Es regnet erstmals seit den Wetteraufzeichnungen auf Grönland, das Ahrtal ist verwüstet, in Tschechien toben Tornados, der Weltklimarat schlägt Alarm. Das ist nichts, was Hans-Josef Fell überrascht. Der Hammelburger (69) hat sein Leben dem Umweltschutz verschrieben, er ist Ur-Grüner und Initiator der Energy Watch Group. Er gilt als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und hat dafür 2018 den weltweit höchsten Umweltschutzpreis in Höhe von 2,2 Millionen Euro für die Kategorie "Nachhaltigkeit" erhalten. Hans-Josef Fell sagt: Bis 2030 muss die Welt so organisiert sein, dass keinerlei Emissionen wie CO2 oder Methan die Atmosphäre weiter verschmutzen.
Herr Fell, wie viel Zeit bleibt uns noch, um eine Klimakatastrophe zu verhindern?
Es ist die große Frage, ob wir überhaupt noch Zeit haben. Die Versäumnisse der letzten drei Jahrzehnte sind so dramatisch, dass wir fürchten müssen, dass es zu einem Kollaps kommt. Dass die Menschen nicht mehr in einer Zivilisation, so wie wir sie kennen, leben können. Aber ich habe die Hoffnung, dass wir die Erwärmung bei zwei Grad stoppen können. Was wir jetzt bei 1,2°C erleben, ist bereits dramatisch: Wälder brennen, es gibt Dürrekatastrophen, Hochwasser - und es wird noch schlimmer. Wir müssen alles tun, um bis 2030 eine emissionsfreie Welt zu organisieren.
Wissenschaftler sagen: Auch wenn wir die Zwei-Grad-Marke halten könnten, befinde sich noch so viel CO2 oder Methan in der Atmosphäre, dass auch bei Emissionsstopp 2030 der Meeresspiegel um bis zu vier Metern ansteigen werde .
Ja, diese Berechnungen haben Hand und Fuß. Dann sind nicht nur die Malediven weg, sondern alle Küstenstädte der Welt stehen vor riesigen Problemen. Das muss uns erschrecken. Deshalb wird allein der Stopp aller Klimagasemissionen bis 2030 zum Einhalten von plus zwei Grad nicht genügen: Wir brauchen parallel dazu eine Reinigung der Atmosphäre, um die Kohlenstoffe zu herauszufiltern. Das zusammen bietet uns noch eine Chance.
Wie soll das gelingen?
Pflanzen sind der beste CO2 Fänger. Wir müssen also die Erde begrünen und zwar kompromisslos, vom Wüstenrand bis hin zu unseren Dächern, statt Ziegeln muss da Gras wachsen, am besten unter Solarmodulen. Was auch noch den Effekt hat, dass unsere Städte kühler werden, wenn Hitzewellensommer zur Normalität werden. Schon heute haben wir Tausende Hitzetote. Daneben wirken diese Dächer und entsiegelte Flächen wie Schwämme, wenn Starkregenereignisse Städte zu überfluten drohen. Es muss auch in den Dörfern Schluss sein mit Schottergärten, die jedes Grün abtöten.
Das kann jeder einzelne für sich ändern. Was aber ist mit Klimakiller-Projekten wie Nordstream 2?
Das Methan, also Erdgas, ist hochklimaintensiv, es ist 80-mal schädlicher als CO2. Es lässt sich nicht verhindern, dass es bei Bohrungen oder Leckagen entweicht. Die Erdgasnutzung ist genauso wie Erdöl und Kohle zu beenden. Und es muss auch ein Ende haben, dass mit Steuergeldern Kohleenergie subventioniert wird. Dass die Erdgaspreise jetzt steigen, ist keine Schuld der Erneuerbaren Energien - das Gas wird knapper, die Infrastruktur, um das Gas in die Haushalte zu bringen, wird teurer, auch deshalb steigen die Energiepreise. Umstellung auf erneuerbare Energien ist der Kern des Klimaschutzes , und die Umstellung zu 100 Prozent ist günstiger als die Kosten für Gewinnung fossiler Energien. Was für eine verrückte Welt: Unsere teure fossile Energie verschmutzt den Planeten - obwohl wir mit billigerer erneuerbaren Energie die Welt retten können.
