Es ist noch finstere Nacht, der Nebel hängt in den Saaleauen. Sicht unter 50 Meter. Aber: Der Einsatz fürs Tierwohl kennt weder schlechtes Wetter noch unchristliche Uhrzeiten. Der Plan des Jagdpächters Dr. Helmut Fischer und seiner Helfern: Kitze retten.
Ein gefährlicher Reflex
Denn Jungtieraufzucht und Frühjahrsmahd überschneiden sich. Landwirte und Jäger stellt das vor eine besondere Aufgabe. Das hängt mit dem Verhalten der Kitze zusammen. "Die Tiere verfügen über einen Drückinstinkt in den ersten Tagen. Das heißt, sie drücken sich in die Wiese, weil sie noch nicht fluchtfähig sind und der Geiß nicht folgen können", erläutert der Jäger. Während dieser Zeit sind sie durch die Fellzeichnung und das Fehlen einer Witterung gut getarnt. Eine Medaille mit zwei Seiten.
Denn was in der Natur vor dem Gefressenwerden schützt, wird beim Mähen zur tödlichen Falle. Auch vor Kreiselmähern drücken sich die Tiere an den Boden. Ein Entkommen gibt es dann meist nicht. Um das zu verhindern, suchen Jäger vor der Mahd die Wiesen ab. Hauptverantwortlich wären laut Rechtssprechung die Landwirte . Aber: Zusammen gelingt es besser. Wichtig ist dabei, dass sich die Landwirte frühzeitig melden, so dass die Jäger aktiv werden können. "Sonst war man zu Fuß unterwegs, und hat geschaut, wo eine Geiß abspringt. Dann lag das Kitz meist nicht weit entfernt." Mittlerweile kommt Hightech zum Einsatz: Drohnen mit Wärmebildkameras.
Allsehendes Auge in der Luft
Wiese für Wiese surrt das nur DIN A4 große Gerät umher. Durch den Nebel lässt sich das Blinken der Positionslichter in 20 Metern Höhe nicht mehr sehen. Aber: Das fliegende Auge hat den Überblick. Schon schlägt der Temperaturalarm der Drohne aus. Dann heißt es mit Funkgerät, Gartenkorb und einem Stein in den Bewuchs steigen. Per Funk dirigiert der Drohnenpilot den Trupp im Feld. Die Kitze sind schwer auszumachen - auch wenn man nur einen Schritt entfernt steht.
Dann kommt der Korb zum Einsatz. Er wird über das Kitz gelegt und mit dem Stein beschwert. So wird sichergestellt, dass die Geiß den Korb nicht wegstößt. Außerdem rammt der Jäger einen Pfahl in den Boden. Das Zeichen für den Landwirt , der nach der Suche anrückt, um den Bereich herum zu mähen. Ideal ist es, wie bei einem Schneckenhaus von der Feldmitte zum Rand zu mähen. Ist der Landwirt fertig, kommt der Korb wieder weg. Die Geiß kann daraufhin wieder zu ihrem Jungen.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht
Eine andere Variante ist es, das Kitz mit Handschuhen und Grasbüscheln neben dem Feld abzusetzen. Darauf verzichten viele Jäger mittlerweile. Die Gefahr, dass trotzdem menschlicher Geruch am Kitz anhaftet, ist zu groß. Die Geiß würde ihr Junges nicht mehr anerkennen. Das Reh würde verhungern. Wichtig ist, dass bei der Rettung Menschen dabei sind, die die Gewohnheiten und Wechsel des Wilds kennen. Manchmal passiert es, dass Initiativen zwar das Kitz retten, es aber zu weit entfernt ablegen, so dass die Geiß ihr Kitz nicht mehr findet.
Für manchen ergibt das Tun der Jäger in den frühen Morgenstunden keinen Sinn. Jäger würden die Kitze nur retten, um im kommenden Jahr Wild zum Erlegen zu haben. Das ist falsch. Im Vordergrund steht der Tierschutz - durch das Absuchen lässt sich Tierleid verhindern. Außerdem sichern die Jäger und Landwirte damit die Heuqualität. Sind Kadaver im Heu, vermehrt sich das Botulismus-Bakterium. Frisst ein Rind das Heu, erkrankt es: Tod durch Atemlähmung ist die Folge.
Jäger schießen nicht jedes Reh
Und: "Jäger schießen nicht jedes Reh", sagt Helmut Fischer . Sie orientieren sich am Gesetz.Das fordert einen artenreichen, gesunden Wildbestand in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen natürlichen Lebensgrundlagen. Ist das nicht der Fall, kommt es zu Schäden in Feld und Flur, die körperliche Verfassung des Wildes wird schlechter und Krankheiten brechen aus. Darauf verweist auch das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Der Fokus soll auf schwachen älteren und jüngeren Tieren liegen. Letztere holen im Lauf ihres Lebens den Rückstand nicht mehr auf.