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Bad Kissingen
Gutberlet: „Liebe ist der Wille zu verbinden“
Wolfgang Gutberlet steht für die Bio-Lebensmittelkette Tegut. Der 78-Jährige lebt die Idee eines nachhaltigen Umgangs mit der Natur.
Wolfgang Gutberlet lebt auf einem Demeterhof in Dipperz. Er hält einen Vortrag in Bad Kissingen über die Liebe zum Leben.       -  Wolfgang Gutberlet lebt auf einem Demeterhof in Dipperz. Er hält einen Vortrag in Bad Kissingen über die Liebe zum Leben.
Foto: Julia Raab | Wolfgang Gutberlet lebt auf einem Demeterhof in Dipperz. Er hält einen Vortrag in Bad Kissingen über die Liebe zum Leben.
Julia Raab
 |  aktualisiert: 27.06.2024 12:35 Uhr

Wolfgang Gutberlet übernahm mit 29 Jahren die Geschäftsleitung der Lebensmittelkette tegut… von Vater und Gründer Theo Gutberlet. Seine Überzeugung einer nachhaltigen und biologischen Landwirtschaft brachte er in den 1980er Jahren in das Unternehmen ein und führte es erfolgreich und mit vielen Auszeichnungen versehen bis zu seinem 65. Lebensjahr. Auch danach setzte Gutberlet seine Idee in verschiedenen Projekten um. Heute betreibt der 78-Jährige ein Bio-Hotel mit demeter Landwirtschaft in der Rhön.

Für den Heiligenfeld Kongress beschäftigt sich Wolfgang Gutberlet in einem Vortrag mit der Liebe zum Leben. Im Interview mit dieser Zeitung verrät der Unternehmer, was die Natur für die Menschen eine Rolle spielt und wie wichtig Diversität – auch in der Gesellschaft – ist.

Herr Gutberlet, für Ihren Vortrag haben Sie sich die Goethes Betrachtung über die Liebe zum Leben näher angeschaut. Warum gerade das?

Gutberlet: Zu dem Titel des Heiligenfeld Kongress fiel mir ein Satz von Goethe aus dem „West-östlichen Divan“ in einem Briefwechsel zwischen Hatem und Suleika ein. Suleika antwortet auf Hatems Brief: „Denn das Leben ist die Liebe und des Lebens Leben Geist“. Darüber habe ich viel nachgedacht.

Goethe baut das in seinen Werken so auf: Leben, Liebe , Geist - das ist immer eine Steigerung. Und das Lieben zwischen dem physischen Leben und dem Geist ist das Verbinden beider. Und deshalb muss man lieben wollen. Liebe hat nichts zu tun mit Antipathie und Sympathie. Aber Antipathie und Sympathie haben viel mehr damit zu tun, dass ich in dem Gegenüber etwas finde von mir. Oder finde, dass das andere fremd ist. Und das Fremde ist immer auch das Gefährliche für die Menschen.

Was hat das mit Liebe zu tun?

Liebe ist etwas anderes, das ist nämlich der Wille zu verbinden. Und wenn Liebe eben das Leben mit dem Geistlichen verbinden kann, dann entsteht etwas Neues. Dann entsteht Fruchtbarkeit, nicht nur im Sinne des Zeugens. Das muss nichts Lebendiges sein, das kann auch etwas Geistiges sein. Und das möchte ich den Menschen in meinem Vortrag rüberbringen.

Wenn ich verbinde, also wenn ich liebe, kann das auf der rein körperlichen Ebene sein, auf der seelischen Ebene sein oder auf der geistigen Ebene sein. Wenn es auf der geistigen Ebene ist, dann wird es freilassend. Und wenn das Leben bis zum Geistigen erhoben wird, dann ist das eine große Freilassung und dann bekommt es etwas mehr Bedingungslosigkeit.

Goethe hat sich sehr stark mit der Natur verbunden gefühlt. Auch für Sie ist die Natur ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, oder?

Goethe hat sehr bewusst gelebt: „Willst dich im Unendlichen finden, musst erst teilen, dann verbinden“. Das heißt die Entwicklung geht immer erst von der Einheit über die Diversität, die wir brauchen, zur Liebe - also Wahrnehmung und Achtung des Unterschiedes - und zur Einheit. Das ist der Entwicklungsgedanke, den Goethe in seiner Metamorphose immer wieder beschreibt. Wir beschweren uns ja über die zurückgehende Diversität bei den Pflanzen.

Aber bei den Menschen? Da brauchen wir sie genauso wie bei den Pflanzen und Tieren. Das Problem ist, dass wir nicht mehr denjenigen achten, der uns nicht sympathisch ist. Und wir müssen ihn achten, weil er anders ist. Ein Lehrer und Meister sagte mal zu mir: „Es kommt darauf an, dass wir Interesse haben am Anderen des Anderen.“ Also nicht am Anderen, sondern an dem, was uns unterscheidet. Denn wenn ich am anderen nur Interesse habe unter dem Gesichtspunkt, was ist bei dem so wie bei mir, dann verwechsle ich das Diversitätsgesetz.