Sie haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz quasi mitgeschrieben. Erkennen Sie es noch wieder?
Nein. Es hat keine 18 Paragrafen mehr, sondern fast 100. Da braucht man als Laie Juristen, um nichts falsch zu machen - davor schrecken viele Privatleute zurück. Das muss sich ändern.
Haben das Lobbyisten im Nachhinein korrigiert?
Aber natürlich! Lobbyisten der alten fossilen und atomaren Welt sind im Wirtschaftsministerium ein- und ausgegangen. Die Vertreter der Klimaschutzwirtschaft sind nur selten dort - manche finden nicht mal Gehör.
Sie bemängeln, dass der Weltklimarat IPCC nicht konsequent und klar genug warnt, wie dramatisch die Lage ist. Macht Sie das wütend?
Das hat Methode. Viele Wissenschaftler machen eine hervorragende Arbeit. Ohne sie wüssten wir nicht, wie schlecht es steht. Aber: Die IPCC ist eine Organisation der Vereinten Nationen - und wird geführt von den Regierungen der Welt. Die Botschaften, die dann formuliert werden, sind politisch verformt und stellen nicht mehr die ungeschönte Wirklichkeit dar.
Die Katastrophenmeldungen erreichen uns jetzt aus allen Teilen der Erde. Der Permafrostboden taut, in Madagaskar verhungern Menschen, auf Grönland regnet es.
Ja, in Madagaskar und Südafrika ringen sie mit dem Leben, da die Lebensgrundlage zerstört ist. Die Menschen fliehen in Nachbarländer, doch da sieht es auch schlecht aus. Der Tschad-See ist fast ausgetrocknet, Viehherden verenden. Ein ganz kleiner Teil dieser Menschen nur schafft es nach Europa.
Was ist zu tun?
In Afrika muss die Begrünung von Flächen voranschreiten, damit die Menschen wieder anbauen können und zwar in kleinbäuerlichen Strukturen. Wir können das unterstützen, indem wir fair gehandelte Produkte kaufen. Aber was fehlt, ist die Unterstützung einer kleinbäuerlichen, ländlichen Wirtschaft gegenüber den Monokulturen, auf denen die Großkonzerne ihre Produkte anbauen. Die bekämpfen nämlich keinen Hunger, die lösen ihn erst aus. Wenn wir große Solaranlagen in die Wüstenrandgebiete stellen, die dann auch noch den Boden beschatten, um so dann das spärliche Wasser vor Verdunstung zu schützen, schlagen wir viele Fliegen mit einer Klappe. Aber ich sehe nichts dazu von EU-Kommission und auch nur wenig von den Regierungen afrikanischer Länder, in denen Korruption blüht, die der jetzigen Regierungs-Riege meist ein übersattes Leben garantiert, statt Klimaschutz zum Wohle der Menschen.
Kanzlerin Angela Merkel gilt als Klima-Kanzlerin. Das können Sie offenbar nicht so unterschreiben, oder?
Frau Merkel hat in ihrer Zeit, seit sie 1994 als Umweltministerin Verantwortung für den Klimaschutz in der Welt übernommen hat, im Wesentlichen alles getan, um immer weitere Klimagase in die Atmosphäre zu befördern. Sie sagt zwar, man müsse alles tun, um das Klima zu schützen. Aber sie hat es nicht getan. Sie hat dreimal schärfere Grenzwerte beim Auto-Abgas verhindert. Sie hat mit ihren Ministern das EEG kaputtnovelliert, so dass es jetzt mit hohen Hürden und hohen Kosten eher ein Bremsergesetz ist. Sie hat Großkonzerne der Agrarindustrie unterstützt statt kleine Biolandwirte.
Dabei stützt sie sich doch auf eine bemerkenswerte Zahl: Deutschland sei nur für drei Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich.
Das darf man so nicht sehen. Wir sind der größte Technik-Exporteur. Und wenn ich in China durch die schlechte Luft der Städte gelaufen bin, habe ich viele Diesel-VWs auf den Straßen gesehen oder Kohlekraftwerke, made in Germany, daher muss man das zu unserer Emission zählen - und dann komme wir schnell auf geschätzte rund 50 Prozent Emissionen, die auf die Verantwortung von Deutschland gehen.
