
Jahr für Jahr pilgern Neonazis aus ganz Europa am 11. Februar zum "Tag der Ehre" nach Budapest, nicht wenige in SS-Uniformen. Dagegen gibt es regelmäßig Demonstrationen von Antifaschisten mit Teilnehmern auch aus Deutschland. Darunter auch Frauen wie Hanna S. aus dem Landkreis Bad Kissingen. Im Februar 2023 kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen in der Hauptstadt Ungarns. Im Mai 2024 wurde Hanna S. deshalb verhaftet, sie soll sich daran beteiligt haben. Die Anklage erhob der Generalbundesanwalt, er wirft ihr unter anderem versuchten Mord vor. Jetzt wurde die Anklage zugelassen. Hanna S. muss sich ab Februar 2025 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in München verantworten.
Hanna S. ist Studentin in Nürnberg
Hanna S., 29 Jahre alt, ist im Landkreis Bad Kissingen aufgewachsen, lebt heute in Nürnberg. Sie wurde dort im Mai 2024 festgenommen, Auftraggeber war der Generalbundesanwalt. Er wirft ihr außer dem versuchten Mord gefährliche Körperverletzung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor.
In der Anklageschrift hat der Generalbundesanwalt festgehalten: Spätestens Anfang Februar 2023 habe sich Hanna S. einer Vereinigung angeschlossen, die einer "militanten linksextremistischen Ideologie" anhänge. Die Vereinigung habe sich zum Ziel gesetzt, "mit Gewalt gegen Angehörige des politisch rechten Spektrums vorzugehen".
Mitglieder der Gruppe hätten im Februar 2023 in der ungarischen Hauptstadt Budapest mindestens fünf Menschen aus dem rechten Spektrum angegriffen – am "Tag der Ehre", an dem Budapest voller Neonazis ist.
Generalbundesanwalt: "Blitzartiger Angriff"
Der Generalbundesanwalt ist der Überzeugung, dass Hanna S. sich zusammen mit anderen an zwei Überfällen auf insgesamt drei Menschen beteiligt hat. "In beiden Fällen verfolgte die Gruppierung die Opfer zunächst für eine kurze Zeit unauffällig, um sodann mit Schlagwerkzeugen blitzartig einen (…) Angriff von etwa 30 Sekunden auszuführen", heißt es in einer Pressemitteilung.
Opfer habe erhebliche Kopfwunden erlitten
Mitglieder der linksextremen Gruppe hätten dann mit Schlagstöcken und anderen Gegenständen wiederholt "mit großer Wucht" auf Kopf und Oberkörper eines Opfers geschlagen. Hanna S. soll mit anderen zusammen Beine und Arme des am Boden liegenden Menschen fixiert haben, um ihn daran zu hindern, eine Schutzhaltung einzunehmen. "Das Opfer erlitt dadurch erhebliche Kopfwunden, die zum Tode hätten führen können", so der Generalbundesanwalt.
Andere Angeklagte wurde nach Ungarn ausgeliefert
Eine weitere Angeklagte aus der linken Szene – Maja T. – landete wegen der Vorfälle in Ungarn ebenfalls im Gefängnis, sie saß in der JVA Dresden. Bis zum 28. Juni 2024. Da entschied das Kammergericht Berlin, dass T. nach Ungarn ausgeliefert wird, die Justiz in Budapest hatte die Auslieferung beantragt.
Gericht und Anwälte überrumpelt
Maja T. wurde abgeschoben, bevor das Bundesverfassungsgericht dagegen Einspruch erheben konnte. Die einstweilige Verfügung erreichte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin erst, nachdem Maja T. bereits auf dem Weg in ein ungarisches Gefängnis war. Auch Maja T.s Anwälte wurden überrumpelt.
Für Hanna S. und ihre Eltern, die im Landkreis Bad Kissingen wohnen, begann eine sehr bange Zeit. Nicht nur, dass die Tochter in U-Haft sitzt, muss die Eltern in größte Sorge versetzt haben. Dazu kam die Angst, dass auch Hanna S. abgeschoben werden könnte.
"Bettwanzen und Kakerlaken" im ungarischen Gefängnis
Maja T. berichtet unter tagesschau.de über die Haftbedingungen in ihrem Budapester Gefängnis: "Es gibt in meinen Augen eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken." Eine Videokamera in ihrer Zelle sei ununterbrochen angeschaltet, dazu kämen Kontrollen, die sie als Schikane empfinde: "Ich musste mich eigentlich jeden Tag komplett vor Beamten entkleiden, also Intimdurchsuchung. Obwohl ich nur physischen Kontakt zu Beamten habe."
Anwalt: Abschiebung noch nicht vom Tisch
Sollte Hanna S. auch die Auslieferung drohen? Dieses Damoklesschwert hänge noch immer über ihr, sagt ihr Anwalt Yunus Ziyal aus Nürnberg. Zwar hat das Oberlandesgericht München nun die Anklage zugelassen, die Hauptverhandlung beginnt am 19. Februar 2025. Aber: "Rein rechtlich, rein juristisch ist die Abschiebung noch nicht vom Tisch", sagt Ziyal. "Ein Auslieferungsersuch kann von einem Staat jederzeit gestellt werden."
Derzeit allerdings gibt es keinen solchen Antrag aus Ungarn. Und es gibt Unterschiede in den Fällen Hanna S. und Maja T.: T. war kurz vor ihrer Verhaftung untergetaucht, Hanna S. hingegen war Tage vor der Verhaftung noch zu einem Termin bei der Polizei erschienen. Und: Für Maja T. gab es einen EU-weiten Haftbefehl, für Hanna S. nicht.
Anwalt kommentiert die Vorwürfe nicht
Zu den konkreten Vorwürfen in der Anklage äußert sich Rechtsanwalt Yunus Ziyal nicht. Er kommentiert, was auf Videos vom 11. Februar 2023 in Budapest zu sehen ist: "Man sieht bei Europas größtem Neonazi-Aufmarsch eine wandelnde Anzahl von Kriminellen, die teilweise in SS-Uniformen herumlaufen, Kriegsverbrechen verherrlichen und regelmäßig an diesem Tag gewalttätig werden. Dagegen gibt es antifaschistischen Protest und körperliche Auseinandersetzungen." Die konkreten, vorgeworfenen Taten werde er vor der Hauptverhandlung nicht kommentieren.
Hanna S. setzt die Haft gesundheitlich zu
Aber er kann sagen, wie es Hanna S. geht: "Schlecht. Die Haft setzt ihr gesundheitlich zu, die gesundheitliche Betreuung ist nicht die beste. Sie leidet in und unter der Haft."
Am 19. Februar also soll die Verhandlung beginnen. Die Anklage: versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Aber: Das Oberlandesgericht München schreibt in einer Presseerklärung dazu einen Satz, der den Anwalt und wohl auch Hanna S. und ihre Eltern hoffen lässt: "Im Eröffnungsbeschluss hat das Gericht zudem darauf hingewiesen, dass statt einer Verurteilung wegen versuchten Mordes auch eine Verurteilung (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht kommen könnte."
Rechtsanwalt: "Verfolgungseifer des Generalbundesanwalts"
Anwalt Yunus Ziyal: "Der Generalbundesanwalt bleibt bei seinem eskalativen Vorwurf vom versuchten Mord, davon rückt er nicht ab. Doch wenn das Gericht jetzt schon sagt, dass gegebenenfalls auch gefährliche Körperverletzung stattdessen in Betracht kommen könnte, zeigt das Gericht, dass es sich nicht vom Verfolgungseifer des Generalbundesanwalts jagen lässt."