Ich möchte noch einmal auf die Rolle der Natur zurückkommen. Was bedeutet Natur für Sie?

Natur ist uns gegeben. Meine Aufgabe ist es, sie zu lieben, das heißt, mich mit ihr zu verbinden. Denn lieben heißt verbinden, wie wir ja geklärt haben. Und wenn ich mich damit verbinde, dann kann ich sagen, wenn ich mit den Menschen verbinde und mit dem Essen verbinde - das waren zwei Themen, die ich in meinem Leben aufgenommen habe - dann muss ich mich konsequenterweise fragen, was liebe ich daran? Ich möchte gerne, dass die Menschen eine Ernährung bekommen, die viel von den Naturkräften enthält. Und da haben wir als Menschen noch nicht das richtige Bild.

Wir schauen das alles nur materialistisch an und das nimmt sogar zu. Goethe hat gesagt: „Ich will nicht wissen, was die Substanz ist, ich will wissen, was das Wesen ist.“ Und ich habe mich damit beschäftigt, was das Wesentliche an den Lebensmitteln ist. Nicht was das Stoffliche ist. Und dann kommt man zur Frage, was die innere Qualität ist, nicht das Aussehen. Und dann kommt man zu Bio. So bin ich zu der Ausprägung des Lebensmittelladens gekommen.

Also geht es nicht um das Materielle des Lebensmittels, sondern um das Wesentliche?

Ja, es geht darum, wie es auf den Menschen wirkt. Was machen wir denn, wenn wir essen? Wir zerstören eine Ganzheit, die in sich harmonisch ist. Nehmen wir einen Apfel und zerkauen ihn. Im Magen verliert er alles. Er wird zerstört bis in die kleinsten Peptide , Aminosäuren, Fettsäuren und Einfachzucker und er muss seine Einheit verlieren. Wenn er das nicht machen würde, dann könnte ich mich nicht aus seinen Bausteinen erneuern. Ihre Substanzen werden so entfremdet, dass sie unserem Eigen dienen. Dabei treiben wir den Geist aus der Materie aus. Das Wesen des Apfels essen wir also. Das Wesen aber vergeht nicht.

Seit der Entwicklung Ihrer Idee in der Lebensmittelkette tegut… ist viel Zeit vergangen. Wie passt diese Idee in unsere Zeit und wie wird damit umgegangen?

Die Idee wird noch gar nicht richtig verstanden. Wir glauben ja, wir können die Lebensmittel ersetzen durch Vitaminpräparate. Aber unter dem, was ich eben gesagt habe, wo ist dabei die Ganzheit? Das ist eine Einstofflichkeit und Lebensmittel sind immer Vielstoffgemische. Und wenn ich beispielsweise das Kupfer aus dem Apfel herausnehme, dann ist das gefährlich. In der Medizin werden heute häufig Einstoffgemische gegeben. Und warum? Weil ich die Kausalität nachweisen muss. Ich muss nicht nur die Wirkung beweisen, sondern auch beweisen, warum was auf meine Gesundheit gewirkt hat. Und bei Vielstoffgemischen mit 150 Stoffen ist das nicht zu beweisen. Das Warum ist aber eigentlich nicht wichtig. Das sind Erfahrungen, die wir haben. Und für mich ist die Frage, was kann ich für einen Beitrag leisten, damit die Menschen sehen, was Qualität ist.

Wohin steuert die heutige Gesellschaft?

In Bezug auf Bio machen die Menschen es so, wie sie es meistens machen: Sie suchen darin einen materialistischen Trick, wie sie das bekommen können, was sie gerne hätten. Sie sagen, dann esse ich jetzt Bio und was dahintersteckt, weiß ich nicht. Hauptsache Bio, egal wie, das kann auch sehr einseitig und uninteressiert sein. Und da müssen wir lernen und wieder hinschauen und wahrnehmen. Und dann reden wir über Achtsamkeit, und achten doch so wenig.

Am Anfang steht die Erwartung, wir erwarten etwas Lebendiges. Aus was heraus kommt das Kind? Welche Umgebung ist es? Ein Retortenbaby wird nicht das Gleiche. Die ganze Stimmung der Mutter, das alles nimmt das Baby auf. Und das gilt für die Pflanzen genauso.

Was würden Sie sich wünschen, wie es mit der Menschheit weitergeht?

Auf das Ergebnis betrachtet würde ich mir wünschen, dass wir zunehmend verstehen, dass wir aus dem Geistigen kommen und ins Geistige zurückgehen und das seelische und physische Leben wichtige Schritte des Lernens sind. Es ist alles eine Frage des Lernens. Und deshalb ist Entwicklung das wichtigste Ziel, das wir haben können. Lernen. Denken. Das ist mir ein Anliegen. Für den Weg ist es wichtig, die Diversität zu akzeptieren. Diese Diversität wird nicht mehr geschätzt und das ist ein großer Fehler, der uns in große Auseinandersetzungen führen wird.

Das Interview führte Julia Raab

Information

Der Vortrag von Wolfgang Gutberlet findet am Sonntag, 14. Mai, um 9 Uhr in der Heiligenfeld Akademie statt. Im Internet unter: kongress-heiligenfeld.de

 

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