Was muss denn Ihrer Meinung nach noch passieren, dass die führenden Industrienationen endlich umdenken?
Ich glaube, dass die meisten Köpfe nicht in der Lage sind, selbst zu erkennen, was man tun muss. Sie sind in den eigenen Gedankenmustern verstrickt, dass Klimaschutz eine Belastung für die Marktwirtschaft ist. So tun sie alles, um die fossile Wirtschaft zu schützen. Bis 2038 sollen noch die Kohlekraftwerke emittieren und das wird noch mit neuen drei Milliarden Euro in Deutschland subventioniert. Übrigens: In den USA werden jetzt viele Kohle- und Erdgaskraftwerke abgeschaltet, weil sie unter Joe Biden gegenüber Erneuerbaren Energien schlicht zu teuer werden.
Ein Umdenken ist tatsächlich noch nicht in vielen Köpfen. Im Ahrtal gibt es auch Subventionen für die Opfer...
...ja, aber die Hilfen gehen wieder in Öl- und Erdgasheizungen. Es ist unglaublich: Trotz der klimagemachten Katastrophe bleibt wieder alles beim Alten. Wie schlimm soll es denn noch werden? Bis das Saale-Tal auch überflutet ist?
Sie haben vor einem Jahr Landrat Thomas Bold einen Plan vorgelegt, wie man den Landkreis Bad Kissingen zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt. Haben Sie eine Rückmeldung erhalten?
Nein, habe ich nicht.
Wie funktioniert es?
Mit einem Mix aus grüner Energie, Solaranlagen, Windrädern, Wasserkraft, Bioenergie und vielen Speichern, Wärmepumpen und E-Mobilen. Das kann man alles machen, wenn man es möchte. Aber der Landrat hat offensichtlich kein Interesse. Da finde ich es super, dass Münnerstadt jetzt einen Klimamanager hat - den braucht jede Kommune.
Wir blicken geschockt ins Ahrtal und können uns vergleichbares nicht im Saale-Tal vorstellen.
Das ist typisch für den Menschen. Der Landrat im Ahrtal dürfte psychisch am Ende sein. Er hat wohl gedacht, dass es so schlimm nicht werde. Und das denken wir alle. Es stimmt traurig: Die Menschen, die das Problem verursacht haben, können oder wollen es nicht lösen. Viele Politiker sind immer noch verbandelt mit den Verursachern. Die, die Lösungen vorschlagen, werden diffamiert als Unrealisten, als Träumer, es sei ja alles viel zu teuer. Man hört nicht zu, man hört nicht auf sie. Ich weiß, wovon ich rede.
Fühlen Sie ein bisschen Genugtuung, dass Sie Recht behalten werden mit Ihren Warnungen?
Nein, ich bin bitter enttäuscht, dass der größte Teil der Menschen es nicht ernst genommen hat, was schon vor 30 Jahren klar war. Längst ist auch Realität: 100 Prozent Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen ist machbar und sogar billiger. Denn die Folgen, die wir ausbaden, wenn wir es nicht tun, sind ungleich teurer, als alle notwendigen Investitionen in den Klimaschutz .
Sie wurden vor ein paar Tagen von einem Komitee, gespickt mit großen Namen aus der Wissenschaft, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen - sehen Sie sich in einer Reihe mit den früheren Preisträgern Al Gore und dem IPCC , die 2007 den Preis für Klimaschutz erhalten haben?
Das will ich nicht beurteilen. Aber es gibt Wissenschaftler, die mich und meinen verstorbenen EEG-Partner Herrmann Scheer in dieser Reihe sehen. Aber es ist richtig, dass ich seit 40 Jahren auf den Klimaschutz hinweise und es ist richtig, dass das EEG weltweit alle Erneuerbare Energien befeuert hat, so dass sie heute die billigste Energieerzeugung sind. Diese Weltrevolution haben wir auf den Weg gebracht. Deshalb sagen diese Wissenschaftler: Diese Erfindung ist so viel Wert für die ganze Welt, dass sie einen Friedensnobelpreis verdient hat. Wie das die Jury sieht, weiß ich natürlich nicht.