Maßbach
Hoffnung wiegt 35 Kilo
Im Maßbacher Theater wird zurzeit Anna Gavaldas neuestes Stück gezeigt. Dabei können Kinder wie Eltern jede Menge lernen.
Nein, "35 Kilo Hoffnung", das neue Stück von Anna Gavalda, für die Bühne bearbeitet von Petra Wüllenweber, hat nichts mit Bulimie, Anorexie oder Magersucht zu tun. Anna Dubosc ist ein zwölfjähriges Mädchen, das keine Gewichtsprobleme, sondern ein gewaltiges Schul- und damit Lebensproblem hat. Alles, was ihr Spaß macht, also mit den Händen kreativ sein, Dinge erfinden, malen, sind in der Schule nicht gefragt. Sie muss rechnen, schreiben, auswendig lernen und auch noch Sport treiben - alles Dinge, die sie hasst, die ihr Angst machen, die ihr den täglichen Gang zur Schule zur Qual werden lassen.
Ratschläge ihrer ständig streitenden Eltern wie: "Du musst mehr lernen!" oder ärztliche Diagnosen der Konzentrationsschwäche helfen ihr nicht weiter, sie sinkt immer mehr ab, klammert sich an kleinste Erfolgserlebnisse, wird immer mehr zum Klassenclown, wiederholt die 3. und 5. Klasse.
Als Außenstehender würde man sagen: Sie ist der typische Fall eines einseitig hochbegabten Kindes, das nicht qualifiziert gefördert wird. Nur der Großvater erkennt ihre Talente; an ihn klammert sie sich, auch wenn er sie - zunächst - nicht wirklich motivieren kann. Erst, als nach mehreren Schulwechseln alle anderen sie aufgegeben haben, ergreift sie die Initiative, schreibt an ein technisches Gymnasium und bittet um Aufnahme, obwohl sie die Voraussetzungen in keiner Weise erfüllt. Aber dort lässt man sich auf sie ein, dort findet sie ihr Selbstbewusstsein und ihr Lernvermögen. Da entwickelt sie plötzlich Energie, nicht zuletzt, um ihren schwerkranken Großvater nicht zu enttäuschen. Aus 35 Kilo Verzweiflung werden 35 Kilo Hoffnung.
Im Buch von Anna Gavalda ist die Hauptperson ein Junge namens David. Warum sich Petra Wüllenweber und/oder Stella Seefried, die Regie geführt hat, für ein Mädchen entschieden haben, darüber kann man spekulieren. Vielleicht war kein passender Junge da. Vielleicht entstand bei der Lektüre auch der Eindruck, dass das Verhalten der Hauptperson eher dem eines Mädchens entspricht.
Wenn das nicht der Fall war, dann war der Text für die Umbesetzung bestens bearbeitet. Ein wesentlicher Grund war aber sicher: Es wäre ein Fehler gewesen, die Hauptrolle nicht mit Tonia Fechter zu besetzen. Die ist zwar ein bisschen mehr als doppelt so alt wie die Anna, aber sie scheint noch sehr gut zu wissen, wie das vor 14 Jahren war, als Pubertät oder auch Jungen noch Fremdwörter waren.
Und sie spielt die Zwölfjährige mit einer derartigen Beweglichkeit, Spontaneität und bezwingendem Zugriff, dass die Altersfrage sich sehr schnell erledigt: Man sieht auf der Bühne genau das, was man sehen soll: eine Zwölfjährige.
Wobei Tonia Fechter die ganze Palette der kindlichen Emotionen perfekt beherrscht: dieses Leben für den Moment, die Enttäuschung und Verzweiflung, wenn es nicht so läuft, wie sie sich das wünscht, die spontane Freude, wenn einmal etwas klappt, die Resignation, dass sie von ihren Eltern nicht als Person wahr genommen wird, sondern nur der Vorwand für ihren eigenen Streit ist, die Öffnung ihren Großeltern gegenüber, die sie ernst nehmen - insbesondere der Großvater, der für sie zum Motivationsmotor wird. Jede Beziehung, sei es zu den Psychologen oder Lehrerinnen, ist genau analysiert und gestaltet.
Aber auch die beiden anderen in dem Trio sind vor allem in ihrer Flexibilität enorm gefordert. Denn Iris Faber und Georg Schmiechen verkörpern etwa zwölf Rollen von den Eltern und Großeltern über Nachbarn, Ärzte, Lehrerinnen und vieles mehr. Mit raschen Wechseln der Kostüme und Accessoires (Kostüme: Daniela Zepper) und blitzartigem Umschalten in die nächste Rolle lieferten sie außerordentlich prägnante, aber nie plakative Bilder von Menschen, mit denen sich Anna ständig auseinandersetzen muss, an deren Unerbittlichkeit sie scheitert.
Da ist keine Geste, keine Mine dem Zufall überlassen. Stella Seefried und ihrem Team ist eine Verdichtung gelungen, der sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Zumal Jörn Hagen eine Art Zauberwürfelwelt als Bühnenbild entwickelt hat, das so flexibel ist, dass die Konzentration nicht durch Umbaupausen gestört wird und trotzdem immer neue Situationen entstehen.
Keine leichte Kost, auch nicht für die Schüler der 4. Klasse der Nüdlinger Grundschule, die von der Aufführung begeistert waren. Das zeigte sich am Ende in einem kurzen Gespräch mit den drei Schauspielern. Es machte ihnen keine Probleme, das Stück in seinen schwierigen Themen zu erfassen, die für sie nicht leicht zu durchdringen sind. Sie waren konzentriert dabei, weil sie Annas Erfahrungen nicht nur erfassen, sondern auch mit ihren eigenen abgleichen konnten. Und es machte ihnen auch nichts aus, dass das Bühnenbild recht abstrakt war: "Das ist gut für die Fantasie", meinte ein Schüler.
