Schauspieler Harald Krassnitzer , der seit 1999 als Kommissar Moritz Eisner regelmäßig im „Tatort“ ermittelt, kommt zum Kissinger Sommer : Am Sonntag. 9. Juli, gastiert er mit Benjamin Appl (Bariton) und James Baillieu (Klavier) im Bad Brückenauer Kursaal.
Im Wechsel zu Franz Schuberts „ Winterreise “ liest Krassnitzer dabei aus Tagebüchern und Schriften von Teilnehmern der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition in den Jahren 1872 bis 1874. Es gibt noch Karten im Vorverkauf.
Wir haben mit ihm über die ungewöhnliche Kombination, die Parallelen zwischen Vormärz und Gegenwart sowie die Zukunft mit seiner Tatort-Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) gesprochen.
Zunächst die wichtigste Frage für alle Tatort-Fans: Wie lange wird es denn das Ermittlerduo Fellner/Eisner, also Neuhauser/Krassnitzer noch geben?
Wir planen gerade auf jeden Fall schon mal das nächste Jahr und haben fürs übernächste Jahr auch schon Pläne. Bis jetzt haben wir keine Amtsmüdigkeit und nicht das Gefühl, dass wir an einer Grenze angelangt sind, wo wir sagen: Das bringt’s nicht mehr. Nachdem es uns, der Redaktion und dem Sender großen Spaß macht, machen wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre weiter, wenn’s geht.
Das Motto des Kissinger Sommers 2023 lautet „La dolce Vita“, mit Schuberts Winterreise und den Berichten der Nordpolexpedition durchkreuzen Sie das süße Leben ja ganz gehörig: Wie kam es zu dem Thema?
Fälschlicherweise denkt man immer, die Winterreise und unsere Kombination hätten nur mit Kälte zu tun. Unser Programm bezieht sich aber eher auf einen anderen Aspekt der Winterreise : Erstens hat Schubert das ja über einen ganzen Sommer geschrieben.
Zweitens hat Schubert die Gedichte vertont, weil sie nicht nur mit dem Tod, dem Dahinscheiden oder der Endlichkeit behaftet sind, sondern weil die Sprache auch ein Synonym für ein zu Ende gehendes Zeitalter ist. Das sind aus meiner Sicht durchaus auch Revolutionslieder.
Also Lieder , die davon berichten, dass eine neue Zeit anbricht. Gerade in dieser Zeit nach dem Wiener Kongress und vor den 1848er Jahren war alles im Umbruch, das hatte einen neuen Spirit und neuen Geist.
Und wie passen die Berichte von der österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition in dieses Bild?
Da verhält es sich ähnlich: Die sind im Sommer aufgebrochen und sind das Synonym für einen anderen Ausbruch, der in diesem Jahrhundert auch stattgefunden hat, nämlich der Aufbruch in die Industrialisierung, also auch zu all den Themen, die wir heute ernsthaft hinterfragen und mal schauen müssen, wie wir denn mit den Problemen, die daraus entstanden sind, umgehen und eine neue Orientierung finden.
Wie verlief die Expedition denn?
Sie birgt in sich fast eine tragisch-komische Komponente. Die haben damals eine ganz dicke Hose gemacht, haben extra mit unglaublichem Aufwand ein Schiff gebaut. Dann sind sie nach Norwegen rauf, als sie an die Eisgrenze kamen, haben sie noch Kaisers Geburtstag gefeiert und sind mit stolzer Brust aufgebrochen.
Am nächsten Tag gerieten sie in ein Eisfeld, von dem sie sich nicht mehr befreien konnten. Sie sind dann zwei Jahre lang immer weiter nach Norden gedriftet. Das Schiff wurde nicht zerdrückt, wie es bei anderen oft der Fall war. Aber nach zwei Jahren haben sie dann beschlossen, dass sie übers Eis wieder zurück müssen.
Das war eine unheimliche Tortur, aber die Meisterleistung war, dass der Kapitän und der wissenschaftliche Offizier bis auf einen, der schon zuvor Lungenprobleme hatte und an Tuberkulose starb, alle Mann wohlbehalten zurück gebracht haben.
Und was hat die Mannschaft in den zwei Jahren entdeckt?
Sie haben zwischendurch beim Vorbeitreiben mit dieser Eisscholle Inseln entdeckt, die im Grunde genommen nur schnee- und eisbedeckte Karstlandschaften sind. Voller Euphorie wurde das Kaiser-Franz-Josef-Land benannt. Das mag wissenschaftlich später durchaus interessant sein, aber die Ironie des Schicksals ist, dass auf diesen Inseln heute Russland eine Militärbasis hat und von dort aus seine Ansprüche aus fossile Brennstoffe in der Arktis anmeldet. Also schließt sich auch wieder ein Kreis, der den Aufbruch zeigt, als alle Welt unterwegs war und neue Ressourcen und neue Handelswege gesucht hat. Koste es, was es wolle.
