Einmischen in unsere ganz gegenwärtige Realität wollte sich Daniel Kehlmann, bekannt geworden als Verfasser historischer Romane, ganz offenkundig in seinem jüngsten Drama "Heilig Abend", das im Februar 2017 in Wien und am 26.1. 2018 in München Premiere hatte. Darin geht es ihm um zwei in der Tat Besorgnis erregende gesellschaftliche Probleme: Unsere permanente Angst vor terroristischer Bedrohung und unsere zunehmende Sorge um den Verlust unserer Privatsphäre durch ein immer engmaschiger werdendes Überwachungsnetz des Staates.
Letzteres war schon einige Male erfolgreich bei der Prävention von Gewalttaten, geriet allerdings auch häufig in die Kritik, weil große Terrorakte nicht verhindert wurden, obwohl doch die nötigen Hinweise auf sie vorlagen. Da hilft nur ein noch sensiblerer Überwachungsapparat, der auch die intimsten Nischen etwa mittels Mobiltelefon-Überwachung ausleuchtet.
Die angesehene Philosophie-Professorin Judith und ihr Ex-Ehemann und Mitkämpfer wandeln auf den Spuren des bei den 68ern mit Kultstatus gefeierten Frantz Fanon, der 1961 schon in "Die Verdammten dieser Erde" zum Widerstand gegen die politische und wirtschaftliche Unterdrückung der Kolonialvölker durch den Westen aufrief. Über Fanons Thesen hat sich die Professorin habilitiert, auf ihrem Laptop haben die Cyber-Spitzel des Staatsschutzes einen Aufruf zu einem Anschlag um Mitternacht am Heiligabend entdeckt, sie auf dem Weg zur Weihnachtsfeier bei ihren Eltern festgesetzt und in einen Vernehmungsraum gebracht. In dem erwartet sie schon ungeduldig der diensthabende Beamte Thomas und versucht mit allen Mitteln, sie dazu zu bringen, den Ort des geplanten Anschlags preiszugeben, damit die Bombe, von der auf ihrem Laptop die Rede war, rechtzeitig entschärft werden kann.
Das Drama mit dem Untertitel "Ein Stück für zwei Schauspieler und eine Uhr" besteht aus Thomas' 90-minütigem Verhör, das in Echtzeit auf der Bühne abläuft und entweder mit einem großen Bombenanschlag endet oder mit dem Frust des Ermittlungsbeamten, weil der Aufruf auf dem Laptop wirklich nur ein fiktives Szenario für Judiths Studenten war, wie sie beteuert.
Dorien Thomsens weitgehend leere Bühne mit glatten Türen und seitlichen Durchlässen, manchmal blinkenden Lampen, Stühlen und Waschbecken, vermittelte sehr passend den Eindruck des unverbindlichen, abweisenden Verhörraumes.
Kehlmann wollte das Verhör als "Duell" darstellen, wollte die Standpunkte beider Sprecher gegeneinanderstellen und dabei keine Lösung vorgeben. Regisseur Jakob Fedler brachte dieses Gleichgewicht etwas ins Wanken durch den Gegensatz zwischen der über weite Strecken beherrschten Professorin und den durch Ticks und psychopathische Beeinträchtigungen wie Auszieh- oder Berührungszwang doch etwas lädierten Ermittler.
Mit seiner Persönlichkeit kann er die coole Professorin so nicht in Schach halten, seine Gefährlichkeit übermittelt sich hauptsächlich durch die Schilderung ihrer Totalüberwachung, die Judith streckenweise einzuschüchtern vermag, und ihre Angst, ihm im verschlossenen Raum auch bei sexuellen Übergriffen ausgeliefert zu sein. Das machte es den beiden Darstellern schwer, auf wirklicher Augenhöhe zu diskutieren.
Wanja Mues als Thomas hatte gleichzeitig den durch seine Zwänge und Ticks, sein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber Judith ausgebremsten kleinen Beamten zu spielen, der nur mit seinem Informationsvorsprung und dem ihn umgebenden Machtapparat auftrumpfen kann, aber etwa bei einem Annäherungsversuch kalt abblitzt. Das wertet ihn als Judiths Widerpart ab, auch wenn er ihr zeigt, dass er intellektuell mithalten kann mit ihrer Arbeit und sie mit Recht auf den Unsinn hinweist, in unserer Zeit als Jünger Fanons aufzutreten. Mit der Gestalt der Judith, die sich theoretisch und auf einem gut dotierten Lehrstuhl mit der auch heute durchaus berechtigten Kritik an den katastrophalen Auswirkungen der Kolonisierung der Dritten Welt beschäftigt, versucht Kehlmann, das aktuelle Thema Terror ohne Darstellung aktuell glaubwürdiger Täter darzustellen, was ihn selbst für Kritiker unangreifbar, aber die beschworene Gefahr im Stück auch wenig greifbar macht.
Für Jacqueline Macaulay war die Rolle einer von der linken Gelehrten zur Bombenlegerin mutierten Terroristin allerdings eine Herausforderung, es gelang ihr durchaus, eine konsistente Person, auch in der unbedingten Loyalität zu ihrem Ex-Mann, darzustellen.
Trotz einiger Fallstricke von Autor und Regisseur schafften es die beiden Darsteller aber, ihr Publikum zu faszinieren und die Spannung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Die begeisterten Zuschauer applaudierten zum Schluss denn auch heftig und lange und holten die beiden Darsteller immer wieder auf die Bühne.