Und das Stück ist nicht nur gut für die Schüler, weil es einen positiven, selbstbestimmten Weg aus einer tiefen Krise zeigt. Auch die Eltern sollten sich "35 Kilo Hoffnung" anschauen. Denn sie glauben gar nicht, was sie da alles noch über ihre eigenen Kinder erfahren können.
Ratschläge ihrer ständig streitenden Eltern wie: "Du musst mehr lernen!" oder ärztliche Diagnosen der Konzentrationsschwäche helfen ihr nicht weiter, sie sinkt immer mehr ab, klammert sich an kleinste Erfolgserlebnisse, wird immer mehr zum Klassenclown, wiederholt die 3. und 5. Klasse.
Als Außenstehender würde man sagen: Sie ist der typische Fall eines einseitig hochbegabten Kindes, das nicht qualifiziert gefördert wird. Nur der Großvater erkennt ihre Talente; an ihn klammert sie sich, auch wenn er sie - zunächst - nicht wirklich motivieren kann. Erst, als nach mehreren Schulwechseln alle anderen sie aufgegeben haben, ergreift sie die Initiative, schreibt an ein technisches Gymnasium und bittet um Aufnahme, obwohl sie die Voraussetzungen in keiner Weise erfüllt. Aber dort lässt man sich auf sie ein, dort findet sie ihr Selbstbewusstsein und ihr Lernvermögen. Da entwickelt sie plötzlich Energie, nicht zuletzt, um ihren schwerkranken Großvater nicht zu enttäuschen. Aus 35 Kilo Verzweiflung werden 35 Kilo Hoffnung.
Mädchen statt Junge
Im Buch von Anna Gavalda ist die Hauptperson ein Junge namens David. Warum sich Petra Wüllenweber und/oder Stella Seefried, die Regie geführt hat, für ein Mädchen entschieden haben, darüber kann man spekulieren. Vielleicht war kein passender Junge da. Vielleicht entstand bei der Lektüre auch der Eindruck, dass das Verhalten der Hauptperson eher dem eines Mädchens entspricht.
Palette kindlicher Emotionen
Wenn das nicht der Fall war, dann war der Text für die Umbesetzung bestens bearbeitet. Ein wesentlicher Grund war aber sicher: Es wäre ein Fehler gewesen, die Hauptrolle nicht mit Tonia Fechter zu besetzen. Die ist zwar ein bisschen mehr als doppelt so alt wie die Anna, aber sie scheint noch sehr gut zu wissen, wie das vor 14 Jahren war, als Pubertät oder auch Jungen noch Fremdwörter waren.
Und sie spielt die Zwölfjährige mit einer derartigen Beweglichkeit, Spontaneität und bezwingendem Zugriff, dass die Altersfrage sich sehr schnell erledigt: Man sieht auf der Bühne genau das, was man sehen soll: eine Zwölfjährige.
Wobei Tonia Fechter die ganze Palette der kindlichen Emotionen perfekt beherrscht: dieses Leben für den Moment, die Enttäuschung und Verzweiflung, wenn es nicht so läuft, wie sie sich das wünscht, die spontane Freude, wenn einmal etwas klappt, die Resignation, dass sie von ihren Eltern nicht als Person wahr genommen wird, sondern nur der Vorwand für ihren eigenen Streit ist, die Öffnung ihren Großeltern gegenüber, die sie ernst nehmen - insbesondere der Großvater, der für sie zum Motivationsmotor wird. Jede Beziehung, sei es zu den Psychologen oder Lehrerinnen, ist genau analysiert und gestaltet.
Enorm flexibel
Aber auch die beiden anderen in dem Trio sind vor allem in ihrer Flexibilität enorm gefordert. Denn Iris Faber und Georg Schmiechen verkörpern etwa zwölf Rollen von den Eltern und Großeltern über Nachbarn, Ärzte, Lehrerinnen und vieles mehr. Mit raschen Wechseln der Kostüme und Accessoires (Kostüme: Daniela Zepper) und blitzartigem Umschalten in die nächste Rolle lieferten sie außerordentlich prägnante, aber nie plakative Bilder von Menschen, mit denen sich Anna ständig auseinandersetzen muss, an deren Unerbittlichkeit sie scheitert. Da ist keine Geste, keine Mine dem Zufall überlassen. Stella Seefried und ihrem Team ist eine Verdichtung gelungen, der sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Zumal Jörn Hagen eine Art Zauberwürfelwelt als Bühnenbild entwickelt hat, das so flexibel ist, dass die Konzentration nicht durch Umbaupausen gestört wird und trotzdem immer neue Situationen entstehen.
Keine leichte Kost, auch nicht für die Schüler der 4. Klasse der Nüdlinger Grundschule, die von der Aufführung begeistert waren. Das zeigte sich am Ende in einem kurzen Gespräch mit den drei Schauspielern. Es machte ihnen keine Probleme, das Stück in seinen schwierigen Themen zu erfassen, die für sie nicht leicht zu durchdringen sind. Sie waren konzentriert dabei, weil sie Annas Erfahrungen nicht nur erfassen, sondern auch mit ihren eigenen abgleichen konnten. Und es machte ihnen auch nichts aus, dass das Bühnenbild recht abstrakt war: "Das ist gut für die Fantasie", meinte ein Schüler.
Und das Stück ist nicht nur gut für die Schüler, weil es einen positiven, selbstbestimmten Weg aus einer tiefen Krise zeigt. Auch die Eltern sollten sich "35 Kilo Hoffnung" anschauen. Denn sie glauben gar nicht, was sie da alles noch über ihre eigenen Kinder erfahren können.
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