit Ihrer Arbeit bei der Stadt. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Amtshandlung damals, am 1. Juli 1975?

Gräf: Die erste Amtshandlung war, drei Herren aus Eisenstadt zu empfangen. Das waren die Maßgeblichen für die Gründung der Partnerschaft mit Eisenstadt. Mit denen habe ich den Vormittag verbracht. Ich habe also nicht mit einem Verwaltungsakt begonnen, sondern mit dem Anfang einer guten Verbindung.

Und was betrachten Sie selbst als Ihre wichtigste Tat im Amt?

Gräf: Der größte Kraftakt waren sicher die Vertragsverhandlungen mit dem Freistaat zur Gründung der Staatsbad GmbH. Froh bin ich darüber, dass wir die Schließung der Bäder oHG ohne Entlassungen über die Bühne gekriegt haben. Wichtig war für mich auch immer, dass wir eine gute Atmosphäre hatten im Rathaus. Darum habe ich mich sehr bemüht. Ich bin ja selbst jeden Tag gerne ins Rathaus gegangen.

Ein Thema hat Sie im Grunde die ganze Dienstzeit über beschäftigt: die Satzung für das Sondergebiet Kurgebiet. Wie zufrieden sind Sie jetzt, da Ihr Werk höchstrichterlich abgesegnet, aber politisch vorsichtig aktualisiert ist?

Gräf: Um diese Satzung beneiden uns andere Bäder. Und es gibt viele Beispiele, mit denen man belegen kann, dass Bad Kissingen ohne das Sondergebiet Kurgebiet heute anders aussehen würde.

Was hat Sie an der Aufgabe bei der Stadt gereizt? Angesichts seiner sehr vorzeigbaren Examensnoten boten sich dem Juristen Eberhard Gräf doch auch andere Perspektiven.

Gräf: Als ich meine Noten hatte, schwankte ich zwischen Justiz und Verwaltung. Dass ich mich für die Verwaltung entschied, habe ich nie bereut. Richter vollziehen nach was rechtens ist. In der Verwaltung steht man am Anfang und was ich erlebt habe, war immer interessant. Es gab auch keinen Tag, wo ich genau das getan hätte, was ich mir vorgenommen hatte. Es ist immer etwas anderes dazwischen gekommen.

Haben Sie irgendwann bereut, sich für die Stadt entschieden zu haben?

Gräf: Nein, wirklich nicht. Ich würde es wieder so machen.

Wenn Sie zurückblicken auf die Arbeit bei der Stadt, sehen Sie sich da eher als Mann der Verwaltung oder als Politiker?

Gräf: Ich war immer aufgefordert, Politik zu beraten. Das forderte Gestalten und Anstoßen heraus. Da kann man sich nicht darauf beschränken, Paragrafen auszulegen. Genau das macht ja auch den Reiz mit aus.

Sie standen vor dem Wechsel von der Spitze der Stadtverwaltung an die politische Spitze der Stadt. Sind Sie traurig, dass Sie nicht OB geworden sind?

Gräf: Sicher stand mein Name zur Diskussion, aber ich habe damals anerkannt, dass Georg Straus hohe Verdienste als Ortsvorsitzender, als Fraktionsvorsitzender und als Zweiter Bürgermeister hatte und zu Recht Ansprüche auf das Amt des Oberbürgermeister geltend machen konnte. Ein Beharren hätte damals zu einer Spaltung geführt und ich bin ja auch keiner, der absolut machtbesessen ist.

1990 hat die CSU den OB-Sessel an die SPD verloren. Wie wäre diese Wahl ausgegangen, wenn Sie 1984 Oberbürgermeister geworden wären?

Gräf: Darüber habe ich mir wahrlich noch keine Gedanken gemacht. Ich hätte in den Jahren zuvor natürlich schon versucht, deutlich zu machen, dass man mich wiederwählen kann. Nach dem, was er geleistet hat, war die Abwahl von Georg Straus für mich auch eine absolute Überraschung.

Sie haben bei der Stadt mit vier Oberbürgermeistern zusammengearbeitet und dabei je nach Persönlichkeit des amtierenden OB sicher sehr unterschiedliche Rollen für sich definieren müssen..

Gräf: Ja, das war immer ein neue Konstellation, aber das war ja auch das Interessante an dem Job.

Besonders wichtig finde ich im Rückblick Ihre Rolle in der zweiten Amtszeit von Christian Zoll. Weil SPD-OB und CSU-plus-Unterstützer-Mehrheit sich da zeitweilig gegenseitig blockierten, fiel Ihnen als CSU-Mann die entscheidende Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass sich in der Stadt trotzdem etwas bewegte.

Gräf: Die Konstellation 1990 mit der Wahl Zolls war sicher ungewohnt. Es bestand aber umso mehr die Notwendigkeit, die Objektivität, das sachliche Arbeiten voran zu stellen und sich seine eigene Meinung zu bilden.

In der Kissinger CSU hat Ihnen das Kritik eingetragen. Fanden Sie das nicht ungerecht?

Gräf: Andere haben das vielleicht stärker empfunden als ich. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, den von den Bürgern gewählten OB im Sinne der Stadt in seiner Arbeit zu unterstützen. Es kann mir doch niemand übel nehmen, dass ich mich für die Stadt eingesetzt habe.

Sie waren früher nicht nur Rechtsdirektor und stellvertretender Landrat, sondern auch Chef der Bäder oHG. Für die Kissinger Kur war das eine wichtige Aufgabe.

Gräf: Die Bäder oHG war ein städtisches Element, das über Jahrzehnte Wirtschaftskraft darstellte und dem Gast gegenüber eine wichtige Stellung hatte. Die Kurmittel, die die Bäder oHG abgab, wurden ja praktisch von 90 Prozent der Gäste genutzt. Das zentrale Geschäft der Kurmittel fiel dann aber in dem Maße zusammen, wie die großen Häuser eigene Badeabteilungen bauten und die ambulante Badekur zurückging. Es hätte am Ende keinen Sinn mehr gehabt, die Bäder oHG weiter zu führen. Ich glaube aber, wir haben das ganz gut über die Bühne gebracht.

Sie sind noch ganz schön beschäftigt. Es war deshalb gar nicht so einfach, einen Termin für unser Gespräch zu finden. Fällt es Ihnen schwer, sich in den Ruhestand zu verabschieden?

Gräf: Nein. Trotzdem bin ich froh, dass es mit Tempo bis zum letzten Tag gelaufen ist. Mein Nachfolger ist ein guter Jurist, er ist menschlich in Ordnung und kann auch mit Menschen umgehen. Darüber bin ich sehr glücklich. Insofern gehe ich mit einem guten Gefühl.

Ganz ziehen Sie sich ja auch noch nicht ins Privatleben zurück. Stellvertretender Landrat werden Sie bestimmt noch bleiben.

Gräf: Natürlich. Das hat mit dem Ruhestand ja nichts zu tun. Ich habe auch nicht vor wegzuziehen. Und das wäre der einzige plausible Grund aufzuhören.

Trotzdem haben Sie künftig viel mehr Freizeit, als es einem Mann lieb sein kann, in dessen Amtszimmer im Rathaus das Licht oft am längsten brannte. Was fangen Sie denn mit der vielen Freizeit an?

Gräf: Ich freue mich darauf, mal Dinge völlig außer der Reihe tun zu können. Reisen, Freundschaften pflegen, mich um meine Familie, vor allem um meine Enkel zu kümmern, darauf freue ich mich.

 
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