So ganz häufig schaffen es aktuelle, genau genommen auch ältere Theaterstücke aus "down under" ganz am anderen Ende der Welt nicht nach Europa. Wenn sich das renommierte Hamburger Ernst-Deutsch-Theater an eines wagt, muss da schon wirklich was dran sein.
Andrew Bovells Schauspiel "Dinge, die ich sicher weiß" zeigt die Welt von ihrem anderen Ende aus, von einem Vorort von Adelaide aus und beginnt mit der jüngsten Tochter, die auf ihrer Reise in den Rest der Welt in Paris strandet, wo der vermeintliche Traummann ihr das Herz bricht und ihr Globetrottergepäck ausraubt. Aus diesem Europa flieht sie zurück zu ihrer Familie in Australien und wird von den Eltern und ihren vier Geschwistern herzlich empfangen.
Geschickt stellt der Autor die Familienmitglieder vor, denn alle kommen auf die Nachricht von ihrer Rückkehr ins Familienwohnzimmer. Die Dialoge sind herzerfrischend realistisch, da fliegen nach kurzem Beschnuppern die Fetzen, und die Versuche der Eltern, Flüche und "schlimme Wörter" zu unterbinden scheitern zum Vergnügen des Publikums.
Pummeliger Gartenfreund
Mutter Fran, Oberschwester, ist gewöhnt daran, das Heft in die Hand zu nehmen, zu bestimmen, was zu tun ist. Vater Bob erscheint als der nette, pummelige Gartenfreund, der in der Autofabrik entlassen wurde. Er ist der Rücksichtsvolle, der jüngeren Kollegen Platz machte. Fran und er sind sehr stolz darauf, dass ihre Kinder es allesamt in gute Verwaltungsposten geschafft haben. Doch stellt sich im Laufe der Handlung heraus, dass auch sie nicht glücklich sind in ihren Positionen und Beziehungen.
Und während die Eltern doch so stolz auf sie waren, weil sie glaubten, dass alle in ihre Fußstapfen treten, Häuser bauen, eine Familie kriegen würden, erweist sich das als große Illusion. Die Welt von Fran und Bob zerfällt vor den Augen der Zuschauer, Rosies anfängliche Sehnsucht nach der Geborgenheit in ihrer Familie erweist sich als Trugbild.
Die große Schwester Pip hat ihre Familie verlassen, Bruder Mark war in seinem Männerkörper schon lange unglücklich und hat eine Hormonbehandlung begonnen, Bruder Ben konnte seinen ostentativen Wohlstand nur durch Betrug finanzieren. So sammelt sie am Schluss traurig die "Dinge, die sie sicher weiß" und übersieht wie alle anderen, dass die immer für selbstverständlich erachtete starke Mutter Fran ein Opfer ihrer Selbstüberforderung werden muss.
Ständige Transformation
Regisseurin Adelheid Müther hat im nüchternen Bühnenbild von Kathrin Kegler mit dem zentralen Tisch, an dem sich die Familie schon immer versammelt hat, ohne große Effekte oder übertriebene Emotionen, aber mit genauer Personenregie deren Schwächen und Ausweglosigkeiten gezeigt und es dadurch dem Publikum ermöglicht, diese dysfunktionale Familie dennoch ebenso zu mögen wie ihre Schwächen kritisch zu betrachten.
Sie alle durchlaufen vor den Augen der Zuschauer eine ständige Transformation und verleihen so der Handlung, die ja kaum Spektakuläres zeigt, eine enorme innere Spannung. So erscheint Christoph Tomanek als Familienvater Tom zunächst als der rundliche, nette Gartenfreund, entpuppt sich aber am Ende als starke Persönlichkeit, die von der Peripherie der Bühne den Mittelpunkt einnehmen kann.
Der war ja eigentlich durch seine Frau Fran besetzt. Maria Hartmann behauptete in jeder Szene ihre Dominanz, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie jedes Problem lösen kann, sodass der tragische Schluss, den Bovell seinem Publikum zumutet, durchaus überraschend und auch für die Zuschauer als Schock kam. Ihre Tochter Pip spielte Nina Petri mit einer wohldosierten Mischung aus großer Verletzlichkeit und vordergründig starkem Willen, der die Verzweiflung nicht wirklich kaschieren kann, und machte von Anfang an klar, dass ihr Ausbruchsversuch aus dem Familienverband ein Irrweg ist.
Die beiden Söhne der Familie stehen zunächst völlig im Schatten ihrer Mutter . Ben, der Jüngere, als ständig Getriebener von Maximilian von Mühlen gegeben, schafft es nur mit Betrug, sich eine Position zu erringen, die den Aufstiegsforderungen seiner Eltern entspricht. Rune Jürgensen spielte sehr eindrücklich den sensiblen, aber zu Sicherheit und Durchsetzungsvermögen gegen die Mutter gelangten älteren Sohn Mark, der aus dem Familienverband wirklich ausscheidet, um sein Leben als Frau weiterzuleben. Vater Ben begegnet ihm dabei mit Verständnis, Mutter Fran kann diesen Schritt nicht tun und verabschiedet ihn mit Härte in sein neues Leben.
Vielschichtige Personen
Es wundert am Schluss nicht, dass Nesthäkchen Rosie, sehr plausibel in der Rolle der Beobachterin von Roxana Safrabadi dargestellt, sich angesichts all dieser Wandlungen fragt, was denn die Dinge sind, "die sie sicher weiß". Ebenso wie ihr Bruder Mark fühlt sie sich nicht in der Lage, die Hoffnungen der Mutter auf einen lukrativen Job für die junge Tochter zu erfüllen und stößt bei dieser auf Unverständnis.
Regisseurin Müther gelang es, aus diesen scheinbaren Alltagsfiguren vielschichtige Personen zu machen und die Lebenslüge der Mutter von ihrer Dominanz sukzessive zu entlarven. Das war spannend, voller Überraschungen und kurzweilig anzuschauen. Das Publikum des Theaterrings dankte der Truppe dafür mit heftigem, langem Beifall.