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Bad Kissingen
„Honey“ - Eine Hommage an das Altern
Die Heldin „Honey“ in Victor Lodatos gleichnamigen Roman trotzt Mafia-Wurzeln. Erst als Seniorin kehrt sie zu ihrem Geburtsort zurück. Dort erwarten sie alte Erinnerungen und neue Herausforderungen.
Das Cover von Victor Lodatos 'Honey'.       -  Das Cover von Victor Lodatos 'Honey'.
Foto: C.H.Beck | Das Cover von Victor Lodatos "Honey".
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 18.02.2025 02:38 Uhr

Mit der 82-jährigen Ilaria Fazzinga, von allen nur „Honey“ genannt, hat sich der amerikanische Schriftsteller Victor Lodato (57) eine in ihrer unkonventionellen Art äußerst ungewöhnliche Frau als titelgebende Heldin seines im September beim Verlag C. H. Beck veröffentlichten Romans gewählt.

Darin geht es einerseits um die familiäre Bindung mit ihren Verpflichtungen, andererseits um die Suche nach eigener Identität und Freiheit. „Honey“ ist zugleich eine Hommage an das Altern als positive Phase mit wertvollen Erinnerungen und Erkenntnissen sowie der Chance, auch jetzt noch Abenteuer erleben zu können.

Sie flieht vor ihrer kriminellen Familie

Aufgewachsen als Tochter des mächtigen Don Pietro, gewalttätiger Pate einer italo-amerikanischen Mafia-Familie in New Jersey, hatte sich Honey nicht wie ihre Mutter dem von Männern beherrschten Clan-System unterordnen wollen, dessen weibliche Angehörige zum Hausfrauendasein und zum Schweigen verurteilt waren.

Um sich von ihrer Familie befreien und sich ein eigenes Leben aufbauen zu können, war sie nach New York und später nach Los Angeles geflohen und hatte die Ächtung ihrer Familie als „Verräterin“ in Kauf genommen.

Nach dem Tod ihrer zwei Freundinnen kehrt die inzwischen selbstbewusste, etwas exzentrische, aber einsame Seniorin in ihre Geburtsstadt zurück, wo sie sich mit ihren längst verdrängten Erinnerungen und den einstigen Verbrechen ihrer Familie erneut auseinandersetzen muss. Sind es Einsamkeit und die naturgegebene Bindung an die Familie, der man letztlich nicht entfliehen kann, die sie in die Nähe ihres Elternhauses gezogen haben?

Schlummernde familiäre Gene erwachen

Nach 60 Jahren in der Fremde hatte sie geglaubt, sich mithilfe von Meditation und Psychiatern von ihrer Vergangenheit und der Familie befreit zu haben. „Mehrere Jahrzehnte hatte sie süß geschlafen, ohne von Dämonen belästigt zu werden.“

Zurück in ihrem Geburtsort und im Umgang mit ihrem Neffen als neuem Familienoberhaupt spürte sie allerdings, dass sie nichts anderes getan hatte, „als das Schlimmste in ihr nach unten zu drücken und mit einer dekorativen Randverzierung einzufrieden.“ Voller Erschrecken muss sie nun feststellen, dass schlummernde familiäre Gene auch sie zu Gewalt hinreißen können. „Vielleicht war sie doch die Tochter ihres Vaters. Sempre famiglia!“

Humorvolle und ironische Erzählung

Lodato lässt uns in seiner humorvollen, oft auch ironischen Erzählung am Alltagsleben dieser nur scheinbar so selbstbewussten Seniorin im Widerstreit ihrer Gefühle mit tief empfundener Empathie teilhaben. „Sie hatte ihren Vater abgöttisch geliebt. Und sie hatte ihn gehasst. So einfach war das.“

Honeys Gedankenwelt, ihre Erinnerungen und ihr gegenwärtiges Leben schildert der Autor so plastisch, dass man sich der Seniorin emotional verbunden fühlt. Neben Honey lernen wir einige Menschen in ihrem Umfeld kennen, die in ihrer Charakterisierung die Dramatik der Geschichte ausmachen: Dem nach alter patriarchalischer Tradition immer noch machtbesessenen Neffen Fazzinga und seinem gewalttätigen Sohn Peter steht als Kontrast der zweitgeborene Michael gegenüber, der als verachteter Transgender – wie einst Honey in Jugendjahren von seiner Familie unterdrückt und verachtet – seine wahre Identität als Frau sucht und um seine persönliche Freiheit kämpft.

Gegenpart zu Honey: Nachbarin Jocelyn

Völlig hilflos ist als charakterlicher Gegenpart zu Honey ihre Nachbarin Jocelyn. „Sie war eine Frau der Kontemplation, nicht der Tat. Eigentlich nicht zu gebrauchen.“ In ihrer Sehnsucht nach Anerkennung hat sich die junge Frau selbst aufgegeben und ihrem brutalen Liebhaber unterworfen.

Als Konterpart zu den von Honey verachteten Männern mit ihrem Macho-Gehabe steht der junge Maler Nathan, der auf ihre Gefühle eingeht, Honey in ihrer eigenen Art und als Frau akzeptiert, ihr gern zuhört und sie am Ende ihres Lebens noch einmal glücklich werden lässt.

Porträt einer freiheitsliebenden Seniorin

Mit „Honey“ ist Victor Lodato das beeindruckende Porträt einer freiheitsliebenden, bewundernswerten Seniorin gelungen – einer Figur, wie man sie kaum in Romanen trifft. Vielleicht hätte der Autor die Handlung kürzen können, um seiner Geschichte stellenweise mehr Tempo zu geben und die Dramatik im kontrastreichen Spannungsgeflecht seiner Protagonisten noch zu steigern.

Dennoch ist „Honey“ ein ungewöhnlicher und lesenswerter Roman über weibliche Wut und Rache, voller Empathie und psychologischer Tiefe, berührend, aber mit Witz und Sarkasmus auch unterhaltsam.

Informationen zum Buch: Victor Lodato: „Honey“, Verlag C. H. Beck , gebunden, 464 Seiten, Preis: 26 Euro, ISBN 978-3406822421

 
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