Das bedeutet für das Programm?
Wenn man diese beiden Aufbrüche übereinander legt, stellt man fest, dass die sehr viel miteinander zu tun haben. Dadurch ergibt sich ein unheimlich dichtes Programm: Zum einen hört man Schubert neu, weil die Winterreise ja sonst immer im Zyklus durchgespielt wird, was wunderschön ist.
Aber durch diese leichten Unterbrechungen der Tagebucheinträge schafft man einen anderen Rhythmus und kriegt für viele Lieder auch noch einmal einen anderen Fokus. Dadurch verdichten sich diese beiden Geschichten. Das ist das, was uns an diesem Programm am meisten gefällt.
Ist für den Österreicher eine melancholische Beziehung zum Landsmann Schubert Pflicht, oder sind das Klischees?
Wenn man die Wiener Seele kennt, dann ist die natürlich etwas düster, aber sie hat auch einen untergründigen, verkappten Humor. Das steckt da alles mit drin. Wir versuchen, diese melancholische Beziehung aufzuheben, weil Schubert gar nicht so war: Das war ein junger Mann aus der Vorstadt, der über das Leben Bescheid wusste, der gemeinsam mit Freunden so eine Art Club gründete, wo sie die absurdesten Dinge unternahmen und äußerst lebensfroh und geradezu orgiastisch unterwegs waren. Die konnten schon auch richtig gut leben.
Wir verkennen Schubert heute also?
Die haben natürlich unter der Metternichschen Polizeistaatssituation gelitten, in der vieles nicht frei sagbar war. Dadurch greift er zu anderen Ausdrucksformen: Das Biedermeier hat eine eigene Sprache gefunden, um sich in der politischen Diskussion auszudrücken. Auch Künstler hatten eine eigene Sprache.
In dem Club gab es ja auch Hausdurchsuchungen, weil das als systemkritisch wahrgenommen wurde. Wir reduzieren Schubert halt auf seine Sonaten und durchaus traurig klingenden Lieder, aber das ist nur ein Echo aus diesem Jahrhundert. Die haben das Leben trotzdem genossen und Spaß gehabt. Wir wollen dieses Vorurteil eines mit Depressionen behafteten Künstlers aufbrechen.
Ulrich Noethen las bereits beim Kissinger Sommer aus Briefen Gioachino Rossinis, der in Bad Kissingen 1856 seinen Tripper auskurierte. Schubert starb mit 31 Jahren an Syphilis. Welche Rolle spielte das Leiden in Schuberts Leben und lässt sich das Schrecken solcher Krankheiten heute überhaupt noch erfassen?
Die Schrecken dieser Krankheiten haben viel damit zu tun, dass sie als Geschlechtskrankheiten definiert sind. Wir haben, Gott sei Dank, Mittel gefunden, um all diese Formen von Infektionen und Krankheiten zu heilen. Die Menschen damals sind aber trotzdem nicht nur in Sack und Asche gegangen und in Traurigkeit verfallen. Was wir heute als ergreifend empfinden, ist damals normal gewesen.
Man musste mit Krankheiten umgehen, weil es oft keine Medizin gab. Wenn es einen zum Beispiel mit den Pocken erwischt hat, dann war das eben mit ziemlicher Sicherheit tödlich. Diese Genese einer Zeit können wir bei vielen Musikern, ob bei Mozart, bei Beethoven oder bei Schubert, wie sie sagten, bei Rossini durchziehen: Überall finden wir diese Spuren des Nicht-Heilbaren, weil Noch-Nicht-Zur-Verfügung-Stehenden. Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal dieser Musiker, sondern das war einfach die Zeit.
Aber das bleibt ja nicht ohne Wirkung…
Deshalb würde ich den Fokus eher darauf legen, was sie erzählt haben, wie aktiv sie waren, wie hell und wie wach, wie lebendig sie waren. Dass es sie auch erwischt hat oder sie mitunter auch Teil eines normalen Ablaufs in der Gesellschaft waren, verwundert nicht so sehr. Berührender und spannender ist, dass sie verzweifelt versucht haben, einen Aufbruch zu leben. Die haben nach einer neuen Horizontlinie gesucht.
