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Münnerstadt
Hohe Qualität beim Dichterwettstreit: Anna Lisa Azur siegt
Die Besucherinnen und Besucher müssen in kürzester Zeit ihre Lieblinge - natürlich die Texte - herauszufiltern und entsprechend zu applaudieren. Und wer gewann.
Sie standen im Finale des Poetry Slams: (vorne von links) Phriedrich Chiller, Anna Lisa Azur und Daniel Wagner. Foto: Hartmut Hessel       -  Sie standen im Finale des Poetry Slams: (vorne von links) Phriedrich Chiller, Anna Lisa Azur und Daniel Wagner. Foto: Hartmut Hessel
| Sie standen im Finale des Poetry Slams: (vorne von links) Phriedrich Chiller, Anna Lisa Azur und Daniel Wagner. Foto: Hartmut Hessel
Hartmut Hessel
 |  aktualisiert: 27.11.2022 02:42 Uhr

Stark! Die geneigten Poetry-Slam-Gängerinnen und -Gänger konnten sehr zufrieden sein. Der 5. Dichterwettstreit in Münnerstadt hatte diesmal eine besondere Qualitätsdichte. In jedem Fall erwies sich die Bühne in der Montessori-Schule (ehemaliges BBZ) mehr als ein Ersatz für die Alte Aula, die ja in diesen Zeiten kalt und leer bleiben soll. Die Veranstalter - städtisches Kulturbüro und Altstadtverein - hatten bereits über 70 Vorbestellungen. Zur vollen Zufriedenheit wurden es viel mehr Gäste.

Sechs Interpreten hatte Manfred Manger aus Schweinfurt, ein langjähriger Kenner und Macher in der Slam-Szene nach Münnerstadt eingeladen. DJ Lisa war für den einstimmenden Sound verantwortlich, der heute zu vielen Projekten dazugehört.

Heimatgefühle geweckt

Was hatte Christian Lindner , der derzeitige Finanzminister, mit der ganzen Sache zu tun? Anna- Lena Azur lebt seit einigen Tagen in Berlin, kommt aber aus einem "Provinznest" namens Wermelskirchen am Niederrhein. Schon der Anblick Münnerstadts habe bei ihr Heimatgefühle geweckt, und dazu passte dann auch ihr "Landei-Manifest", eine Hommage an das Leben und deren Auswirkungen in der Provinz. Azur performte das als Rap auf der Bühne, Gestik und Sprache professionell eingesetzt. Die Tiefsinnigkeit lässt das intensive Heimatgefühl erspüren, mit der Rap-Version bringt sie eine gewisse Progressivität in die heimatliche Gefühlswelt. Anna Lena Azur hatte, wie die anderen auch, sieben Minuten für ihren Vortrag. Belohnt mit vielen Punkten landete sie im Finale. Und Christian? Der Politiker hat in ihrer Heimat sein Abitur gemacht. Zu ihm blieb es aber nicht die einzige Feststellung auf der Bühne.

Ziemlich kriegerische Phonetik

Daniel Wagner zum Beispiel, ist entlang des Oberrheins an verschiedenen Orten aufgewachsen und hat eine ziemlich kriegerische Phonetik . Wenn er will, rattern die Handlungsströme seines Vortrags wie ein Maschinengewehr aus dem Mund, mal laut, mal sehr laut bis hin zu undeutlich. Sein Thema: "Kleine Schurkenstaaten am Rande der Welt". Kein Rap, kein Gedicht , kein Reim, aber Lyrik zur aktuellen Situation "in der Welt" die über den täglichen Nachrichtenstrom weit hinausgehen, die betroffen machen, obwohl man bei manchen Wortkonstrukten ziemlich lachen muss. Der Finanzminister Lindner bekam dazu einige besondere Zeilen zu seinen Ansichten gewidmet. Schön ist anders! Wagner unterscheidet zwischen Schurken und Halunken, das hört sich an wie Böse und Gute, soll aber Geschmacksache bleiben. Mit voller Punktzahl fliegt Daniel Wagner ins Finale.

Das konnte dann auch der Mannheimer Phriedrich Chiller erreichen, über seinen besten zweiten Platz und mit einer Art Europahymne. Er nennt seinen Text "Der Grenzgänger". Ihre Texte finden die Akteure oft in eigenen Lebensbereichen, sie holen sich den Alltag in die Lyrik, sie sprechen ihre Erlebnisse nach, vor allem, wenn Ausdruck mit Spannung verbunden wird. Das ist dem Sprachkünstler außerordentlich gut gelungen. Chiller ist beruflich zwischen Mannheim und Straßburg unterwegs. So mischt er gekonnt Französisch in den dann, im Vergleich harten deutschen Akzent. Das Ergebnis:" Ich spüre die Grenze nicht!"

Ein Gemeinschaftsgefühl

Der Poetry Slam ist trotz Wettbewerbs-Charakters ein Gemeinschaftsgefühl. Alle Autorinnen und Autoren kennen sich von anderen Auftritten. Immer sind die Entscheidungen subjektiv. Kein Wunder angesichts der Themenbreite in den selbstverfassten Texten. Vom Liebesgedicht bis zum politischen oder sozialen Statement. Die Besucherinnen und Besucher sind dazu verdammt, in kürzester Zeit ihre Lieblinge (natürlich die Texte) herauszufiltern und entsprechend zu applaudieren.

Die Münnerstädter Erfahrung hat gezeigt, dass Frauen eher zur Melancholie neigen, nicht immer, aber oft genug. Wie bei Elena Illing aus Heidelberg. Am Martinstag war denn auch Martin der Protagonist, ein Freund, der im entscheidenden Moment die richtigen Fragen stellt, bei dem jedoch auch nach vielem Auf und Ab eine Enttäuschung bleibt. Sanftmütig und voller Respekt begleitet Elena das Tun des Freundes in der Coronazeit. Am Ende bleibt die Selbsterkenntnis, "weil ich mir selbst nicht trauen würde!"

Die Krisen dieser Welt umdrehen

Nico Sioulis aus Bielefeld versucht mit einem Tanz in der Tanzschule die Krisen dieser Welt zu umdrehen. Ein falscher Schritt, eine vorsichtige Drehung, Krieg und Frieden, Hunger und Fluchtbewegungen lassen sich einkreisen oder mit Schwung durchschreiten. Und eingeklemmt in die männliche Führung - natürlich die Ergebnisse des Herrn Lindner. Da ist viel Sand auf dem Parkett.

Und jetzt wird's in Münnerstadt international!" Manfred Manger, der Moderator schwelgt im Superlativ, bloß weil Michael Klütgens aus Eupen in Ostbelgien kommt. Schön, wie der dann Belgien beschreibt, die Besonderheiten, ja die Unmöglichkeiten dieses Landes sieht und sich in einem Beschwerdebrief der "Generation Fakt, mit u geschrieben" auslässt. Er fordert Veränderung, die Zerstörung des Planeten stoppen und das Gendern nicht ausufern zu lassen.

Ein Fläschchen Althäuser Gebranntes hat übrigens Anna Lisa Azur als Siegerin, mit einer Liebesbezeugung an ihren Opa, der in seiner Demenz gefangen ist, mit sehr einfühlsamer Sprache gewonnen. Ein Hoch auf die Poetry-Slam-Gemeinschaft.

 
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