Da schließt sich der Kreis wieder in unsere Zeit: Was sich an Verzweiflung, an Überdrüssigkeit, an Müdigkeit, an Unruhe oder eben auch an Unsicherheit damals ergeben hat, das hat durchaus viel mit unserer Zeit zu tun. Wir stecken in einer Art Interregnum: Wir haben das Alte noch nicht abgeschlossen und können das Neue noch nicht benennen.
Gleichzeitig steigen in uns viele Ängste auf, weil wir für all das, was auf uns zukommt, wenige Techniken haben. Und wenn, dann benützen wir Werkzeuge aus dem 20.Jahrhundert, mit denen wir bisherige Krisen bewältigt haben. Ich glaube aber, dass wir neue Formen brauchen. Das bedarf aber einer gewissen Zeit und neuer Räume. Insofern können wir aus Geschichte lernen, dass Prozesse Zeit und Geduld brauchen. Und eine der größten Aufgaben wird dabei sein, den Menschen die Verunsicherung zu nehmen.
Das ist ja im eigentlichen Sinn eine politische Aufgabe, oder?
Wenn Sie Gesellschaft oder das, was wir als Gesellschaft empfinden, und wie wir zusammenleben, so definieren, ist es natürlich die Polis, also das Politische, was uns gerade beschäftigt. Wir merken ja in allen Bereichen, dass wir Veränderung brauchen und vieles neu machen müssen.
Wir haben Angst, dass wir auf etwas verzichten müssen, dass wir etwas verlieren, dass wir etwas nicht mehr haben werden, was uns gut und wert war und wofür wir lange gearbeitet haben und viele Menschen viel Energie aufgewandt haben. Wir reden aber viel zu wenig darüber, was wir auch gewinnen können und ob das wirklich ein Verlust ist, den wir hier erleiden, oder ob daraus nicht eine neue Kulturtechnik entsteht, die vielleicht interessanter, toller, aufregender, schöner, freier und offener ist.
Das hört sich sehr optimistisch an, aber sind wir schon so weit?
Alles liegt gerade auf dem Tisch, und wir sehen ja, wie wir damit umgehen. Selbst Menschen, die in der Lage sind, einen Überblick zu haben und sich genauer zu informieren, geraten in Unsicherheit, weil zusätzlich zu alledem, was eh schon an Problemen da ist, so irrationale Dinge wie der Ukrainekrieg oder eben Gaskrise und Rohstoffverknappung dazukommen und alles verstärken. Die Welt dreht sich gerade in einem anderen Rhythmus, und wir erfahren gerade, dass wir etwas neu gestalten müssen, neue Beziehungen und neue Allianzen eingehen müssen.
Nochmal zurück zur Rolle als Tatort-Kommissar und einem Programm wie dem beim Kissinger Sommer: Schlüpfen Sie da in eine neue Rolle oder freuen Sie sich über die Popularität, weil Sie damit ein neues Publikum erschließen?
Ich habe eigentlich noch nie etwas abgelegt, das wäre ja eine Verleugnung der Biografie. Mich freut’s, dass ich eingeladen werde und dort eine andere Farbe zeigen kann. Es ist mein Beruf, verschiedene Genres zu bedienen. Ich kann das selbst schlecht einordnen, aber ich freue mich, wenn Leute sagen: Den kenn ich aus dem Fernsehen, deshalb schaue ich mir an, was der da erzählt. Wenn es gelingt, eingefleischte Tatort-Gucker oder Leute, die die meiste Zeit vor dem Fernseher verbringen, so auch mal in ein Klassik-Konzert zu bringen, ist das gut und schön.
Sie sind viel unterwegs, was verbinden Sie mit Franken?
An Franken kenne ich vor allem die Lebkuchen und den Wein gut (lacht). Wenn man das als zwei der vielen Säulen nimmt, die es im Fränkischen ja gibt, dann mache ich mir keine Sorgen, dass sich die Verständigung und die Lebendigkeit gegenseitig befruchtet.
Mir macht es Spaß, immer wieder in verschiedene Regionen zu kommen und zu erleben, wie Menschen immer wieder unterschiedlich reagieren. Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine wohltuende, schöne Vielfalt von Kulturen. Das empfinde ich als sehr bereichernd.
In Deutschland wohnen Sie in Wuppertal, einer Stadt, die auch fast 100 Jahren nach der Vereinigung von Elberfeld und Barmen zwiegespalten scheint: Bezeichnen Sie sich als Elberfelder, Barmener, Wuppertaler oder nichts von alledem?
Als Zugezogener bin ich eigentlich keinem Stadtteil zuzuordnen. Ich bin eher auf neutralem Boden und würde sagen: Ich lebe in Wuppertal.
Das Gespräch führte Ralf Ruppert.